24.02.2023 | Das Bundesarbeitsgericht hatte die Frage zu beantworten, ob Urlaub aus lange zurückliegenden Jahren noch vom Arbeitgeber abgegolten werden muss oder nicht. Eigentlich ist es einfach, wenn mensch ins Gesetz schaut. Der Urlaub muss innerhalb des Kalenderjahres genommen werden. Sonst verfällt er. Ausnahme: er konnte aus dringenden betrieblichen oder aus persönlichen Gründen, beispielsweise Krankheit nicht genommen werden.
Dann ist er bis zum 31. März des Folgejahres zu nehmen. Sonst verfällt er dann. So steht es in § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz.
Da aber der gesetzliche Mindesturlaub von vier Wochen in der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie festgelegt und sogar durch die Grundrechtecharta garantiert ist, entscheidet über Grundfragen in Sachen Urlaub der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Und der hat festgestellt: So einfach ist es nicht. Urlaub verfällt nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer/ die Arbeitnehmerin konkret darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub verfallen kann.
Dazu muss er dem Arbeitnehmer/ der Arbeitnehmerin rechtzeitig mitteilen, auf wie viele Urlaubstage er bzw. sie Anspruch hat. Das muss so rechtzeitig geschehen, dass die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer den Urlaub noch nehmen kann. Zudem müssen Arbeitnehmer/-innen darauf hingewiesen werden, dass der Urlaub verfällt, wenn er/sie den Urlaub nicht nimmt. Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2019 (BAG vom 19.2.2019 9 AZR 423/16) angeschlossen.
Die Frage war nun, ob Urlaubsansprüche bzw. der Anspruch auf Abgeltung des Resturlaubs bei Ende des Arbeitsverhältnisses auch verjähren können. Normalerweis verjähren Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. So sieht es das Bürgerliche Gesetzbuch in § 195 BGB vor. Binnen drei Jahren – gerechnet ab Ende des Jahres, in dem der Anspruch entsteht. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber sich dann auf die Verjährung berufen kann und Ansprüche nicht mehr erfüllen muss. Er kann immer, muss aber nicht mehr.
Im Grundsatz verjähren auch Urlaubsansprüche, so der EuGH und das BAG. Aber: die Verjährungsfrist beginnt im laufenden Arbeitsverhältnis dann zu laufen, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflichten erfüllt hat. Hat er dies nicht oder ist der Hinweis nicht konkret genug, beginnt die Verjährung nicht zu laufen.
Ein Beispiel: eine Arbeitnehmerin, deren Arbeitsverhältnis noch besteht, hat im Jahr 2018 fünf Tage gesetzlichen Urlaub nicht genommen. Gründe für eine Übertragung gab es nicht. 2019 hat sie ihn gegenüber dem Arbeitgeber nicht geltend gemacht, weil sie dachte, der Urlaub sei verfallen. Eigentlich wäre dieser Urlaubsanspruch im Jahr 2023 längst verjährt; der Arbeitgeber müsste ihn nicht mehr erfüllen. Denn der Anspruch ist im Jahr 2018 entstanden und damit wäre die Verjährung Ende 2021 eingetreten. Wenn nun aber der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht konkret (mit Hinweis, dass noch fünf Tage Urlaub übrig sind) zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufgefordert hat, dann besteht der Anspruch auf die fünf Tage Urlaub auch noch im Jahr 2023. Das gilt für den Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis.
Im konkreten Fall, den das Bundesarbeitsgericht (22.12.2022 - 9 AZR 266/20) kurz vor Weihnachten entschieden hat, hatte eine ArbeitnehmerIn, die von 1996 bis 2017 angestellt war und deren Arbeitsverhältnis 2017 endete, die Abgeltung von 101 Tagen Resturlaub geltend gemacht. Der Arbeitgeber zahlte nur für 14 Tage und berief sich ansonsten auf die Verjährung. Die Arbeitnehmerin verklagte ihren Arbeitgeber im Jahr 2018 – also vor Ablauf der Verjährung. Das BAG hat entschieden, dass die Urlaubsansprüche nicht im laufenden Arbeitsverhältnis verjährt seien. Die Verjährung greife hier nicht, da der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufgefordert und auf die möglichen Konsequenzen hingewiesen habe. Das BAG hat den Arbeitgeber zur Zahlung von gut 17.000 Euro weiterer Urlaubsabgeltung verurteilt.
Nach Ende des Arbeitsverhältnisses kommt es für den Beginn der Verjährung nicht mehr auf die Erfüllung der Hinweispflichten durch den Arbeitgeber an. Dann beginnt die Verjährung am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis geendet hat. Aber da die Rechtsprechung zu den Hinweispflichten erst seit der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (684/16) in der Welt ist, beginnt die Verjährung im beendeten Arbeitsverhältnis erst Ende 2018. Gut für diejenigen, die alte Ansprüche auf Abgeltung von Urlaub geltend gemacht und eingeklagt haben. Denn das BAG (vom 31.1.2023 – 9 AZR 244/20) hat am 30. Januar dieses Jahres entscheiden, dass das auch für Ausschlussfirsten gilt. Auch die beginnen im beendeten Arbeitsverhältnis in Sachen Urlaub erst 2018 zu laufen.
Es kann sich also lohnen, noch einmal zu prüfen, ob Urlaub aus den vergangenen Jahren, von dem mensch dachte, er sei verfallen, nicht doch noch besteht.
Aber Achtung: Die Rechtsprechung gilt direkt nur für den für den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 4 Wochen: Nur der ist in der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehen. Und nur für den darf der EuGH Recht sprechen. Für den Mehrurlaub (zwei Wochen), der in der Regel im Tarifvertrag vereinbart ist, muss jeweils geprüft werden: Legt der Tarifvertrag fest, dass auch für den tariflichen Mehrurlaub die gesetzlichen Spieregeln gelten, dann findet die Rechtsprechung Anwendung. Wenn aber der Tarifvertrag festlegt, dass für den Mehrurlaub andere Spielregeln gelten, dann sind diese allein maßgebend. Sie können, auch zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vom Gesetz abweichen.