06.06.2025 | Aus dem ehemaligen Autozulieferer Pierburg GmbH wird nach harten Zeiten ab Juli 2025 die Rheinmetall Waffen Munitions GmbH. Voll mitbestimmt wird am Standort in Wedding bis Mitte 2026 die zivile Produktion verlagert, um eine komplett neue Produktion mit neuen Maschinen in Berlin aufzubauen – und damit die Beschäftigung am Standort zu sichern. Bernd Benninghaus, Betriebsratsvorsitzender und sein Stellvertreter Martin Wolfgang Hoffmann berichten.
Wie ist die Lage in Eurem Unternehmen?
Bernd: Wir haben hier am Standort im Wedding gerade eine besondere Situation. Unser Standort wird von der zivilen Produktion – als Automobilzulieferer – umgestellt auf Rüstungsproduktion. Wir bleiben damit Zulieferer, jetzt für die Herstellung von Komponenten der Artilleriemunition für ein Rheinmetallwerk in Niedersachsen. Es handelt sich dabei um eine reine mechanische Bearbeitung der Komponenten, es werden keine explosiven Stoffe verarbeitet.
Martin: Wir haben die aktuelle Krise in der Automobilindustrie als Zulieferer schon im Vorfeld gespürt. Bereits 2024 war das sehr deutlich an der zurückgehenden Auftragslage zu erkennen.
Bernd: Die Umstellung unseres Werks auf die Produktion von Rüstungsgütern ist ein in die Zukunft gerichtetes positives Zeichen. Die Transformation läuft bei uns anders als gedacht, ist aber alternativlos. Durch den jetzt bevorstehenden Übergang erhalten wir alle Produktionsarbeitsplätze am Standort und werden perspektivisch noch Beschäftigung in der Produktion aufbauen.
Wie werdet ihr künftig heißen?
Martin: Bei uns arbeiten rund 345 Kolleginnen und Kollegen. Aus der Pierburg GmbH werden die Beschäftigten (293 inklusive Auszubildenden) des Werkes übernommen und in die Rheinmetall Waffen Munitions GmbH übergehen. Unsere Entwicklungsabteilung mit 40 Beschäftigten bleibt bei der Pierburg GmbH hier am Standort.
Wie nehmen das Eure Kolleginnen und Kollegen auf? Wie ist die Stimmung?
Bernd: Überwiegend positiv würde ich sagen. Mit diesem Wechsel haben wir eine Arbeitsplatzsicherheit für fünf Jahre und mehr. Wir haben letzte Woche in der Betriebsversammlung auch vom Arbeitgeber gehört, dass Rheinmetall eine Sicherheit für die nächste Dekade sieht. Wir kommen aus einer Zeit, in der ständig Restrukturierungsprogramme liefen und nicht mehr in den Standort investiert wurde. Wir kommen jetzt raus aus diesem Kreislauf und sehen als Betriebsrat die Chance, uns wirklich auf die Arbeit konzentrieren zu können. Die Probleme mit alten Maschinen und Anlagen gehören dann der Vergangenheit an.
Martin: Wir bekommen nagelneue Maschinen und Anlagen. Das Thema Rüstung wird natürlich diskutiert, aber die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz überzeugt unsere Kolleginnen und Kollegen.
Bernd: Es gibt Einzelfälle von Kollegen, die ein Problem damit haben, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Für sie hat der Betriebsrat aber ein offenes Ohr.
Martin: Es hebt die Stimmung enorm, dass Rheinmetall massiv in die Infrastruktur investiert. Wie gesagt, die Infrastruktur ist in den letzten Jahren unter die Räder gekommen. Mit dem neuen Maschinenpark kommen auch Investition in den Standort und das ist für die Zukunft extrem wichtig. Das spüren die Kolleginnen und Kollegen.
Euer Unternehmen bleibt also tarifgebunden?
Bernd: Unsere erste Forderung war, dass die Rheinmetall Waffen und Munitions GmbH unserem Arbeitgeberverband in Berlin-Brandenburg beitreten muss. Das wurde uns sofort zugesagt und schriftlich im Interessenausgleich fixiert. Der gesamte Prozess läuft vollmitbestimmt ab. Bei der Pierburg GmbH und der Rheinmetall AG gibt es einen Gesamt-, Konzern- und einen Europäischen Betriebsrat.
Ihr habt also keine Nachteile durch den Übergang?
Martin: Nein, das war schnell klar. Wir sind eine stark organisierte Belegschaft und das hat unser Arbeitgeber in den Interessenausgleichsverhandlungen schnell verstanden und war deshalb zu guten Kompromissen bereit. Für die Berliner Industrielandschaft ist es ein wichtiges Signal und wird gute Synergieeffekte in den nächsten Jahren mit sich bringen.
Was erwartet Euch in den nächsten Monaten?
Martin: Mit dem 1. Juli starten wir mit dem Betriebsübergang in eine neue Zeit. Es wird ein Mammutprojekt. Als Betriebsrat stehen extrem viele, gleichzeitig zu bearbeitende Projekte auf dem Plan: Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, neue Tätigkeitsbeschreibungen und mehr. Wenn die Hallen leergeräumt sind, werden Qualifizierungsprogramme anstehen, die wir als Betriebsrat begleiten müssen. Dann kommen die neuen Maschinen und ab Mitte 2026 soll die neue Produktion laufen. Was wir hier vorhaben ist in der deutschen Industriegeschichte wahrscheinlich so noch nie vorgekommen: innerhalb eines Jahres eine komplette laufende Produktion verlagern und eine gänzlich neue, andere aufbauen. Während wir das Werk leerräumen und für die neuen Anlagen vorbereiten, wird auch die Infrastruktur auf Vordermann gebracht. Wir schneiden also alte Zöpfe ab – und schaffen viel Neues.
Bernd: Es ist ein enormer Kraftakt der Belegschaft, denn wir müssen auch die Vorproduktion stemmen und gleichzeitig komplett neue Prozesse mit der neuen Produktion aufbauen.
Martin: Rheinmetall investiert in unseren Standort, aber auch in unsere Belegschaft mit Qualifikation und Weiterbildung. Das hat sie sich auch verdient. Was die Belegschaft in diesem Prozess, aber auch in den Jahren davor geleistet hat, nicht nur mit Überstunden am Wochenende, ist außergewöhnlich.
Bernd: Wir schreiben hier eine Erfolgsgeschichte am Standort. Und die Alternative für unseren Standort wären wahrscheinlich das Auslaufen der Produktion und am Ende Sozialplanverhandlungen mit der kompletten Schließung gewesen.
Wie werdet ihr von der IG Metall Berlin unterstützt?
Bernd: Wenn wir Themen haben, fragen wir unseren zuständigen Gewerkschaftssekretär Andreas Buchwald und erhalten schnell Antworten. Die IG Metall ist bei uns immer gern gesehen. Und wir freuen uns darauf, wenn Jan Otto, vielleicht gemeinsam mit Kai Wegner unseren Standort besucht.
Martin: Natürlich gibt es immer unterschiedliche Meinungen zum Thema Rüstung. Wir wünschen uns von allen Mitgliedern der IG Metall mit uns im Gespräch zu bleiben, gerade auch wenn sie mit dem Thema Rüstung ein Problem haben. Lasst uns reden und im Austausch bleiben. Schließlich geht es nicht darum, vom eigenen Standpunkt zu überzeugen, sondern Verständnis füreinander zu entwickeln. Das kann uns allen in diesen Zeiten nicht schaden.
Habt ihr Forderungen an die Politik, in Berlin oder im Bund?
Martin: Ja, denn wir brauchen für unseren Prozess Geschwindigkeit. Wir brauchen schnelle Bescheide, Zertifikate und Baugenehmigungen der Behörden in Berlin und im Bund. Durch Bürokratie ausgebremst zu werden, wäre ein sehr schlechtes Zeichen. Es sollte pragmatischer gedacht werden, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Berliner Industrie geht. Unsere Belegschaft will Verantwortung für die Sicherheit Deutschlands übernehmen.
Bernd: Wir werden mehr qualifizierte Facharbeiter/-innen brauchen, um in einem kontinuierlichen Schichtsystem die Produktion zu stemmen. Vom Zerspanungsmechaniker in Fachrichtung Drehtechnik, Mechatroniker, Qualitätsprüfer, Instandhalter, Logistiker und mehr. Für das kommende Ausbildungsjahr (Start Ende August) ist auch noch eine Stelle für eine Fachkraft für Lagerlogistik frei. LINK zur Unternehmensseite
Wir laden den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner herzlich ein, nächstes Jahr einmal unseren Standort zu besuchen und sich ein Bild von der dann vollzogenen Transformation hier am Standort in Berlin-Mitte zu machen.