ITK-Netzwerk

Chaos als ordnendes Element

01.03.2017 | Befehlen ist so 90ties. Heute steuern Unternehmen mit Zielen und Kennzahlen. Es entstehen Freiräume. Beschäftigte arbeiten „selbstbestimmter“ und mit Spaß – gerade in Informations- und Kommunikationstechnologie-Unternehmen (IKT). Dahinter steckt jedoch unternehmerisches Kalkül. Beim ITK-Netzwerktreffen diskutierten knapp 25 Betriebsräte und Betriebsrätinnen sowie Vertrauensleute aus IKT-Unternehmen mit dem Referenten Stephan Siemens über die Methoden indirekter Steuerung.

Stephan Siemens in Aktion

Wo Unternehmen mit Zielen und Kennzahlen steuern, dürfen Beschäftigte Lösungen selbst finden und wählen. Sie sind dadurch oft produktiver und empfinden ihre Arbeit lebendiger als in klassischen Unternehmen. Erreichen sie das Ziel früher als vereinbart, gewinnen sie Extrazeit. So die Theorie. Denn die zuvor vereinbarten Zeitpläne entsprechen selten den real gearbeiteten Arbeitszeiten. Durch diese indirekte Art der Steuerung und die Verlagerung der Verantwortung auf die Beschäftigten arbeiten diese im Zweifel länger als vorgesehen. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit modernen Steuerungsinstrumenten so wichtig.

Im Team arbeiten – Konkurrenz erzeugen

Damit Beschäftigte möglichst effizient arbeiten, organisiert man sie in Teams und Abteilungen. Diese setzt man dann in Konkurrenz zu anderen Abteilungen und Teams und Standorten nach dem Prinzip, jedes Team möge seine Profitabilität fürs Unternehmen und damit seine Existenzberechtigung immerfort beweisen. Dazu entwickeln kluge Unternehmen noch Prämienmodelle, formulieren jedoch auch Kennzahlen, die die Beschäftigten ganz bewusst unter Druck setzen. Eine ebenfalls sehr bewusst zu niedrig angesetzte Personaldecke erreicht den gleichen Effekt, sprich eine Verstärkung des Arbeitseinsatzes der Beschäftigten. Schließlich weiß man aus der Arbeits- und Organisationspsychologie: „Teams arbeiten dann am produktivsten, wenn die Aufgabe immer etwas größer ist als die Kräfte der Gruppe“, sagt <link http: www.stephan-siemens.de external-link-new-window external link in new>Stephan Siemens.  Die Gewinner sind dabei jedoch in der Regel die Unternehmen und nicht die Beschäftigten. Denn durch den verstärkten Einsatz der Beschäftigten wird die Aufgabe nicht bewältigbarer. Vielmehr erhält das Unternehmen das Signal, dass offenbar ausreichend Personal vorhanden ist und es im Zweifel auch mit noch weniger Personal funktionieren könnte. Der ständige Druck macht Menschen jedoch krank und beeinträchtigt Freizeit wie Privatleben.

Chaos als Instrument
Oft empfinden Beschäftigte die Führung als chaotisch und inkompetent. Für Stephan Siemens ist es aber wichtig, zu verstehen, dass es ein neues System der Führung ist und genau keine Inkompetenz und kein Chaos. Vielmehr soll bewusst durch dieses Chaos und die Überforderung und den Personalmangel noch mehr aus den Leuten rausgeholt werden. „So lange die Beschäftigten das nicht reflektieren, sondern stolz sind, dass sie den Betrieb trotz der Unfähigkeit der Führungskräfte am Laufen halten, sind sie dieser Spirale ausgeliefert“, sagt Siemens. Denn diese Art der Steuerung zielt gerade darauf, dass die Beschäftigten mehr leisten, um die Mängel auszugleichen.

Deshalb ist es für Gewerkschaften wie Beschäftigte wichtig, diese Mechanismen zu durchschauen. Zweitens müssen sie in derlei Arbeitszusammenhängen noch mal besonders darauf achten, dass sie die geleistete Arbeitszeit vollständig erfassen. Dadurch können sie die benötigte Arbeitszeiten und den Personalbedarf realistisch einschätzen – und beides von den Unternehmen auch einfordern.

Von: sst

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