Siemens-Kundgebung: Zusammenstehen gegen den Stellenabbau

„Wir werden um jeden Arbeitsplatz gemeinsam kämpfen"

23.11.2017 | Am Donnerstagmorgen demonstrierten in Berlin rund 2500 Beschäftigte von Siemens-Standorten aus der ganzen Republik gegen die angekündigte Streichung von weltweit 6900 Arbeitsplätzen und die Schließung ganzer Standorte. Die Proteste starteten am frühen Morgen mit einem Autokorso quer durch Berlin. „Wir werden die Beschäftigten ganz bestimmt nicht alleine ihrem Schicksal überlassen“, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

Es ist jetzt laut, irrsinnig laut: Trillerpfeifen trillern schrill, da drüben stehen eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die auf Plastiktonnen eintrommeln, ein dumpfer, treibender Rhythmus, von weiter hinten wehen Sprechchöre heran. Ronald Thiel, 40 Jahre, blonde, kurze Haare, steht mittendrin, mitten im Lärm, mitten im Trubel, mit heiserer Stimme und leuchtenden Augen. Er ist heute früh am Morgen aufgestanden, um von Görlitz nach Berlin zu fahren, zur Demonstration, zu seinen Kolleginnen und Kollegen. „Wir haben immer alles für Siemens getan, wir haben immer die Füße stillgehalten und getan, was der Konzern wollte“, sagt Ronald Thiel. „Jetzt sollen Arbeitsplätze und Standorte vernichtet werden, einfach, weil irgendwelche Zahlen nicht mehr stimmen. Das geht nicht. Wir werden dagegen kämpfen. Entschlossen und solidarisch.“

Diese Entschlossenheit, diese Solidarität, die ist schon früher am Morgen zu spüren: 6.15 Uhr, Motardstraße, Berlin Spandau, direkt neben der Siemensstadt. Letzte Vorbereitungen, gleich geht es los: 173 Autos, 7 Motorräder, rund 500 Menschen machen sich in einem Autokorso auf den Weg quer durch Berlin zur Sonnenallee. Beschäftigte aus den Siemens-Betrieben sind dabei, Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig, aus Görlitz, aus vielen weiteren Siemens-Standorten. Sie alle sind wütend, aufgebracht, in Sorge, entschlossen, kampfesmutig. Sie sind fassungslos über das, was das Siemens-Management angekündigt hat. Was jetzt mit ihnen geschehen soll.

Gerade den Osten Deutschlands treffen Stellenabbau und Standortschließungen in hohem Maße: Die Siemenswerke in Leipzig mit 270 Beschäftigten und in Görlitz mit rund 1.000 Beschäftigten sollen geschlossen werden. Im Berliner Gasturbinenwerk will Siemens 300 Arbeitsplätze abbauen. Im Dynamowerk in Berlin will der Konzern die gesamte Fertigung mit 700 Beschäftigten schließen. Auch der Standort in Offenbach steht vor dem Aus. Für ein Werk in Erfurt prüft Siemens zudem mehrere Optionen, darunter auch einen Verkauf. Es ist ein angekündigter Kahlschlag, gegen den die Beschäftigten von Siemens seither bundesweit protestieren, in Erfurt ebenso wie in Offenbach – und die Kundgebung an diesem Novembermorgen in Berlin, zu der 2500 Beschäftigte gekommen sind. „Siemens wurde vor 170 Jahren in Berlin gegründet und gehört zu unserer Industriestadt“, sagt Klaus Abel, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin. „Siemens hat die Pflicht, in die Zukunft zu investieren.“ Ronald Thiel vom Siemenswerk-Görlitz sieht das ganz genauso. „Wir werden weiter gegen den angekündigten Stellenabbau demonstrieren. Wir werden nicht lockerlassen.“

Das versprechen an diesem Vormittag alle Redner auf der zentralen Kundgebung vor dem Hotel Estrel in Berlin, bei der auch Gäste aus der Politik dabei sind, unter anderem SPD-Chef Martin Schulz. „Dass durch Arbeitsplatzabbau die Effizienz des Unternehmens gesteigert wird, heißt übersetzt: Damit wir noch ein bisschen mehr Gewinn machen, schmeißen wir die Leute raus. Das ist asozial“, sagt Schulz.  Und: ergänzt: „Man kann Siemens schon noch mal darin erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland ein großer Auftraggeber ist.“  

„Dieser massive Angriff auf Jobs und Standorte von Siemens in Deutschland ist inakzeptabel“, sagt Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und Siemens-Aufsichtsrat. „Gerade ein Unternehmen wie Siemens muss wirtschaftliche Durststrecken in einzelnen Geschäftsfeldern auch aushalten können. Schließlich wurden gerade wieder Rekordgewinne verkündet.“

Auch Birgit Steinborn, Vorsitzendes des Gesamtbetriebsrates von Siemens, betont das: „Standortschließungen und scheinbar alternativloser Stellenabbau sind keine Lösung und schon gar keine Basis für Verhandlungen“, sagt sie in ihrer Rede. Viel Applaus bekommt auch Predrag Savic, Betriebsratsvorsitzender des Berliner Dynamowerkes,  für seinen Redebeitrag: „Wir als Belegschaft lassen uns nicht spalten in Ost und West oder in einzelne Standorte. Wir kämpfen solange, bis die Schließungen vom Tisch sind.“

Für Jörg Hofmann ist klar, dass die IG Metall die Siemens-Beschäftigten nicht alleine ihrem Schicksal überlassen werde: „Wir werden um jeden Arbeitsplatz, der zur Disposition gestellt worden ist, gemeinsam kämpfen“, sagt der Erste Vorsitzende der IG Metall. Es dürfe keine Schließung und kein Verkauf von Standorten geben. Ebenso dürfe es keine betriebsbedingten Kündigungen geben. „Wir wollen die Kraftwerks- und Fertigungstechnologie in Deutschland erhalten. Wir brauchen zukunftsweisende und langfristige Standortkonzepte. Wir baden doch nicht die Kurzsichtigkeit des Managements aus“, so Jörg Hofmann. „Wir werden zäh sein und wir sind kampffähig.“

Von: Jan Chaberny

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