Fünf Minuten zur Berliner Industrie

Interview mit Dirk Wüstenberg, Betriebsratsvorsitzender und Vertrauenskörperleiter Mario Nehring bei Otis ES

07.01.2025 | 2020 ist ein Teil der Fertigung bei Otis in Reinickendorf abgebrannt. Bei Otis ES entwickeln und fertigen 260 Beschäftigte Aufzugssteuerungs- und Fahrtreppensteuerungen. Dirk Wüstenberg und Mario Nehring berichten von einer guten Auftragslage und der Sorge um ihren Standort, der sich immer wieder in Bezug auf die Kostenstruktur weltweit vergleichen muss.

Dirk Wüstenberg, Betriebsratsvorsitzender bei Otis ES und Vertrauenskörperleiter Mario Nehring - Foto: IG Metall

Dirk und Mario, wie ist die Lage bei Euch im Unternehmen?

Dirk: Eigentlich sieht es ganz gut aus bei uns. Wir sind von der Baukrise noch nicht so stark betroffen wie viele andere. Momentan ist der Auftragseingang ganz gut. Wir haben aber mit der internen Konkurrenz zu kämpfen. Wir müssen uns hier in Berlin immer neu beweisen in Bezug auf die Kostenstruktur. Viele Produkte werden von Otis an andere Standorte in Europa und auch weltweit verlagert.

Was genau bedeutet das? Sich mit der Kostenstruktur beweisen?

Mario: Wir müssen uns konzernweit mit Osteuropa und weltweit vergleichen und messen bei internen Preiskämpfen um Produkte und Dienstleistungen.

Dirk: Aber ganz allgemein kann man sagen, geht es Otis und auch uns hier immer noch ganz gut. Wir spüren auch bei Otis, dass sich die Materialpreise gerade am Bau stark verteuert haben. In der Bauindustrie sind einige Firmen in die Insolvenz gegangen. Dadurch hat auch der eine oder andere Kunde seine Aufträge storniert. Aber wir sind nicht so stark von der Krise betroffen wie die Autoindustrie.

Wie ist die Stimmung in Eurem Unternehmen?

Dirk: Bei uns wird gerade der Standort umgebaut. Es gibt den Plan, das Gelände hier zu verkaufen und für die Fertigung einen Teil des Geländes zurückzumieten. Diese Pläne beunruhigen unsere Kolleginnen und Kollegen und lösen natürlich auch Ängste aus. Denn eigentlich wissen wir alle nicht so richtig, wie genau es hier weitergeht. Anfangs hatte das Management angedacht, eine komplette neue Halle für einen Teil unserer Fertigung zu bauen. Das ist jetzt vom Tisch. Jetzt plant das Unternehmen die Fertigung in einem alten Gebäude, das denkmalgeschützt ist. Und natürlich gibt es dazu Befürchtungen bei unseren Leuten, dass dies die Sparnummer werden könnte. Dazu kommt, dass im September verkündet wurde, dass das Fahrtreppenwerk in Breclav in Tschechien geschlossen wird.

Mario: Und natürlich löst das Gerüchte aus in der Belegschaft. Die Kolleginnen und Kollegen vermuten, dass wir in Berlin als Nächstes von Schließung bedroht sein könnten. Wenn immer wieder die Kostenstruktur zu Konkurrenzsituation innerhalb des Konzerns führt, machen sich die Leute natürlich Gedanken.

Dirk: Bei den Monteuren und Verkäufern werden immer noch Stellen aufgebaut. Bei uns ist man nur sehr langsam und vorsichtig unterwegs. Aktuell erfolgen nur Wiederbesetzungen, wenn Beschäftigte das Unternehmen verlassen haben.

Mario: Aber richtig viele Neueinstellungen gibt es nicht. Wir sind hier bei Otis einer der letzten Fertigungsstandorte für Aufzugskomponenten in Deutschland. Viele andere Aufzugsunternehmen fertigen nur noch im Ausland. Daher werden wir bei Otis immer besonders beobachtet.

Was erwartet Ihr in den nächsten Monaten und Jahren? Ausblick?

Dirk: Wir hoffen, dass der Standort bleibt. In den letzten zehn Jahren wurde in unseren Standort nicht mehr investiert. Im Gegenteil: Wer über unser Gelände geht, sieht überall Flatterband. Zäune werden um die Gebäude gesetzt, weil von den Dächern Sachen runterfallen oder drohen abzustürzen. Wenn das Management in neue Gebäude investiert und saniert, kann sich alles sehr positiv entwickeln. Im Moment sind wir vorsichtig. Wir warten alle auf die Info, dass der Vertrag für die Sanierung unterschrieben wird. Und wir warten darauf, dass nach und nach in unseren Standort investiert wird.

Wobei unterstützt Euch die IG Metall Berlin?

Mario: Ja, wir hatten gerade einen Termin mit Andreas Buchwald in Bezug auf Verkauf und Zurückmieten des Geländes. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Denn was passiert am Ende wirklich mit unserem Standort? Brauchen wir eventuell einen Zukunftstarifvertrag? Dazu sind wir gerade im regen Austausch und sammeln Ideen. Wir haben einen Haustarifvertrag bei Otis Es und arbeiten hier drei Stunden umsonst in der Woche. Eigentlich müssten wir nur 35 Stunden pro Woche arbeiten, da wir hier im Tarifgebiet I sind.

Dirk: Wir können ja jetzt überlegen, ob wir weiterhin 38 Stunden arbeiten, aber dafür eine Absicherung bekommen, um betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern. Den Haustarifvertrag kann der Arbeitgeber jederzeit zum Jahresende kündigen. Das bietet also keinen richtigen Schutz. Sinnvoll wäre es, in einem Zukunftstarifvertrag auch Investitionen für den Standort festzulegen. Hier sind wir intensiv im Gespräch mit unserer IG Metall. Und wir werden auch gut unterstützt von den dka Anwälten mit Nils Kummert. Wir haben laufend Themen wie Mobiles Arbeiten und mehr. Hier unterstützt uns die IG Metall Berlin und auch das Netzwerk, das wir dadurch haben. Es hilft, wenn gute Betriebsvereinbarungen von anderen Betriebsräten eingesehen werden können.

Gibt es Forderungen, die ihr an die Politik in Berlin und oder im Bund habt?

Dirk: Ich finde dieses ganze Krisengelaber mittlerweile furchtbar. Viele Probleme sind vom Management in Unternehmen hausgemacht. Auch wir hier bei Otis haben Themen. Beispielsweise wurde zum Teil die Digitalisierung verschlafen. Wir denken, wir sind digital unterwegs, aber es fehlt noch eine ganze Menge. Die Automobilindustrie hat auch viel verschlafen. Schauen wir nur auf den Dieselskandal. Da wurde viel zur eigenen Krise beigetragen. Wenn wir nach China schauen: Sie sind uns zehn Jahre in der Batterieforschung voraus. Warum? Nicht, weil der Staat hier irgendwas verpennt hat, sondern weil die Autofirmen und viele andere geschlafen haben.

Wir haben eine sehr konkrete Forderung an die Berliner Politik. Unsere Fertigung ist ja 2020 abgebrannt. Die Fertigung wurde danach in einem alten, denkmalgeschützten Gebäude untergebracht. Beim Denkmalschutz sollte einmal daran gedacht werden, die Unternehmen dabei zu unterstützen, dass sie in den Gebäuden anständig fertigen können. Wir mussten hier in dem denkmalgeschützten Gebäude Fenster austauschen und einen Stickstofftank aufbauen. Das Unternehmen musste überlegen, wo sie das Ding hinstellen, damit man das Bild nicht stört.

Mario: Es wäre günstig, wenn es Unternehmen einfacher gemacht wird, in so ein Gebäude zu investieren. Mir ist auch daran gelegen, dass Industriearbeitsplätze mehr Wertschätzung erfahren und Firmen, die hier angesiedelt sind, auch von der Politik mehr Förderungen erhalten. Natürlich: Berlin will auch hip sein und hat viele Start-Ups und junge Leute und ist ganz bunt. Aber ich glaube, dass die Politik durchaus Firmen überzeugen kann, in Berlin zu bleiben, statt nach Osteuropa abzuwandern.

Otis ES in Berlin:

Bei OTIS-ES arbeiten derzeit rund 260 Beschäftigte. Insgesamt gibt es in Berlin vier Otis Standorte: Otis ES, Otis Hauptverwaltung und zwei Niederlassungen mit insgesamt 790 Beschäftigten.

Die Beschäftigten bei OTIS entwickeln, bauen und warten Fahrtreppen und Aufzüge. Die Beschäftigten bei Otis ES entwickeln und fertigen Aufzugssteuerungs- und Fahrtreppensteuerungen in Reinickendorf (Borsigwalde).

Von: Andrea Weingart

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