Gedenkveranstaltung am 9. November:

Siemens damals – Siemens heute

22.11.2017 | So vielschichtig wie das Publikum an diesem Abend waren auch die Beiträge: Sie bewegten sich allesamt um den Themenkomplex Erinnern an die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus, Gedenken an die Opfer und Aufarbeitung der Geschichte. Den Stoff, an dem diese Themen abgearbeitet wurden, lieferte der Elektrokonzern Siemens.

Ein sehr gemischtes Publikum war der Einladung zur Veranstaltung Wir gedenken und erinnern in den Alwin-Brandes-Saal der IG Metall Berlin gefolgt: Betriebsräte, Alt-Betriebsräte und Vertrauensleute, Historiker und Gesellschaftswissenschaftler, Lehrer, Ausbilder und Auszubildende.  In die nationalsozialistische Rüstungswirtschaft eingebunden, errichtete Siemens 1942 eine Fertigung in Ravensbrück, die in ihrer Ausbaustufe 1944 bis zu 2.300 Häftlingsfrauen des Konzentrationslagers Ravensbrück als Zwangsarbeiterinnen beschäftigte. 

Dieser Teil der Geschichte ist Gegenstand des Buches Zwangsarbeit für Siemens im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, das in diesem Jahr im Metropol-Verlag erschienen ist. Mitglieder des Internationalen Freundeskreises der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück stellten es vor und gaben Einblicke in den vierjährigen Prozess bis zur Herausgabe des Buches. Sie machten aber auch wahrnehmbar, dass historische Recherche nicht nur spannend ist, sondern auch viel Fleiß, Kiepenarbeit und zuweilen ‚trockenes Brot‘ bedeutet. Dagegen sorgten die Lesungen von Originalberichten, die zum Teil eigens für diesen Band ins Deutsche übersetzt wurden, für Abwechslung und Anschaulichkeit.

Gut anzuschauen war auch eine Fotoausstellung zu Produkten, die Zwangsarbeiter in Ravensbrück für Siemens herstellen mussten. Sie zeigen elektrische und elektronische Bauteile in starker Vergrößerung, viele davon Fundstücke vom Brachgelände, wo einst die Siemens-Hallen in Ravensbrück standen: Sie sind Zeugnisse einer hochentwickelten Industriearbeit, in die die Zwangsarbeiterinnen hineinverpflichtet wurden.

Nach der Pause sorgten Auszubildende der Siemens-Werksberufsschule für aufgehellte Mienen. Versiert im Umgang mit neuen Medien, zugleich interessiert und berührt von den Ereignissen um Zwangsarbeit für Siemens, präsentierten sie Neues aus dem Projekt siemens@ravensbrück.  Mit ihrer Geschichtserkundung stehen die Siemens-Auszubildenden stellvertretend für einen Konzern, der sich zunehmend freier und offener zu den dunkelsten Kapiteln der eigenen Unternehmensgeschichte verhält. Der seine Vergangenheit nicht mehr hinter Rechtfertigungen versteckt, sondern Recherchen und Projekte zur Aufarbeitung fördert, unter anderem die vorgestellte Publikation.

Höhepunkt des Beitrags der Auszubildenden war ein Video: Im Frühjahr hatten sie die heute 95-jährige Ravensbrück-Überlebende Selma van de Perre in ihrer Londoner Wohnung interviewt und sieben Stunden Interview-Filmmaterial mitgebracht. Das dem Publikum daraus hergestellte 10-minütige Video war zweifellos der authentischste und bewegendste Teil der Veranstaltung. Die Stimme dieser Zeitzeugin wird den Anwesenden in Erinnerung bleiben.

Den Abschluss bildete die Auswertung einer erst kürzlich entdeckten Luftbildaufnahme aus dem Jahr 1945. Anhand dieser Aufnahme konnten die Umgebung, das Gelände und die Infrastruktur des Konzentrationslagers sowie einzelnen Gebäudegruppen des sog. Siemenslagers rekonstruiert werden. Das Beispiel macht es deutlich: Die Recherche zu Ravensbrück ist nicht abgeschlossen.

Von: Wolfgang Walter

Unsere Social Media Kanäle