Ein Leben im und fürs Berliner Dynamowerk

Mister Siemens ist im Ruhestand

21.02.2018 | Olaf Bolduan – der Name steht heute in Berlin für Siemens wie kein anderer: 30 Jahre Betriebsrat im Dynamowerk, davon 20 als BR-Vorsitzender und fast genauso lang Mitglied im Siemens-Gesamtbetriebsrat, außerdem Aufsichtsrats-Mitglied der Siemens AG und diverse ehrenamtliche Tätigkeiten in der IG Metall Berlin oder als Arbeitsrichter. Ein Interview über 45 Jahre Arbeitsleben und den Kampf für mehr Beteiligung und Selbstbestimmung der Beschäftigten.

Berlin 2016: Auf der IG Metall-Kundgebung gegen den geplanten Arbeitsplatzabbau im Dynamowerk vor dem Siemens Verwaltungsgebäude in der Nonnendammallee

Mit Klaus Abel und Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries im Dynamowerk

Februar 2011: Olaf mit dem damaligen DGB-Chef Michael Sommer und dem heutigen IG Metall-Vorstandsmitglied Irene Schulz auf einer Straßenaktion der IG Metall in Berlin Siemensstadt im Rahmen des Aktionstages Leiharbeit fair gestalten! Der Aktionstag zielt auf die Durchsetzung der Forderung Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und richtet sich gegen den Missbrauch von Leiharbeit zur Umgehung von Tarifverträgen.

Berlin 2011: Auf der Betriebsrätefachtagung der IG Metall Berlin

Berlin 2012: IG Metall-Warnstreikkundgebung in der Tarifrunde 2012

Alle Bilder: Christian von Polentz/ transitfoto

Olaf, wie fing Dein Berufsleben an?
Ich bin 1972nach der Fachoberschule mit 20 Jahren direkt zu Siemens und habe da Industrie- und Handelskaufmann gelernt. Siemens fand ich interessant, weil ich da Schreibtischarbeit gut mit Technik in Zusammenhang bringen konnte. Mir war wichtig, nicht nur am Schreibtisch zu sitzen, sondern auch in die Werkstätten gehen zu können.

Daraus sind dann bis heute insgesamt 45 Jahre Siemens geworden. Gab es Alternativen für Dich?
Nicht wirklich, vielleicht Telefunken ganz zu Anfang. Damals gab es ja noch keine Schülerpraktika, ich kannte Siemens nur aus Schilderungen der Verwandten. Das war vorher nur Theorie und Abstraktion, vor Ort sah es dann anders aus.

Du warst kein Gewerblicher, aber trotzdem bald im Betriebsrat. Das war nicht selbstverständlich damals, oder?

Für mich war von vornherein klar, ich will nicht in Exotenvereine, ich will etwas bewirken. Deswegen bin ich gleich in die IG Metall und nicht zu den Personengruppenvertretern der DAG aus dem Angestelltenbereich gegangen. Damals gab es ja noch viel mehr Gewerbliche. Bei der IG Metall waren die Debatten spannend und die IG Metall hat gute Tarife verhandelt. Ich bin dann während der Ausbildung eingetreten und über die JAV in den Betriebsrat gekommen, das war kurz vor der Wende, 1988.

Als der damalige BR-Vorsitzende im Dynamowerk in den Ruhestand ging, hat er Dich gefragt, ob Du das weitermachen willst.
Ich war zunächst ziemlich überrascht. Mir war dann aber schnell klar, dass das eine Lebensentscheidung ist. Wenn man das eine Weile gemacht hat, ist man nicht mehr resozialisierbar. Als Betriebsratsvorsitzender machst Du Dich für die Belegschaft stark und hast Auseinandersetzungen mit Abteilungsleitern und Management. Danach geht es nicht so einfach in den Job zurück.

Was war Dir wichtig im Umgang mit Management und Unternehmensspitze?
Du musst auf Augenhöhe diskutieren und das fachlich durchhalten können. Es hilft auch sehr, die Gesprächspartner als Personen wertzuschätzen, auch wenn man mal anderer Meinung ist. Am Ende sind alle abhängig Beschäftigte, auch die Führungskräfte, die haben nämlich auch Probleme. Das grundsätzliche Problem Arbeit und Kapital ist bei denen ähnlich wie bei den Kollegen an den Werkbänken.   

Hilft der wertschätzende Umgang, wenn es hart auf hart kommt?
Im Grunde ist das Dynamowerk immer ein sicherer Arbeitsplatz gewesen. Aber als um die Jahrtausendwende in der Nachwendezeit der Strukturwandel in Berlin zugeschlagen hat, mussten wir uns gegen die geplante Abwicklung des Werkes wehren. Das Management wollte von 750 auf unter 300 Mitarbeiter runter und große Teile des Portfolios rausnehmen. Da war klar, dass sie letztendlich abwickeln wollten. Natürlich hilft es in dem Moment, wenn Du mit den handelnden Personen einen wertschätzenden Umgang hast.

Was braucht es noch?
Du brauchst wirtschaftliche Alternativen, die tragfähig sind und nicht aus Luftballons bestehen.  Du musst glaubwürdig sein, die Mannschaft muss hinter Dir stehen und Du brauchst Widerstandskraft in der Belegschaft, sich nicht abwickeln lassen zu wollen. Schließlich musst Du immer mit der Belegschaft rausgehen und klarmachen, dass Du nicht weichen willst.

Wie entstehen tragfähige wirtschaftliche Alternativen?

Als IG Metaller können wir gut mit Fachleuten zusammenarbeiten, daraus entwickeln sich Gesprächsebenen und es kommen neue Personen dazu. Die IG Metall hat das Netzwerk zu den entscheidenden Akteuren in der Wirtschaft, in anderen Unternehmen und in die Politik. Aus diesen vielen Einzelteilen wird schlussendlich ein Ganzes und wir haben es damals geschafft, die Abwicklung des Dynamowerkes zu verhindern. Dieses sehr breit gefächerte Netzwerk hat mich bis zum Berufsende getragen: Betriebliche und Externe, auf ganz unterschiedlichen Ebenen. So bekommt man einen Blick auf Innovation und auf den Markt.

Was waren weitere Meilensteine für Dich als Siemens-Betriebsrat?
Das war sicherlich die wegweisende Gesamtbetriebsvereinbarung zu Leiharbeit, die letztlich in ein Gesetz mündete, das die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles auf den Weg bringen konnte. Das war ein Highlight, da ist etwas übriggeblieben, was positiv ist. Mir waren auch Innovationsthemen immer sehr wichtig. Wir haben ja als IG Metall mit Siemens einen Innovationsfonds zur Digitalisierung auf den Weg gebracht. Für mich sind hier Fragen sehr spannend, wie ich Innovation mit Mitbestimmung verbinde.  

Das hört sich zunächst gut an, Digitalisierung fühlt sich für viele aber auch bedrohlich an.

Digitalisierung ist ein Thema, das sich schon sehr lange entwickelt. Ich habe ja die ganze Entwicklung  mitbekommen: Von den Rechenmaschinen über Lochkarten, Magnetbänder und die ersten PCs bis hin zur Cloud heute. Digitalisierung ist kein plötzliches Phänomen, sondern ein Entwicklungsprozess, den man nicht aufhalten kann. Es hat immer Arbeitsplätze gekostet, aber wir waren immer auch sehr exportorientiert und im Wettbewerb erfolgreich. Aber klar: Mit Outsourcing und Offshoring und mit der Cloud, mit der Du rund um die Uhr Zugriff auf alle Daten hast, stehen wir heute vor kräftigen Herausforderungen, vor Quantensprüngen.

Wenn Du Dir Dein Arbeitsleben anschaust: Haben wir als Belegschaften eher gewonnen oder verloren?
In der Wendezeit haben wir Einbußen hinnehmen müssen, da hatten wir Tarifrunden, die gen Null gegangen sind. Das war schwierig. Aber wir haben uns ja längst zu neuen Qualitäten hinbewegt, wir widmen heute Produktivität in Reallohn um und wir bekommen mit der aktuellen Arbeitszeitdebatte mehr Autonomie über unsere Arbeitszeit. Ich habe ja noch die 35 Stunden-Woche mit erkämpft. Insofern sind wir heute viel besser aufgestellt. Und auch die Debatte unter uns ist viel besser geworden. Im Betrieb wird viel mehr diskutiert und auch die Entwicklung in unserer Gewerkschaft macht mir viel Freude. Ich erlebe sehr aktive Jugendvertreter, die kümmern sich um ihre Interessen.
 
Wie hat sich Arbeitswelt verändert, ist sie schneller geworden, spannender?

Sie ist viel intensiver geworden, auch im Betriebsrat. Die Welt früher mit ihren festen Arbeitszeiten war einfacher. Ich habe schon früh für gleitende Arbeitszeiten gestritten auch in der IG Metall. Man hat in der Familie unterschiedliche Situationen, da sind wir flexibler geworden.

Was kommt jetzt nach der Erwerbszeit?
Vor allem meine Familie. Meine Ehefrau hat politisch gut verstanden und mich unterstützt, dass ich viel Zeit für meine Tätigkeiten in Betriebsrat und Gewerkschaft brauchte. Ich habe Glück gehabt, dass ich in meiner Ehe einen guten persönlichen Rückhalt hatte. Interessensvertretung hört ja mit der Rente nicht auf und ich werde zeitlebens ein IG Metaller sein. Ich werde junge Kollegen unterstützen, auch den Verein „Wir für Siemens“, aber vor allem mit meiner Frau und den Kindern und Enkelkindern viel Zeit verbringen und lange vernachlässigte Hobbies intensiver betreiben.

Von: jb

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