17.07.2021 | Einige junge Menschen wissen heute nicht mehr, welche Aufgaben Gewerkschaften haben und warum es gerade in der Transformation Sinn macht, Mitglied zu werden. Das ändert sich gerade. Bei den unter 27-Jährigen wächst die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. Dem Magazin Der Spiegel haben drei junge Berliner Metaller*innen erzählt, warum sie sich in der IG Metall Berlin engagieren.
Gewerkschaften gelten einigen Menschen als verstaubt oder altmodisch, auch weil sie ihre Rolle bei Tarifauseinandersetzungen, bei der Bekämpfung von Arbeitsplatzverlusten oder bei der zukunftsfähigen Gestaltung von Unternehmen nicht kennen. Neoliberale Ideologen freut das, weil starke Gewerkschaften ihnen Paroli bieten. Doch gerade die unter 27-Jährigen engagieren sich wieder verstärkt in den Gewerkschaften, weil sie am eigenen Leib erfahren, wie wichtig eine starke Arbeitnehmervertretung für gute Arbeitsbedingungen ist. „In Berlin gibt es sehr viele Start-ups. Dort ist alles hip und man duzt sich. „Nur gearbeitet wird total entgrenzt, der Arbeitstag ist oft beliebig lang und gezahlt wird oft ziemlich beschissen“, sagte Jakob Heidenreich dem Spiegel.
Work Life Balance gewerkschaftlich durchsetzen
Wie Fabienne Gehrke und Enrico Wiesner engagiert sich der 23-jährige Politikstudent in der IG Metall Berlin, zum Beispiel im Ortsjugendausschuss. Damit Beschäftigte in der Familie oder als Individuum die gewünschte Work Life Balance hinbekommen, sind Gewerkschaften wichtige Partner – insbesondere in hippen Unternehmen ohne Tarifbindung. „Die eigene Individualität entfalten können, ist gut und wichtig“, zitiert ihn der Spiegel. Aber Arbeitsbedingungen wie Wochenarbeitszeit, flexible Arbeitszeiten oder mehr Urlaubstage im Sinne der Beschäftigten zu gestalten, das erreiche man eher im Kollektiv.
Startercamp 2021 – Leute kennenlernen, Infos abgreifen, Spaß haben
Diese Erkenntnis ist zum Beispiel ein Thema, das sie auf dem Startercamp der IG Metall Berlin jungen Menschen kurz vor ihrem Ausbildungsstart mit auf den Weg geben. „Auf dem Startercamp können sie unabhängig von ihrem Betrieb und ihren Chefs andere Auszubildende kennenlernen und erfahren, wie sie sich für ihre Interessen zum Beispiel in der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) oder der IG Metall engagieren können. In den allgemeinbildenden Schulen ist das ja meistens gar kein Thema, weshalb viele junge Azubis von Gewerkschaften noch kaum etwas gehört haben“, sagt Jakob Heidenreich.
Fabienne Gehrke zum Beispiel hat 2017 vor ihrem Ausbildungsstart zur Industriekauffrau beim Startercamp mitgemacht. „Hier habe ich erste Kontakte zur IG Metall knüpfen können und habe andere Auszubildende kennengelernt“, sagt sie. Die dortigen Erfahrungen haben sie auch dazu bewogen, sich für die Interessen anderer zu engagieren. Die ausgebildete Industriekauffrau engagierte sich als Interessenvertreterin für Auszubildende im JAV-Gremium, hat sich in ihrem Unternehmen für eine strukturiertere Ausbildung eingesetzt und setzt sich heute für die Belange der Jugend im Ortsjugendausschuss der IG Metall Berlin ein.
Dafür saß und sitzt sie in Gremien und verhehlt nicht, dass sich dieses Engagement manchmal zäh gestaltet. „Wenn mehr junge Menschen mitarbeiten würden, änderte sich auch der Stil und die Diskussion“, sagte sie dem Spiegel. In den Jugendgremien versucht sie, moderne Tools einzusetzen, um langwierige Diskussionen abzukürzen und schneller zum Punkt zu kommen. Das ist mühsam, aber manchmal auch erfolgreich.
Gremienarbeit kann auch mal zäh sein
Neben der harten Gremienarbeit geht es allen drei aber auch darum, die Transformation in der Arbeitswelt gestalten zu können. „Manche Auszubildende können mit dem Begriff Utopie nichts anfangen. Doch alle haben sie Träume“, sagt der 26-jährige Enrico Wiesner. Für ihn geht es nicht nur um das individuelle Glück. Er kämpft für eine gerechtere Gesellschaft, die sozial schwächere Menschen und ihre Kinder unterstützt, ihnen Chancen eröffnet und die die Lebensgrundlagen aller Menschen schützt. Das funktioniert am besten im Kollektiv oder im Team. „Für mich ist die Arbeit in der Gewerkschaft die Möglichkeit, eben nicht Menschen aus dem Team oder eben Kollektiv auszuschließen, fügt er hinzu.
Im Team oder Kollektiv erreichen wir mehr
Sich für andere einzusetzen, die Schwächeren zu unterstützen, dieses Handeln ist der Kontrapunkt zur neoliberalen Ideologie mit ihrer Erzählung, der Markt werde es schon richten. Dass sie das nicht tut, erleben wir seit einigen Jahrzehnten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgegangen ist und viel an gesellschaftlichem Zusammenhalt verloren ging. Eine faire Gesellschaft braucht keinen enthemmten Markt, sondern klare Regeln – dafür setzen sich die drei jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ein.
Wer den Beitrag „In vielen Start-ups ist alles hip und easy, und gezahlt wird ziemlich beschissen“ im Spiegel lesen will, findet ihn hier. Allerdings können nur Digital-Abonnenten den S+-Artikel lesen. Ein Probeabo gibt es jedoch schon für 1 Euro.