Rechtstipp

Verhaltensbedingte Kündigung – wann sie rechtens ist und wann nicht

01.05.2017 | Immer wieder drohen Arbeitgebern ihren Beschäftigten mit einer verhaltensbedingten Kündigung oder sprechen nach Abmahnungen eine Kündigung aus. Sehr oft ist an der Kündigung nichts dran. Der Arbeitgeber nutzt einen geringfügigen Anlass, um einen Beschäftigten loszuwerden aus Gründen, die er vor Gericht nicht nennen möchte oder aus rechtlichen Gründen nicht nennen kann. Nils Kummert erklärt, wann verhaltensberechtigte Kündigungen gerechtfertigt sind und wie sich Beschäftigte wehren können.

Es gibt immer wieder aber auch Pflichtverletzungen, die Anlass geben können für den Ausspruch einer Kündigung und zumindest die Möglichkeit besteht, dass ein Arbeitsgericht die Kündigung für rechtens erachtet. Oft reicht schon der Verdacht einer Pflichtverletzung für den Ausspruch einer Kündigung aus (Verdachtskündigung), was im Hinblick auf die „Unschuldsvermutung“ besonders schwer nachzuvollziehen ist.

Ausgangssituation: Trennungsgespräch
Viele Arbeitnehmer – auch und gerade Mitarbeiter aus der (mittleren) Führungsebene - kennen die Situation: Der Arbeitgeber kommt auf den Beschäftigten zu und konfrontiert diesen in einem oft aggressiv geführten Personalgespräch mit bestimmten Vorwürfen und macht in dem Gespräch deutlich, dass die Vertrauensbasis zerstört sei und keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit mehr gesehen werden würde. Im Jargon der Arbeitgeber werden diese Gespräche „Trennungsgespräche“ genannt. Viele Personalleiter werden geschult, um solche Gespräche effektiv führen zu können.
Fairness steht bei der Führung solcher Gespräche nicht selten nicht auf dem Lehrplan. Der oft nichtsahnende und völlig überraschte Beschäftigte hat zu diesem Personalgespräch in der Regel kein Betriebsratsmitglied seines Vertrauens mitgebracht, obwohl er hierzu das Recht hat (§ 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Bei rechtzeitiger Kenntnis vom Inhalt und Ziel des Gesprächs hätte er den Betriebsrat entsprechend kontaktieren können. Diese Kenntnis hatte er aber nicht, da der Arbeitgeber regelmäßig den Beschäftigten im Unklaren lässt über den beabsichtigten Inhalt eines solchen Personalgesprächs.

Kein Betriebsratsmitglied anwesend: Bitte um Abbruch oder Unterbrechung
In einer solchen Situation ist dem Beschäftigten dringend zu empfehlen, um Unterbrechung bzw. Abbruch des Gesprächs und um die Einräumung der Möglichkeit zu bitten, einen Kontakt zum Betriebsrat herstellen zu können. Es ist höchstrichterlich (noch) nicht entschieden, ob der Beschäftigte die (weitere) Teilnahme an dem Gespräch verweigern darf, wenn ihm die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds seines Vertrauens verweigert wird. Es spricht sehr viel dafür, aber dennoch sollte der Beschäftigte angesichts der ungeklärten Rechtslage sehr vorsichtig mit einer solchen „Leistungsverweigerung“ umgehen.

Nicht spontan äußern und ruhig bleiben im „Trennungsgespräch“
Es empfiehlt sich immer, in solchen Gesprächen äußerst zurückhaltend zu sein, sich zu bestimmten Vorwürfen nicht spontan zu äußern und auch nicht sich provozieren zu lassen zu stark emotional geprägten Einlassungen. Im schlimmsten Fall schafft der Beschäftigte durch spontanes Leugnen oder Verschleiern und Abstreiten von Fakten oder widersprüchliche später nur schwer zu korrigierende Einlassungen eine für ihn kündigungsschutzrechtlich bzw. abmahnungsrechtlich ungünstige Situation oder er lässt sich sogar zu Beleidigungen oder Beschuldigungen anderer Beschäftigter und unbedachten Äußerungen hinreißen, die dann erst einen Grund für eine Kündigung schaffen.

"Arbeitnehmer, die mit Vorwürfen und Trennungswünschen konfrontiert werden, sollten sich unbedingt schnellstmöglich kompetent rechtlich beraten lassen. Die Rechtsberatung der IG Metall steht dazu zur Verfügung." Nils Kummert

Es existiert keine arbeitsrechtliche Pflicht, sich spontan einzulassen. Der Beschäftigte kann und sollte immer sich Bedenkzeit ausbitten und beim nächsten Gespräch, das er entsprechend gut vorbereitet, nimmt er dann ein Betriebsratsmitglied mit hinzu. Schon gar nicht sollten Schuldanerkenntnisse oder gar Aufhebungsverträge in einem solchen Gespräch (spontan bzw. ohne Einräumung einer angemessenen Überlegungsfrist von mehreren Tagen und Prüfung durch Rechtsanwalt oder Rechtsabteilung der IG Metall) unterschrieben werden, auch wenn die Situation noch so unangenehm ist und die Beweislage noch so erdrückend wirkt.

„Rote Karte“
Vielfach haben Betriebsräte in Betrieben, in denen solche Gespräche verstärkt und unfair geführt werden, an Beschäftigte kleine rote Karten ausgeteilt, auf denen der Wortlaut des § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG abgedruckt ist. Diese rote Karte kann der Beschäftigte dann in einer solchen Drucksituation aus der Geldbörse oder Brusttasche ziehen und dem Arbeitgeber entgegenhalten. Nicht selten wird nach Ausgabe solcher Karten (zum Beispiel mit Erläuterungen verbunden auf einer Betriebsversammlung) eine unfaire Gesprächspraxis vom Arbeitgeber beendet und ein Betriebsrat proaktiv von der Personalleitung im Vorfeld beabsichtigter „Trennungsgespräche“ über deren geplante Durchführung unterrichtet, denn die Personalleiter setzen sich nicht gern dem Gefühl aus, möglicherweise die rote Karte gezeigt zu bekommen.

Motive des Arbeitgebers
Es gibt natürlich ernsthafte und gelegentlich durchaus auch berechtigte Anlässe dafür, dass eine Personalleitung einen Beschäftigten wegen einer gravierenden oder mehrerer (abgemahnter) Pflichtverletzungen zu kündigen beabsichtigt und dem Beschäftigten eine einvernehmliche Trennung anbietet. Sehr oft werden auch angemessene Konditionen für den Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten (Zeugnis, Freistellung, Abfindung) oder es wird in Aussicht gestellt, nach Ausspruch einer Kündigung sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses einigen zu wollen.

Erfahrene Personalleiter wissen, dass der Ausspruch einer (möglichst nicht als „verhaltensbedingt“ bezeichneten) Kündigung und eine nachfolgende Einigung im Kündigungsschutzprozess (auf Basis einer als „betriebsbedingt“ bezeichneten oder „betrieblich veranlassten“ Kündigung) eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Folge haben, dass die Bundesagentur die gefürchtete Sperrzeit nicht verhängt. Diese hat zur Folge, dass der betroffene Beschäftigte 25 Prozentder Bezugszeit des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I verliert, was gerade auch bei älteren Beschäftigten mit längerer Bezugszeit gravierende finanzielle Folgen haben kann.

Da es aber oft aus anderen Gründen (Personalabbau aus betrieblichen Gründen im Rahmen einer Umstrukturierung, Wechsel im Management mit Folgen für die mittlere Führungsebene, länger währender Streit mit Fachvorgesetzten, häufige für eine krankheitsbedingte Kündigung noch nicht ausreichende  Fehlzeiten des Beschäftigten) einen unbedingten Trennungswunsch gibt, werden „Kleinigkeiten“ aufgebauscht, nichtige Anlässe aufgepumpt zu „schweren Pflichtverletzungen“ oder es werden gezielt Gründe gesucht („Wer suchet, der findet“) und „wilde“ Abmahnungen ausgesprochen, um eindeutige Signale zu setzen.

Kündigungsgründe
Man muss aber wissen: Der Arbeitgeber kann außerordentlich bzw. fristlos nur dann kündigen, wenn er gem. § 626 Abs. 1 BGB einen wichtigen Grund hat und eine umfassende Interessenabwägung zu Lasten des Beschäftigten ausgeht. Schwere Pflichtverletzung im Vertrauensbereich können sein: grobe Beleidigung, Tätlichkeit, Vermögensstraftat, angekündigte Erkrankung bei Nichtgewährung von Urlaub, beharrliche Arbeitsverweigerung, eigenmächtiger Urlaubsantritt, geschäftsschädigende Äußerungen, Konkurrenztätigkeit, unerlaubte Internetnutzung, Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit etc.
Gründe aus dem sog. „Leistungsbereich“ (schuldhafte Verletzungen der Arbeitspflicht) kommen nur in Betracht, wenn zuvor eine (einschlägige Abmahnung ausgesprochen wurde. Ordentlich (unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist) kann der Arbeitgeber aus den gleichen Gründen kündigen, wobei die Gründe insgesamt niedrigschwelliger sein können. Zum Beispiel können auch Schlechtleistungen wie häufige Verspätungen oder „Bummelei“ nach einer oder mehreren einschlägigen Abmahnungen für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung reichen. Der Arbeitgeber muss aber immer einen ausreichend gewichtigen Grund haben und vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung muss der Beschäftigte vor dem Hintergrund der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ggf. sogar mehrere einschlägige die gleiche Pflichtverletzung betreffende Abmahnungen ausgesprochen haben.

In der Praxis fehlt es sehr oft an einem ausreichenden Grund, an einer oder mehreren einschlägigen Abmahnungen oder es gibt wichtige Aspekte im Rahmen der Interessenabwägung (lange unbescholtene Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, entlastende Umstände, geringes Verschulden, geringer Schaden), die für den Beschäftigten in die Waagschale geworfen werden können und den Ausschlag geben. Die Arbeitsgerichte haben einen sehr großen Ermessenspielraum bei der Würdigung der Fakten und bei Vornahme der Interessenabwägung. Es gibt zudem keine  Grundsätze dergestalt „Wer klaut, der fliegt“ und „drei Abmahnungen, Kündigung“ oder absolute Kündigungsgründe. Der Volksmund irrt bei Kündigungsfällen oft genug. Am Ende kommt es auf die richtige Strategie und die Kommunikation mit dem Gericht und dem Arbeitgeber an und das geht in der Regel nur mit kompetenter fachkundiger Hilfe. Dafür sind Beschäftigte Mitglieder der IG Metall.

Verdachtskündigung
Der Arbeitgeber darf außerordentlich und ordentlich sogar trotz der Existenz der in der europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Unschuldsvermutung nach Anhörung des Beschäftigten kündigen, wenn lediglich ein dringender Verdacht besteht, dass der Beschäftigte eine schwere Pflichtverletzung und/oder Straftat zu Lasten des Arbeitgebers begangen hat. Die Verdachtsmomente müssen sehr gewichtig sein und es müssen immer die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, auch wenn der Arbeitgeber lediglich eine ordentliche Kündigung ausspricht. Es gilt die Besonderheit, dass ein Wiedereinstellungsanspruch besteht, wenn sich der Verdacht im Laufe des Kündigungsschutzprozesses nicht bestätigt.

Beweismittel verwertbar?
Zunehmend setzen Arbeitgeber bei der Beweisführung Kontrolltechnik (Videoüberwachung mit und ohne Detektiv, Telefondatenerfassung, GPS-Ortungssysteme) oder kontrollieren die E-Mail-Accounts bzw. die auf dem Browser gespeicherten Bewegungen des Beschäftigten im Internet. Diese Suche nach Beweismitteln greift immer in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten ein. Das Bundesarbeitsgericht verlangt, dass ein (relativ geringer) Anfangsverdacht gegen den Beschäftigten bzw. eine  Gruppe von Beschäftigten besteht, der Arbeitgeber kein anderes gleich wirksames Mittel zur Beweisfindung hat und die Überwachungsmaßnahme insgesamt verhältnismäßig ist, sonst darf der Beweis nicht verwertet werden vor Gericht. Allerdings dürfen nach jüngster Rechtsprechung durchaus aus (rechtmäßig erlangte) sogenannte „Zufallsfunde“ verwertet werden, wenn Beweismittel gegen Beschäftigte gefunden werden aus Anlass der Überwachung anderer Beschäftigter und ein Anfangsverdacht gegen diesen Beschäftigten ursprünglich gar nicht vorlag. Das ist sehr bedenklich, muss aber beachtet werden, da das Bundesarbeitsgericht von dieser Rechtsprechung nicht mehr abrücken wird.

„Schmutzkündigung“
Und dennoch: Nicht selten weiß der Arbeitgeber, dass die Vorwürfe für die Begründung einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung nach § 1 KSchG oder gar außerordentlichen Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB nicht reichen. Es wird dennoch eine sogenannten „Schmutzkündigung“ ausgesprochen wohlwissend, dass am Ende vor dem Arbeitsgericht mittels Zahlung einer (mehr oder weniger hohen) Abfindung im Rahmen eines Vergleiches eine Trennung mit hoher Wahrscheinlichkeit herbeigeführt werden wird. Weit über 80 Prozent der Beschäftigten, die einen Kündigungsschutzprozess führen, kehren nicht in den Betrieb zurück. Die Vorstellung, nach einem gewonnenen Prozess „Spießruten zu laufen“ oder von anderen Beschäftigten und Vorgesetzten geschnitten zu werden, schreckt viele Beschäftigte, die zudem während des laufenden Prozesses einen neuen Arbeitsplatz finden, sehr ab.

Fazit
Arbeitnehmer, die mit Vorwürfen und Trennungswünschen konfrontiert werden, sollten sich unbedingt schnellstmöglich kompetent rechtlich beraten lassen. Die Rechtsberatung der IG Metall steht dazu zur Verfügung. Das gilt insbesondere auch dann, wenn an den Vorwürfen „etwas dran“ sein sollte. In den anderen Fällen gilt das erst recht. Es kommt auf viele tatsächliche Details und ihre rechtliche Würdigung und die Entwicklung der richtigen Strategie im Einzelfall an. Auf keinen Fall sollten in Personal- bzw. sog. „Trennungsgesprächen“ (noch dazu ohne Zeugen aus dem eigenen Lager: Betriebsratsmitglied) unbedachte Äußerungen getätigt oder sogar Aufhebungsvertragsdokumente oder Schuldanerkenntnisse jeder Art unterzeichnet werden.  

Nils Kummert ist Rechtsanwalt in der <link http: www.dka-kanzlei.de home.html external-link-new-window external link in new>dka-kanzlei Rechtsanwälte Fachanwälte.

Von: nk

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