IG Metall Berlin will wachsen

Delegiertenversammlung stimmt Leitbild zu

06.12.2021 | In einem mehrwöchigen Prozess hat die IG Metall Berlin ein Leitbild formuliert. Am gestrigen Donnerstag hat die Delegiertenversammlung das Leitbild verabschiedet. Es formuliert das Selbstverständnis der IG Metall, ihre Ziele und wie sie diese erreichen will. Klar ist: für gute, sichere Arbeitsplätze muss man sich einmischen und organisieren.

Das Leitbild gibt Orientierung auf dem Weg in die Zukunft. (c) alle Fotos Christian von Polentz / transitfoto.de

Auf der Transformationskonferenz am 2. September sprechen Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin und Regina Katerndahl, Zweite Bevollmächtigte, mit Berliner Spitzenpolitiker*innen.

Im Dezember 2020 organisieren der Daimler-Betriebsrat und die IG Metall Berlin den Widerstand gegen die Vorstandspläne, die das älteste Daimlerwerk ausbluten lassen wollen.

Der Ortsvorstand der IG Metall Berlin (c) privat

Beschäftigte von Siemens Energy demonstrieren gegen die Kahlschlagpläne des Vorstandes.

Eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre wird es sein, die ökologische und digitale Transformation in den Berliner Industriebetrieben sozial zu gestalten. „Die Transformationsprozesse werden an Härte zunehmen. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Zukunft in die eigenen Hände nehmen“, sagt Jan Otto.

Das Leitbild ist dabei der Stern, an dem sich alle ausrichten können. „Wir formulieren darin nicht nur Ziele, sondern vermitteln auch Nicht-Mitgliedern, für was die IG Metall steht und wie wir uns für unsere Ziele einsetzen", sagt Regina Katerndahl, Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Berlin.

Ziele zu formulieren ist dabei nur der erste Schritt: „Für unsere Mitglieder, unsere Kinder und nachfolgenden Generationen treten wir für eine digitale und ökologische Transformation ein, die in eine sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaft führt und die wir als IG Metaller*innen demokratisch mitbestimmen.“ Und die sichere und tariflich gut bezahlte Arbeitsplätze bedeutet.

Dieses Ziel bekommen Beschäftigte, Betriebsräte und IG Metall nicht geschenkt. Dafür reicht ein Blick zurück. 16 Streikwochen hat es 1956 gedauert, bis sich die Beschäftigten die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiter erkämpft hatten. 1984 dauerte der Arbeitskampf sechs Wochen, bis der Einstieg in die 35-Stundenwoche erreicht worden war. Auch eine ökologische und sozial gerechte Transformation wird es nicht ohne Konflikte geben.

Das Leitbild formuliert den Anspruch, sich für diese Ziele gemeinsam einzusetzen. Der endgültigen Fassung ging ein intensiver Prozess voraus. „Wir haben das Leitbild über mehrere Tage entwickelt, diskutiert und Schritt für Schritt aufgeschrieben“, sagt Lars Papenbrock, Betriebsratsvorsitzender bei der Procter &  Gamble GmbH und Mitglied des Ortsvorstands. Diskutiert haben es der gesamte Ortsvorstand plus einige Gewerkschaftssekretäre. Auch Fevzi Sikar, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Daimler in Marienfelde und ebenfalls Mitglied des Ortsvorstand hat daran mitgewirkt. „Unser gemeinsames Leitbild ist mutig und selbstbewusst. So müssen wir auch auftreten, wenn wir stärker werden wollen“, sagt er zu den Delegierten.

Nur wenn wir in den Betrieben gut organisiert sind, können wir unsere Ziele erreichen

Arbeitskämpfe gelingen, wo sich Beschäftigte organisieren, die IG Metall in den Betrieben stark verwurzelt ist. „Deshalb wollen wir bis 2023 auf 35.000 Mitglieder anwachsen und bis 2030 auf mehr als 40.000 Mitglieder“, sagt Jan Otto auf der Delegiertenversammlung. Bereits in diesem Jahr ist die Zahl der aktiv Beschäftigten um mehr als 400 Mitglieder zum Vorjahr gestiegen.

Das Leitbild formuliert Ziele, aber auch Grenzen: „Nur wenn wir in unseren Betrieben und Branchen gut organisiert sind, können wir unsere Ziele erreichen.“ Diese Einschätzung hat sich auch in diesem Jahr bewahrheitet.

Daimler: Weitreichendste positive Transformation

Bei Daimler hatte der Vorstand im Herbst 2020 bekanntgegeben, nicht mehr in das Motorenwerk investieren zu wollen. Daraufhin haben Beschäftigten, Betriebsrat und IG Metall den Widerstand gegen diese Pläne organisiert und gleichzeitig mit Wirtschaftsexperten ein tragfähiges Alternativkonzept ausgearbeitet.

Diese Mischung aus Konflikt und Konzept im Zusammenspiel mit einer sehr gut organisierten Belegschaft und einer aktiven Kommunikation in Richtung Politik und Medien hat eine große Wucht erzeugt – und für eine positive Veränderung gesorgt. Am 18. November 2021 verkündete der Daimler-Vorstand, dass er das Berliner Werk zum Mercedes-Benz Digital Factory Campus und einem Kompetenzzentrum für Elektromotoren ausbauen wolle, in dem künftig darüber hinaus elektrische Hochleistungsmotoren gefertigt werden. „Das ist ein Meilenstein für unser Werk“, sagt Fevzi Sikar. Jan Otto ortnet es noch höher ein: „Wir haben bei Daimler die weitreichendste Transformation eines Werkes verhandelt und damit dem Werk wieder eine Zukunft gegeben.“

Auch beim Arbeitskampf um Siemens Energy haben Betriebsräte und IG Metall viel erreicht. „Aber es hätte deutlich mehr sein können, wenn wir besser organisiert gewesen wären“, erklärt Otto. Inzwischen organisieren Vertrauensleute, Betriebsräte und IG Metall wöchentliche Bereichssitzungen mit den Beschäftigten und mehr und mehr treten in die IG Metall ein. Das registriert auch der Arbeitgeber und siehe da, eine Produktzusage erfolgt ein Jahr früher als noch angekündigt.

Die IG Metall Berlin muss ihre Ressourcen gut einteilen

Jeder dieser Konflikte kostet Kraft und absorbiert Ressourcen. Deshalb muss die IG Metall auch haushalten mit ihren Kapazitäten. „Wo wir antreten, wollen wir auch gewinnen“, sagt Jan Otto. Deshalb hat die IG Metall neben dem Leitbild auch einen Fokusprozess gestartet, der sicherstellen soll, dass sie möglichst viel für ihre Mitglieder erreichen kann.

Dazu fokussiert die IG Metall Berlin stärker auf Betriebe, in denen Betriebsräte und Beschäftigte bereit sind, sich gemeinsam auf den Weg zu machen; für bessere Arbeitsbedingungen im Betrieb, um einen IG Metall-Betriebsrat zu wählen, für einen Tarifvertrag zu kämpfen. Was das bedeutet, zeigen drei Beispiel von Betrieben auf, die nicht unterschiedlichen sein könnten, die aber eines verbindet.

Bei Daimler haben sie im Konflikt die ohnehin hohe Zahl der Mitglieder weiter gesteigert. Bei Berliner Glas haben sich Beschäftigte organisiert, um die Betriebsratsarbeit zu verändern. Sie haben Mitglieder organisiert und bei der Betriebsratswahl 13 von 15 Mitglieder für die IG Metallliste gewonnen. Bei Kieback + Peter haben Beschäftigte mit einem halben Dutzend Metallerinnen und Metallern angefangen und inzwischen einige hundert Mitglieder geworben.

Mit dem Fokusprozess zum einen und dem dem Leitbild zum anderen wird die IG Metall Berlin gestärkt in den nächste Jahr starten. Das Konzept überzeugte auch die Delegierten. Sie haben das Leitbild – bei einer Enthaltung – einstimmig angenommen.

Von: Michael Netzhammer

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