30 Jahre Mauerfall:

Der Tag, auf den Berlin 28 Jahre gewartet hat

21.11.2019 | Für die IG Metall Berlin war der Mauerfall der Startschuss für viele neue Kolleginnen und Kollegen. Viele Beschäftigte im Osten mussten zusehen, wie ihre Arbeitswelt auf dem Scheiterhaufen der Geschichte landete. Gemeinsam mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) erinnerten sich 60 Zeitzeugen und Interessierte im IG Metall-Haus an die bewegenden Jahre nach 1989.

Spannung pur: Die IG Metall Berlin spricht über 30 Jahre Mauerfall

Als Walter Momper über die Entwicklung der Arbeitsplätze spricht, hat er die Aufmerksamkeit aller, die in den Alwin-Brandes-Saal der IG Metall Berlin gekommen sind. Ihn habe in den bewegenden Tagen und Monaten vor allem auch die Sorge um die Arbeitsplätze umgetrieben, erzählt der Regierende Bürgermeister der Wende-Jahre gewohnt berlinerisch trocken.

Volkswirte hätte ihm anfangs prognostiziert, dass 20 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen würden, der Rest bleibe erhalten. Im Laufe der Zeit hätten sie dann auf 40 Prozent erhöht. „Letztendlich blieben dann 20 Prozent der Arbeitsplätze übrig“, erzählt Walter Momper.

Wenn Walter Momper bei seinen Besuchen der DDR-Betriebe in die Augen der Menschen guckte, war ihm klar, dass er als Regierender Bürgermeister Berlins wenig ausrichten konnte: "Ich wusste um die Erwartungen der Menschen und ich konnte ihren Erwartungen nicht entsprechen. Das war völlig klar."

Welch verheerende Bilanz: 80 Prozent der Arbeitsplätze im Ostteil der Stadt waren nach wenigen Jahren verschwunden, und mit ihnen die Hoffnung vieler Menschen, dass mit dem Mauerfall nun Glück und Wohlstand in ihr Leben einziehe, oder zumindest ein spannendes Berufsleben.

„Herausfordernd und überfordernd“, sei die Situation damals gewesen, sagt der ehemalige DGB-Landesvorsitzende Dieter Scholz. „Verstörend, aber auch hoffnungsvoll.“ Hätte man das Betriebesterben im Osten verhindern können?  Vielleicht. Dafür hätte es aber mehr gebraucht, auf beiden Seiten der ehemaligen Mauer, sagt Dieter Scholz: „Wenn es im Osten eine realistischere Einschätzung der ökonomischen Lage gegeben hätte, wenn es im Westen ein ernsthaftes Wollen für den Umbau und die Modernisierung der DDR-Ökonomie zum Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen gegeben hätte und wenn man in beiden Teilen Deutschlands dem Versprechen „blühender Landschaften“ nicht unkritisch hinterhergelaufen wäre.“

Wenn sich Bettina Haller, die heutige Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Siemens Mobility, erinnert, dann sind es auch die Chancen, die ihr einfallen. Aber vor allem sind es die vielen schweren Momente beim Personalabbau, bei den Schließungen und Teilschließungen: „Ich habe in diesen extrem spannenden und anstrengenden Jahren sehr viel gelernt. Persönlich habe ich großes Glück gehabt. Ich bin immer noch im gleichen Betrieb und mein Mann und ich waren nicht einen Tag arbeitslos.“

Wenig hat die Berliner Industrie stärker beeinflusst als der Mauerfall vor 30 Jahren: „Der Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten hat in erheblichem Maße und in überaus kurzer Zeit die Industriesubstanz drastisch verändert“, sagt Birgit Dietze, die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin.

Die IG Metall Berlin hat die Strukturen und Akteur*innen im Ostteil mit allen Kräften unterstützt. „Die IG Metall war schwer gefordert und hat eine Menge geleistet“, sagt Bettina Haller. „Aber auch in der IG Metall gab es den gleichen Trend wie in der Gesellschaft, also die Ostdeutschen eher zu belehren und ihre Lebensleistung nicht wirklich anzuerkennen, anstatt mit ihnen zu sprechen und ihre Erfahrungen aufzunehmen und in die gemeinsame Entwicklung zu integrieren.“

Dieter Scholz sieht es so: „Die IG Metall Berlin hat einen hoch engagierten Kampf gegen einen politischen Tsunami geführt, der die Akteure immer wieder an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht hat.“

Aus der Sanierung der DDR-Wirtschaft, was ihr eigentlicher Auftrag war, machte die Treuhand im Schulterschluss mit den Wirtschafts-Akteuren aus dem Westen tatsächlich eine Zerschlagung der DDR-Wirtschaft. Auch davon erzählten die Zeitzeugen.

„Ob es unter den Bedingungen des Kapitalismus wirklich eine andere Lösung gegeben hätte, weiß ich nicht. Na klar hätte ich mir eine andere gewünscht“, sagt Bettina Haller. „Ich bin mir aber zumindest sicher, dass man das viele öffentliche Geld eher in sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten hätte investieren sollen. Denn die Arbeitslosigkeit hat das Wertegefühl der Menschen stark beschädigt.“

Für die 60 Teilnehmenden war es eine sehr spannende Veranstaltung. Was manchen wie gestern vorkommt, ist tatsächlich nun schon ein halbes Leben her. 28 Jahre teilte die Mauer Berlin in Ost- und West-Berlin. Heute ist sie länger weg, als sie die Stadt und die Menschen voneinander getrennt hat.

Von: Jörn Breiholz

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