Prekäre Beschäftigung

DGB-Konferenz zu Erfahrungen mit prekärer Beschäftigung

21.01.2016 | "Gefahr, dass sich das ausbreitet". Werkverträge, Befristung, unfreiwillige Teilzeit. Prekäre Arbeit hat viele Gesichter, und sie hat zugenommen: Seit 1991 sei die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse um 72 Prozent angestiegen, berichtete Dr. Claudia Weinkopf vom Institut für Arbeit und Qualifikation im Eröffnungsvortrag der Konferenz "Prekäre Beschäftigung in Berlin" am Dienstag.

Gunter Haake (ver.di), Linda Guzzetti (GEW) und Horst Schütt (IG Metall) mit Moderatorin Ines Böschen (v.l.) Foto: DGB/Nina Lepsius

Weil unsichere Arbeitsverhältnisse vor allem in der Hauptstadt den Arbeitsmarkt prägen - die DGB-Bezirksvorsitzende Doro Zinke sprach von Berlin als "Stadt der prekären Arbeit" - hatte der DGB mit dem Untertitel "Berichte aus der Arbeitswelt" zu einer Bestandaufnahme eingeladen.

Werkverträge: "Es gibt die Befürchtung, dass sich das wie ein Virus ausbereitet"

"Es gibt die Befürchtung, dass sich das wie ein Virus ausbreitet", sagte zum Auftakt der Podiumsrunden Horst Schütt (IG Metall), stellvertretender Betriebsratsvorsitzender beim Aufzugbauer Otis. Der Betriebsrat kritisiert, dass freie Stellen im Unternehmen nicht nachbesetzt werden und Tätigkeiten – wie beispielsweise in den Wareneingängen im Berliner Werk – per Werkvertrag nach draußen vergeben werden. Natürlich würden dadurch auch betriebliche Errungenschaften untergraben, die der Betriebsrat für die Stammbelegschaft in Betriebsvereinbarungen erreicht habe, berichtete Betriebsrat Horst Schütt. Er wünsche sich deshalb unter anderem eine bessere gesetzliche Abgrenzung von Werkvertrag und Leiharbeit, um den Missbrauch auszuschließen, "und eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte in dieser Hinsicht wäre endlich auch notwendig".

"Ein weitverzweigtes Konzernnetz, das nicht aufhört mit Ausgliederungen"

Prekarisierung im öffentlichen Bereich schilderten Linda Guzzetti (GEW), die als Lehrbeauftragte an Universitäten arbeitet, und Kati Ziemer, Betriebsrätin bei der Charité Facility Management (CFM). Ziemer (ver.di) beschrieb, wie mit der zu 51 Prozent in öffentlicher Hand befindlichen CFM die patientenfernen Dienstleistungen umfassend ausgelagert worden seien: Archiv, Reinigung, Haustechnik, Sicherheit. Mit der Ausgliederung ging die Flucht aus dem Tarifvertrag einher: "Seit der Ausgründung herrscht in der CFM ein tarifloser Zustand." Auch in der Charité herrscht die Sorge, dass die Flucht aus der Tarifbindung sich fortsetzt. Ziemer beschrieb die Charité als "ein weitverzweigtes Konzernnetz, das nicht aufhört mit Ausgliederungen".

Die Lehre an VHS, Musikschulen und in Integrationskursen werde zu großen Teilen mit Honorarkräften bestritten, erzählte Linda Guzzetti. "Viele Lehrkräfte kennen nichts außer Honorarverträgen", unbezahlte Mehrarbeit und Minirenten um 500-600 Euro seien die Folge. Die auftraggebenden Einrichtungen sparten dadurch Geld und müssten sich nicht an die Lehrkräfte binden.

Befristung schafft unsichere Lebensperspektiven und untergräbt betriebliche Mitbestimmung

In der Gastronomie ballen sich für viele Kolleginnen und Kollegen die Belastungen, wie Attila Kecskés berichtete, der als Betriebsrat die Beschäftigten eines Lizenznehmers von McDonalds vertritt. "Lizenznehmer in Gastronomie beschäftigen oft so lange wie möglich nur befristet", sagte er. Zu dieser Unsicherheit komme ein hoher Anteil von Teilzeit und Schichtarbeit. Kolleginnen und Kollegen mit befristeten Verträgen könne man auch schwer für die Betriebsratsarbeit gewinnen, weil der Arbeitgeber sie einfach loswerden könne.

Teilzeit und Arbeitsverdichtung erlebt der Betriebsratsvorsitzende von Gegenbauer Services, Nobert Riediger (IG BAU). "Der Zeitaufwand ist oft zu gering kalkuliert", das gelte etwa bei starker Verschmutzung von Hauseingängen im Winter. Die Beschäftigten leisteten dann oft nicht offiziell angeordnete, unbezahlte Überstunden, weil sie ihre Arbeit gut machen wollten. Teilzeitarbeit mit 3,5 Stunden am Tag sei gängig. Da gebe es öfters die Gelegenheit für Mehrarbeit: "Bei Ausfällen sagt der Arbeitgeber oft: Arbeite doch länger, zum Beispiel 5,5 Stunden". Es gebe aber keine sichere Perspektive für einen Vertrag mit mehr Stunden, mit dem man sich einen ordentlichen Lebensstandard erarbeiten könne.

Soloselbständigkeit und Leiharbeit

Unsicherheit prägt auch die Leiharbeit. Die Gefahr von Arbeitslosigkeit sei bei kurzen Überlassungsdauern besonders hoch, sagte Frank Bouvain (IG BCE), stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Randstad Ost. Nur wenige Leiharbeiter würden von den Betrieben übernommen, in denen sie eingesetzt seien. Gunter Haake, ver.di-Referent für Solo-Selbständige, schilderte die mangelnde Absicherung grundlegender Lebensrisiken: Keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, kein Kündigungsschutz, unvollständige Integration in das Sozialversicherungssystem. Eine Sozialversicherungspflicht sei nötig.

"Eine Strategie, die auf billige und unsichere Arbeit zielt, ist gesellschaftlich und langfristig auch wirtschaftlich falsch", resümierte der stellvertretende DGB-Bezirksvorsitzende Christian Hoßbach. Der DGB will die zusammengetragenen Erfahrungen mit den Berliner Parteien in einer weiteren Konferenz am 6. April diskutieren und dort über Wege zur Eindämmung prekärer Beschäftigung sprechen.

Von: dgb

Unsere Social Media Kanäle