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Der erste Tarifvertrag für Studierende in Deutschland!

26.04.2016 | Die IG Metall hat mit der Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) erstmals einen Tarifvertrag für Studierende abgeschlossen. Er bietet Studierenden gute Perspektiven aber dem Unternehmen auch. Gerald Petrasch erklärt im Interview, warum nicht nur die Studis, sondern auch der Betrieb davon profitiert.

Hartnäckige und gute Arbeit: Betriebsräte des IAV

Gut für den Betrieb & gut für die Studierenden: der exklusive Tarifvertrag bei der IAV

Gerald, es ist ein absolutes Novum: Mit dem Entwicklungsdienstleister IAV regelt erstmals ein Betrieb gemeinsam mit der IG Metall verbindlich die Rahmenbedingungen für alle im Betrieb beschäftigten Studierenden. Wie habt ihr dieses Ziel erreicht?
Gerald Petrasch: Der Tarifvertrag ist das Ergebnis eines langen Weges, den Betriebsräte, IG Metall und Studierende gemeinsam gegangen sind. Noch vor zwei Jahren haben arbeitende Studierende bei IAV 10,50 Euro bekommen. Das wollten wir gemeinsam ändern. Es war anfangs ein zäher Prozess, bis wir mit dem Arbeitgeber schließlich in konstruktive Verhandlungen einsteigen konnten. Mittlerweile sieht auch die Geschäftsführung der IAV die Vorteile der tariflichen Regelungen für Studierende in jeder Phase ihrer akademischen Ausbildung. Damit werden angehenden Akademikern echte Perspektiven geboten, und der Betrieb bindet junge Ingenieureinnen und Ingenieure früh an sich.

Der Vertrag berücksichtigt die jeweilige Phase der akademischen Ausbildung der Studierenden. Was bedeutet das konkret?
Das bedeutet, dass Studierende ihr gesamtes „Studium in Praxis“ bei IAV verbringen können. Während dieser Zeit können sie vertraglich einsteigen und erhalten eine Art Arbeitsverhältnis mit Ausbildungselementen. Sie sind in die Projekte in den Abteilungen eingebunden, haben einen Ausbildungsplan und machen jedes Semester eine Weiterbildung über den Betrieb. Gearbeitet wird zwischen zehn und zwanzig Stunden in der Woche. Wenn sie Pflichtpraktika machen müssen oder Abschlussarbeiten schreiben, geschieht das alles im Rahmen des Vertrags. Sind sie länger als zwei Jahre bei IAV Studierende in Praxis und haben ihre Abschlussprüfung bestanden, werden sie grundsätzlich in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen.

Wurden Entgeltstufen vereinbart?
Die Studierenden in Praxis erhalten die tarifliche Entgeltgruppe I/1 des Mantel- und Entgelttarifvertrags von IAV, das sind zurzeit 13,98 Euro pro Stunde. Dieser Betrag steigt bei jeder Tariferhöhung mit. Wer länger als zwei Jahre dem Unternehmen angehört, wird auch an den unternehmensergebnisbezogenen Einmalzahlungen zu 50 Prozent beteiligt.

Wie wird der Urlaub geregelt?
So wie in unseren anderen Tarifverträgen auch: Es gibt die üblichen 30 Arbeitstage im Jahr entsprechend der im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitszeit.

Soll es auch regelmäßige Gespräche zur individuellen beruflichen Entwicklung geben?

Ja. Die Studierenden haben mit ihren Betreuerinnen und Betreuern aus den jeweiligen Abteilungen Orientierungsgespräche. Dabei werden die Lernziele, Projektinhalte, der Studienverlauf sowie die Ausbildungsplanung und die anstehenden Qualifizierungsmaßnahmen besprochen. Dies ist bereits in vielen Fällen gelebte Betriebsrealität. Jetzt jedoch ist dieser Rahmen tarifvertraglich verbindlich geregelt.

Wie ist es im Tarif mit Doktoranden, Referendarinnen und Praktikanten geregelt?

Doktoranden und Referendare werden ebenfalls in die tariflichen Entgeltgruppen eingruppiert. Das macht zum Beispiel für Doktorandinnen und Doktoranden derzeit 2.657,13 Euro im Monat. Ihre Arbeitszeit beträgt 18 Stunden die Woche – und 20 Stunden stehen ihnen dann für ihre Promotion zur Verfügung. Auch sie werden danach übernommen. Praktikanten und Studierende, die ihre Abschlussarbeiten schreiben, bekommen 800 Euro im Monat.

Wie viele betrifft der Tarifvertrag?
Bei IAV sind bundesweit über 300 Studierende und in Berlin rund 100 Studierende beschäftigt. Von den Regelungen werden also eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen profitieren.

Warum arbeiten so viele Studierende bei euch?

IAV arbeitet schon seit der Gründung des Unternehmens 1983 eng mit der Technischen Universität Berlin zusammen und hat durch die universitäre Forschung eine enge Bindung zu Studierenden.

Die IG Metall ist eine große und durchsetzungsfähige Gewerkschaft, und der Metall- und Elektroindustrie geht es verhältnismäßig gut. Kann das Vertragswerk dennoch Vorbild für andere Branchen sein?
Auf jeden Fall. Überall in Betrieben, in denen Studierende arbeiten, Praktika absolvieren oder wissenschaftliche Arbeiten verfassen, ist es wichtig, dass sie dies zu guten tarifvertraglichen Bedingungen tun. Der Tarifvertrag für Studierende bei IAV zielt eben genau darauf ab: Er ist Gütesiegel für transparente und innovative Arbeits- und Ausbildungsbedingungen vom Anfang bis zum Ende des Studiums. Das ist branchenübergreifend anwendbar.

Unterm Strich: Welche Vorteile bietet ein solcher Vertrag für einen Betrieb?
Im Wettbewerb um topqualifizierte Fachkräfte ist der Tarifvertrag ein klares Werbeargument. Die Studierenden werden optimal durch ihr Studium begleitet und haben dann natürlich auch Erfahrungen mit einem guten Arbeitgeber gesammelt. Das bindet Studierende an das Unternehmen. Mit dem Abschluss des IG Metall-Tarifvertrags zeigt das Unternehmen, das es auf eine nachhaltige Personalentwicklungsstrategie Wert legt. Vor allem ist wichtig, dass die Studierenden jetzt nicht mehr als Kollegen 2. Klasse gesehen werden.

Die Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) ist ein in den 80er Jahren aus der Technischen Universität Berlin ausgegründeter Ingenieurdienstleister und beschäftigt über 6.000 Menschen –  in ihren Entwicklungszentren in Berlin sowie an vielen weiteren Standorten in Deutschland, Europa, Asien, Nord- und Südamerika.  
An den deutschen Standorten arbeiten derzeit rund 300 Werkstudierende. Werkstudierende sind Personen, die während ihres Studiums einen Vertrag mit einem Betrieb abgeschlossen haben, um die betrieblichen Arbeitsprozesse kennenzulernen.


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