In Memoriam Erich Lübbe ( † 15.02.1977)

Betriebsrat der ersten Stunde

15.02.2017 | Der Lebensweg von Erich Lübbe gleicht einer Zeitreise durch die deutsche Gewerkschafts-Geschichte und insbesondere ihren sozialdemokratischen Teil. Lübbe steht für die erste Stunde der Betriebsratsarbeit bei SIEMENS, andere wichtige Stationen folgen. Heute erinnern wir an den Mitbegründer der Hans-Böckler-Stiftung, der heute vor 40 Jahren starb.

(c) Fotos privat

Für den fünfundzwanzigjährigen gelernten Dreher sollte der Militärdienst im Ersten Weltkrieg schon nach wenigen Monaten enden, denn SIEMENS reklamierte Fachkräfte für die Rüstungsproduktion. Im August 1915 wird Lübbe im Berliner Dynamowerk eingestellt. Bereits mehrere Jahre ist er da schon im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) organisiert.  Im Zuge der November¬revolution 1918 wählen ihn die Beschäftigten seines Betriebs in den Arbeiterausschuss.  Er wird USPD-Mitglied, wechselt aber 1922 wie viele andere zur SPD.

Lübbe steht für die erste Stunde der Betriebsratsarbeit bei SIEMENS: 1920 wird er nach dem gerade verabschiedeten Betriebsrätegesetz zum Betriebsratsvorsitzenden des Dynamowerks gewählt, kurz darauf wird er der erste Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei SIEMENS.

Der Autodidakt bildet sich beruflich und gewerkschaftlich weiter, wird Vorstandsmitglied der „Internationalen Gesellschaft zur Bestgestaltung der Arbeit“, ist Mitglied im Berliner Ortsvorstand des DMV und wird in den Hauptvorstand delegiert. Überdies ist er ehrenamtlicher Arbeitsrichter und im Vorstand der Funktechnischen Vereinigung. Sein politisches Engagement führt ihn 1932 in den Reichstag, wo er am 23. März 1933 als Abgeordneter der SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz stimmt.


1933 – 1945
Tage später kommt es bei SIEMENS zur Besetzung der Betriebsratsbüros durch die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO). Aber Lübbe will sein Büro selbst unter Androhung von Waffengewalt nicht verlassen und verbarrikadiert sich. Heftig Widerstand leistend, wird er schließlich von vier Mann aus seinem Büro herausgetragen.

Trotz einem über Jahre gewachsenen und engen Verhältnis zum Firmenchef Carl-Friedrich von Siemens kündigt SIEMENS Mitte Mai das Arbeitsverhältnis mit Lübbe. Die Pogromstimmung in diesen Monaten des Umbruchs zwingt ihn zum Untertauchen. Häufig wechselt er seinen Aufenthaltsort innerhalb Deutschlands und bleibt bis 1935 ohne Arbeit. Da stellt ihn überraschend die Heliowatt AG in Berlin, die zum Siemens-Konzern gehört, als Radiotechniker ein. 

Lübbe hält in diesen Jahren Kontakt zum sozialdemokratischen Widerstand um Max Urich, den ehemaligen Bevollmächtigten der Berliner DMV-Verwaltungsstelle.  Das bleibt der Gestapo nicht verborgen, aber ihm ist nichts nachzuweisen.

Am 1. September 1939, dem Tag des Überfalls auf Polen, wird er im Rahmen einer landesweiten Verhaftungsaktion vom Arbeitsplatz weg verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht. Jeglicher Widerstand gegen den Krieg soll im Keim erstickt werden.

Zunächst zu Schwerstarbeit verpflichtet, wird Lübbe von den Deutschen Ausrüstungswerken, einem SS-Betrieb, aufgrund seiner technischen Fertigkeiten in die Elektrowerkstatt versetzt, wo er Radiogeräte reparieren muss. Lübbe wird auch die Überwachung und Wartung der Lautsprecher-anlage des Lagers übertragen. Die damit verbundene Bewegungsfreiheit nutzt er zur Information über das, was ‚draußen‘ vor sich geht. Seit sich die militärische Niederlage der Wehrmacht abzeichnet, stellt man im engsten Kreis von Sozialdemokraten konspirativ Überlegungen zur Zukunft Deutschlands an und trifft alle Vorkehrungen, um zu überleben. Lübbe überlebt das Lager Sachsenhausen und auch den sogenannten ‚Todesmarsch‘ Ende April 1945.

Nachkriegszeit
In den ersten Nachkriegsjahren formieren sich Gewerkschaften und Parteien neu - geprägt durch die Weichenstellungen der Siegermächte, die auf eine Teilung Deutschlands hinauslaufen.  Für jeden einzelnen der politisch Aktiven heißt es, sich orientieren, die eigene Position finden. Am diffizilsten ist die Situation in der Viersektorenstadt Berlin. Und das bekommt auch Erich Lübbe zu spüren:
Im Sommer 1945 wird Lübbe Mitbegründer der IG Metall im Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB).

Als Sekretär des Landesverbandes Berlin der SPD vollzieht er im April 1946 die Vereinigung mit der KPD und wird in den Berliner Landesverband und den zentralen Parteivorstand der Sozialiastischen Einheitspartei (SED) gewählt. Lübbe ist zudem ab Herbst 1946 Stadtverordneter und Leiter der städtischen Betriebe Berlin. Zunehmende Anfeindungen und Repressalien von kommunistischer Seite gegen ehemalige SPD-Mitglieder bewegen ihn zwei Jahre später, als Leiter zurückzutreten und alle SED-Parteiämter niederzulegen. Ende 1950 erklärt er seinen Austritt aus der SED und wird 1951 wieder Mitglied der SPD.

Nach einer kurzen freiberuflichen Tätigkeit als „Mitarbeiter für Entgeltfragen“ bei SIEMENS wird Lübbe noch 1951 zum Leiter der „Abteilung Mitbestimmung“ beim DGB Düsseldorf berufen. Ab 1958 bis zu seinem Ruhestand 1961 ist er Geschäftsführer der „Stiftung Mitbestimmung“, heute bekannt unter dem Namen Hans-Böckler-Stiftung.

Im betagten Alter von 85 Jahren stirbt Lübbe am 15. Februar 1977 in Berlin. Menschen wie er haben den sozialen und demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik maßgeblich aufgebaut. Wir haben ihnen viel zu verdanken.

Von: mn

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