Flexibel Arbeiten

„Das zerreißt nach wie vor hauptsächlich Frauen“

28.02.2017 | Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist für Frauen zentrales Thema – unabhängig ob sie Schicht arbeiten oder Kind und Beruf unter einen Hut bringen wollen. Früher haben Kernzeiten Frauen in die Teilzeit gezwungen. Hier öffnen flexible Arbeitszeiten neue Möglichkeiten. Aber es gibt auch gegenläufige Entwicklungen.

Christine Grüneberg arbeitet Schicht im Siemens Schaltwerk.

Regina Katerndahl, die Zweite Bevollmächtigte der IG Metall in Berlin sieht die strikte Mann-Frau-Trennung in Sachen Kindererziehung aufweichen.

Manuela Wegener ist Betriebsratsvorsitzende bei Coriant.

„Wenn meine Kita nicht bis 21 Uhr geöffnet wäre, wären wir aufgeschmissen“, sagt Christine Grüneberg. Seit fast 30 Jahren arbeitet die 47-Jährige Schicht im Siemens Schaltwerk. In dieser Zeit hat sie zwei Kinder alleine groß gezogen. Nun hat sie mit ihrem jetzigen Partner noch eine Tochter bekommen. Zu zweit sind die Dinge leichter geworden. Entspannt sind sie nicht. Denn ob sie gut leben können oder nicht, hängt eben auch von Kita-Öffnungszeiten und wohlwollenden Chefs ab.

Wie Christine Grüneberg geht es vielen Berliner Frauen - und auch immer mehr Männer -, die sich mühen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Nicht selten kämpfen sie mit schlechtem Gewissen: ihren Kindern gegenüber, ihren Partnern und den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb. Flexibilisierung der Arbeit, dahinter steckt bei Berlinerinnen wie Christine Grüneberg der Wunsch nach mehr Spielräumen. Manchmal braucht es nicht viel. Zuhause bleiben können, wenn das Kind krank ist, ein Handwerker kommt, Angehörige länger gepflegt werden müssen. Einiges hat sich bereits verändert. „Das Verständnis für mich als Mutter im Betrieb ist größer geworden“, sagt sie.

Positives sieht auch Regina Katerndahl, die Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Berlin: „Heute kann man nicht mehr sagen, Kinder versorgen ist reine Frauensache, die strikte Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen weicht immer mehr auf“. Denn zunehmend mehr Männer nutzen die Elternzeit, wollen ihre Kinder begleiten und übernehmen Pflichten im Haushalt. De facto sind es aber nach wie vor mehrheitlich Frauen, die sich um die Kinder kümmern, Teilzeit arbeiten und geringere Entgelte und schlechtere Aufstiegschancen hinnehmen.

Zudem verdichtet sich die Arbeit. Die Unternehmen fordern eine Flexibilität ein, die sich an den Bedürfnissen des Unternehmens ausrichten, oft ohne die Folgen für die Beschäftigten zu berücksichtigen. Es gibt also zwei Blickwinkel auf die Flexibilisierung.

Gerade Schichtarbeit ist an feste Arbeitszeiten gekoppelt. Coriant ermöglicht seinen Beschäftigten jedoch eine Gleitzeit von plus minus einer Stunde. „Unsere Leitung kommt uns entgegen. Zusammen finden wir immer eine Lösung im Sinne der Beschäftigten“, sagt Manuela Wegener, Betriebsratsvorsitzende bei Coriant. Dazu gehört auch: alle Überstunden werden erfasst und mit der Betriebsleitung hat der Betriebsrat eine Kampagne gegen zu lange Arbeitszeiten pro Tag erfolgreich durchgeführt.

Bei Daimler hat der Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung erreicht, die jedem Beschäftigten das Recht auf mobiles Arbeiten einräumt, sofern diese mit der Arbeitsaufgabe vereinbar ist. „Seit dem 1.12. setzen wir die neue Vereinbarung Stück für Stück um. Sie erlaubt Frauen wie Männern mehr Flexibilität und eine selbstständigere Planung, wann und wo sie ihre Arbeit erfüllen“, sagt Beate Rudolph, Betriebsrätin im Mercedes Werk in Marienfelde. Seit 1986 bei Daimler, sieht die Betriebsrätin eine gute Entwicklung: „Gerade die 35 Stundenwoche hat es uns erleichtert, Familie und Beruf zu vereinbaren, Teilzeitarbeit ist heute akzeptierter als früher. Jetzt gehen wir mit mobilem Arbeiten den nächsten Schritt“, sagt die Mutter von zwei Kindern.

Bei Thales Transport Systems sind sie, was das mobile Arbeiten angeht, ebenfalls schon weit. Allerdings leiden die Beschäftigten unter dem Zwei-Tarif-Chaos, seitdem der Betrieb von Tempelhof nach Mitte umgezogen ist und damit von der Tarifzone I in die Tarifzone II (Ostberlin und Brandenburg). Während die Westler 35 Stunden in der Woche arbeiten, schuftet die Kollegin, am Schreibtisch gegenüber vielleicht 38 Stunden, weil sie erst nach dem Umzug eingestellt wurde.

Bei Thales Transport Systems identifizieren sich die Beschäftigten, hauptsächlich Ingenieurinnen und Ingenieure, sehr mit ihrer Arbeit. Und sie stehen unter gewaltigem Druck. Die Arbeitszeit ist bei Thales sehr flexibel organisiert – im Sinne von Unternehmen und Beschäftigten. „Wir haben ein individuelles Gleitzeitkonto, das uns eine hohe Eigenständigkeit erlaubt. Überstunden werden bezahlt oder können als Freizeit genommen werden“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Dorothea Lay. Home Office empfinden die Beschäftigten als Erleichterung, aber sehen darin keine Alternative. „Wir müssen ja untereinander sehr viel kommunizieren, aber die Freiheit, ab und zu von zu Hause zu arbeiten, schätzen alle im Unternehmen.“ Anfängliche Befürchtungen  einiger Führungskräfte, dass sie ihre Leute dann gar nicht mehr sehen, haben sich nicht bewahrheitet. Im Thales-Konzern ist der Berliner Standort das Pilotvorhaben in Sachen mobiles Arbeiten.

Dorothea Lay freut sich über die Fortschritte bei der Flexibilisierung, die sie aus eigener Erfahrung vorangetrieben hat. „Früher hatten wir noch eine Kernzeit und die konnte ich nicht einhalten, also habe ich Teilzeit gearbeitet, um für meine Tochter da sein zu können“, sagt sie. So haben es viele Frauen getan. Die eigene Karriere bremst so ein Schritt nach wie vor aus. „Wenn Du Dir die Führungsebenen anschaust, sind Frauen im Durchschnitt zehn Jahre älter als ihre männlichen Kollegen“, sagt sie. Karriere und Kinder gleichzeitig stemmen, „zerreißt nach wie vor hauptsächlich Frauen. Deshalb ist Flexibilisierung für uns so wichtig.“

Von: mn

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