Industrie in Berlin

Fünf Minuten zur Berliner Industrie – Heute mit Fevzi Sikar und Bojan Westphal, Mercedes-Benz Werk

16.12.2024 | Mit zahlreichen Interviews werden wir in den kommenden Wochen einen Scheinwerfer auf die Industrie in Berlin richten. Wir zeigen Menschen aus den Industrieunternehmen und fragen sie nach dem Stand der Dinge. Mit Fevzi Sikar, Betriebsratsvorsitzender, und seinem Stellvertreter Bojan Westphal, Mercedes-Benz Werk, starten wir die Reihe.

Fevzi Sikar, Betriebsratsvorsitzender und Bojan Westphal, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender im Mercedes-Benz Werk Berlin - Foto: IG Metall

Demo für das Mercedes-Benz Werk im Dezember 2020 - alle weiteren Fotos: Christian von Polentz

Fevzi, Bojan: Wie ist die Lage bei Euch im Unternehmen?

Fevzi: Die Lage ist herausfordernd und angespannt. Auch wir spüren die Krise der Automobilindustrie hier im Werk in Berlin. Allerdings hat sich unser Konzern besser auf eventuelle Krisen vorbereitet als VW. Aber es sieht aktuell nicht gut aus. Die Auftragslage ist nicht gut, insbesondere beim China-Geschäft.

Warum? Wie hängt Ihr mit anderen Unternehmen zusammen?

Bojan: Die Automobilindustrie ist generell auf dem Prüfstand in Deutschland und das betrifft auch alle Zulieferer. Die Konsolidierung der Automobilhersteller ist auf dem Prüfstand. Die E-Mobilität und die Elektroautos kommen aktuell auf dem Markt nicht so gut an, wie es sich die Unternehmen wünschen oder erwartet haben. Und das betrifft, wie Fevzi schon gesagt hat, auch den chinesischen Markt. Das hat massive Auswirkungen gerade auch auf Mercedes. Denn die strategische Ausrichtung von Electric First auf Electric Only und nochmal die Verschärfung fruchtet nicht. Jetzt müssen Modelle und Bauweisen angepasst werden, um für Kunden wieder attraktiv zu werden. Das wird uns die nächsten ein, zwei Jahre sicher beschäftigen.

Wie ist die Stimmung in Eurem Unternehmen?

Fevzi: Die Stimmung bei uns ist gezeichnet von Verunsicherung. Das erleben wir in der gesamten Belegschaft, also in der Produktion bis hin zu Führungskräften. Noch erzielen wir am Markt Gewinne. Wir sind noch nicht in der Verlustzone. Aber die Stimmung reicht von ängstlich über verunsichert bis zu „Was kommt auf uns zu in den nächsten Wochen und Monaten?“ Und das kann keiner voraussehen. Das Unternehmen stellt sich jetzt neu auf.

Was erwartet Ihr in den nächsten Monaten und Jahren? Ausblick?

Fevzi: Alle Kostenstrukturen werden vom Vorstand neu betrachtet und bewertet, insbesondere die Fixkosten. Zu den Fixkosten zählen auch die Personalkosten. Noch kennen wir keine Zahlen, Daten, Fakten. Wir sind sehr gespannt, wie sich das Unternehmen hierzu aufstellt, weil die Fabriken nicht optimal ausgelastet sind. Analog der neuen Produkte, die in den nächsten drei Jahren entwickelt werden, muss hier die Auslastung neu angepasst und optimiert werden.

Es ist nicht geplant, Leute rauszuschmeißen. Denn wir haben eine Zukunftssicherung 2030, die wir als Gesamtbetriebsrat um weitere fünf Jahre verlängern wollen, damit wieder Ruhe einkehrt in der Belegschaft.

Bojan: Genau. Es geht um Sicherung in schwierigen Zeiten.

Fevzi: Wenn das Unternehmen Kostenstrukturen nach unten anpassen will, fordern wir dafür Sicherheit für die Belegschaft.

Wobei unterstützt Euch die IG Metall Berlin?

Bojan: Zum einen hat uns unsere IG Metall dabei unterstützt, dass wir in der Belegschaft noch einmal eine starke Mobilisierungsfähigkeit hergestellt haben. Es war auch wichtig, die Tariferfolge einmal rückwärts darzustellen. Das greift jetzt alles für die Unternehmen als Ankerpunkt: T-ZUG, also die Wahlmöglichkeit von Zeit und Geld. Und die Unternehmen hätten die Chance, die 4-Tage-Woche einzuführen. Davon würden beide Seiten profitieren. Unsere IG Metall unterstützt uns auch bei der Vernetzung der Industriebetriebe in Berlin. Wir Metallerinnen und Metaller sind in mehreren Arbeitskreisen miteinander verbunden. Wir können voneinander lernen. Wir gehen in den Austausch im Netzwerk und leben Solidarität untereinander. Die Krise der Industrie betrifft uns alle. Berlin ist hier besonders. Wenn Du in Deutschland fragst: Wo ist Mercedes? Dann werden alle „Stuttgart“ sagen. Und frag einen Berliner: Gibt es ein Mercedes-Benz Werk in Berlin? Dann hörst Du wahrscheinlich häufig: „Oh, weiß ich nicht.“ Es ist daher wichtig, dass wir sichtbar machen, wie viele gute Industrieunternehmen wir in Berlin haben.

Was für Forderungen habt Ihr an die Politik in Berlin und im Bund?

Fevzi: An die Politik: Wir brauchen einen Runden Tisch für das Thema Transformation und Industrie in Berlin. Wir müssen sichtbar machen, dass Berlin eine Industriestadt ist. Wir sind ein wichtiger Produktionsstandort. Bei einem Runden Tisch, an dem wir gerne teilnehmen würden, könnten wir regelmäßig gemeinsam besprechen, wie wir uns unterstützen und sauber durch die Transformation kommen können.

Bojan: Wir könnten Synergieeffekte schaffen, Kooperationen mit anderen. Das wäre der Hinweis an die Berliner Politik: Es ist super, dass der Regierende Bürgermeister sich für den Erhalt der Industrie einsetzt. Wir müssen Berlin aber auch attraktiv für andere Industrieunternehmen machen, damit sich noch mehr Industrieunternehmen in Berlin ansiedeln.

Fevzi: Ich würde mich freuen, wenn die Politik Werbung dafür macht, dass mehr Vorstände nach Berlin ziehen… beispielsweise bei uns von Stuttgart nach Berlin. Näher an der Politik zu sein, wäre ja nicht schlecht. Aber noch wichtiger wäre die Subventionierung und Förderung von E-Mobilität und Ladesäulen. China ist uns da weit voraus. Der Kunde kauft erst, wenn das Produkt billiger wird. Durch die Einstellung der Förderung von E-Autos haben wir ganz klar gesehen, dass der Verkauf rückläufig war.

Bojan: Mir ist noch der Ausbau der Infrastruktur wichtig.

Das Mercedes-Benz Werk in Berlin-Marienfelde:

Im September 2020 hatte das Management von Mercedes-Benz angekündigt, nicht mehr in die Motorenproduktion im Werk in Berlin investieren zu wollen. Zwei Jahre später wurde der Digital Campus feierlich in Berlin-Marienfelde eröffnet. Dazwischen lag harter, aktiver Widerstand und das gemeinsame Ringen von Belegschaft und IG Metall um das Werk in Berlin. Heute ist aus einer drohenden Werksschließung des ältesten produzierenden Werks von Mercedes-Benz der Weg frei dafür, dass das Werk ein Leuchtturm der Transformation wird.

Rund 2.000 Beschäftigte produzieren in Berlin unter anderem Komponenten für E-Drive-Systeme. Im Digital Campus werden seit 2022 wegweisende MO360 Softwareapplikationen entwickelt, erprobt und implementiert. Berlin wird damit zum Kompetenzzentrum für Digitalisierung. Im Campus werden auch Beschäftigte qualifiziert und trainiert. Das Unternehmen spricht von „der Transformation eines Produktionsstandortes hin zu einem Kompetenzzentrum für Digitalisierung und Produktion im Bereich der E-Mobilität.“

Von: Andrea Weingart

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