Fünf Minuten zur Berliner Industrie: Siemens Energy Gasturbinenwerk und Service

Interview mit Guenter Augustat, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Energy am Standort Berlin Huttenstraße

15.01.2025 | Im Interview mit Guenter Augustat, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Energy am Standort Huttenstraße, geht es um den Boom der Gasturbinen und die Herausforderungen der deutschen Energiepolitik: Ein intensiver Einblick in die Welt der großen Gasturbinen und neue Technologien.

Guenter Augustat, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Energy am Standort Berlin Huttenstraße (rechts) und Christian Groechel - Foto: Christoph Lüdtke

Guenter, wie ist die Lage bei Euch im Unternehmen? Spürt Ihr die Krise oder habt Ihr noch eine gute Auftragslage?

Wir sind offenbar antizyklisch zu den Problemen, die wir gerade in der Industrie in Deutschland und Europa wahrnehmen. „We energize society“ – wir geben der Gesellschaft Energie. Wir haben in unserer Siemens Energy alles, was eine Energielandschaft benötigt.

Derzeit gibt es eine sehr gute Geschäftsentwicklung bei Gas Services, wo große Energieanlagen nicht nur gefertigt, sondern auch weltweit der Service für Gasturbinen, Dampfturbinen, Generatoren durchgeführt wird. Jeder Prozentpunkt Anlageneffizienz spart Energieträger, vermeidet CO2 und unterstützt mit steigendem Einsatz von erneuerbar hergestelltem Wasserstoff die Energietransformation.

Und auch im Bereich der Grid Technologies, also Netze, Schaltanlagen, Transformatoren, boomt es regelrecht. Das Unternehmen Siemens Energy hat dazu in einem anderen wichtigen Bereich die Trendwende geschafft. Wir bringen bei Siemens Energy zurzeit unser Windgeschäft in Ordnung. Windgeschäft, das heißt bei uns Siemens Energy Windpower bei Fortsetzung der Rechtsform Siemens Gamesa Renewable Energy. Dieses Unternehmen gehört mittlerweile zu 100 Prozent zu uns.

Im Bereich der Wasserstofftechnologie haben wir unter anderem das Thema Elektrolyse. Wir stellen erstmals PEM-Elektrolyseure hochautomatisiert her. 2023 wurde hier am Standort in der Berliner Huttenstraße eine PEM-Elektrolyse-Modulfertigung eingeweiht. Bund und Europa hatten hier Förderungen und Unterstützung für Projekte in Deutschland und Europa angekündigt, die jetzt aber zeitlich verzögert realisiert werden.

Was genau ist eine PEM-Elektrolyse-Modulfertigung?

Wasser wird mittels PEM-Elektrolyse (Anlegen von Strom) in Wasserstoff- und Sauerstoff aufgespalten. Dazu nutzt man eine Protonenaustauschmembran (PEM). Jetzt bauen wir in Berlin die PEM-Module, die dann in sogenannten „Full Arrays“ mit 24 PEM-Modulen für eine Leistungsaufnahme von 17,5 MW größentechnisch kombiniert und passend für Projekte und den angestrebten Wasserstoffbedarf zusammengestellt werden.

Die PEM-Elektrolyse-Modulfertigung wird sukzessive ausgebaut. Wir werden beispielsweise einige Großprojekte in Frankreich, aber auch im Rahmen der Sektorkopplung oder auch als grüner Wasserstoff in der Chemieindustrie mit unserer PEM-Elektrolyse-Technologie ausstatten.

Und wie ist die Lage im Gasturbinenwerk?

Wir stellen hier am Standort die großen Gasturbinen in einem Leistungsbereich von 117 MW bis 593 MW her, die dann in Kraftwerken oder Industrieanwendungen für die Strom- und Wärmebereitstellung im Einsatz sind. Die Nachfrage nach schnellstartfähiger und sicherer Energie ist enorm. Das bedeutet, innerhalb von Minuten die Leistung für nicht verfügbare erneuerbare Energie ins Netz zu bringen. Dabei sind wir gegenüber Kohle mit etwa 60 Prozent reduziertem CO2 unterwegs und können auch heute schon grünen Wasserstoff mitverbrennen. Das alles hat einen weltweit hohen Bedarf nach den bei uns im Werk gefertigten Gasturbinen und deren Service ausgelöst.

Wir fertigen hier Stückzahlen für neue Kraftwerke mit großen Gasturbinen, die an unsere besten Zeiten erinnern. Und wir haben ein extrem anspruchsvolles Servicegeschäft. Alle diese Aufträge kommen zu weit über 90 Prozent aus dem Ausland. Wir erwarten Aufträge für Gaskraftwerke aus Deutschland, die sehr notwendig für eine klimafreundliche und sichere Energieversorgung sind und die übergangsweise mit Erdgas betrieben und später auf grünen Wasserstoff umstellt werden können.

Durch die sehr ideologisch ausgerichtete Energiepolitik sehe ich derzeit keine Unterstützung in der Kraftwerksstrategie für unser Industrieland. Es gibt noch keine Aufträge für die notwendigen, vielen Gigawatt-Gaskraftwerke, die genutzt werden sollen, wenn Dunkelflaute herrscht, also kein Wind und keine Sonne verfügbar ist und wir dann innerhalb von Minuten sicher und schnell geregelten Strom ins Netz bekommen müssen. Genau das können unsere großen Gasturbinen, die prinzipiell Wasserstoff-ready sind, zukünftig immer emissionsfreier mit dem steigenden Wasserstoffanteil im Brennstoff werden. Uns als Siemens Energy ist es bereits gelungen, eine Industriegasturbine kleiner Leistung zu 100 Prozent mit Wasserstoff zu befeuern.

Wir erwarten, dass in den nächsten Jahren endlich etwas passiert, denn Abschalten von sicheren Kraftwerken mit hohen Standards löst nicht Herausforderungen der industriellen Zukunft, wenn es keine sicheren Alternativen gibt. Mehrere Gigawatt-Kraftwerke wurden abgeschaltet. Beispielsweise die Lausitz soll so schnell wie möglich aus der Kohle raus, aber es gibt einfach keine Aufträge für Gaskraftwerke, um für unser Land und dessen Industrie sicher rund um die Uhr Strom verfügbar zu machen.

Denn wir wollen die Kapazitäten und Möglichkeiten der Lieferanten mit deren Knowhow in Deutschland erhalten, die uns mit wichtigen Vorprodukten versorgen. Hier ist beispielsweise die Saarschmiede für Schmiedeteile, die wir für unsere Rotoren benötigen, zu nennen. Das letzte Jahrzehnt war geprägt von Verlagerungen in die asiatischen Lieferketten und auch Osteuropa. Sinnvoll ist es, eine Resilienz zu erhalten und strategische industrielle Bereiche zu stärken bzw. wieder aufzubauen, so dass wir mit Vorprodukten und Leistungen neben der Nutzung europäischer Möglichkeiten wieder mehr aus Deutschland arbeiten können, also beispielsweise mit Gießereien, Schmieden und Maschinenbauunternehmen.

Wie ist die Stimmung in Eurem Unternehmen?

Wir haben extrem anstrengende Jahre hinter uns. War unser Bereich über Jahrzehnte Garant für gute Geschäftsergebnisse, haben wir uns gegen Ende der 2010er-Jahre in der Siemens AG auch wegen Unklarheiten und Interpretationen der Energiewendepolitik und durchwachsener Geschäftsperspektiven sehr unwohl gefühlt. Es bestand das Risiko, dass man Betätigungsfelder verkauft oder filetiert. Deswegen hat sich damals der Gesamtbetriebsrat gemeinsam mit den Betriebsräten der betroffenen Standorte zu einer Eigenständigkeitslösung mit einem Carve-out des Energieanlagenbaus aus der Siemens AG bekannt und den Bereich in eine GmbH und Co. KG überführt. Wichtig war uns, dass diese neue Unternehmensform auch tarifvertraglich gebunden und mitbestimmt durch einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat mit Arbeitnehmer- und Kapitalseite bleibt. Wir haben gerade bis 2021 viele Aderlässe miterlebt und Konflikte ausgetragen: umfangreichste Personalabbau-Maßnahmen, Fertigungsverlagerungen aus Deutschland heraus, aber auch Verlagerungen von Projektmanagement- und Supportfunktionen, Engineering raus aus Deutschland und mehr. Das hat alle möglichen Wertströme getroffen.

Die Stimmung in der Huttenstraße ist wieder sehr gut. Unsere Kolleginnen und Kollegen könnten derzeit eigentlich rund um die Uhr arbeiten. Unsere Kolleginnen und Kollegen erleben, dass sich die Relevanz umgekehrt hat. Seit 120 Jahren gibt es den Turbinenbau an der Huttenstraße. Von Generation zu Generation sind einzigartiges technologisches Knowhow und Expertise weiterentwickelt und weitergegeben worden. Sehr gute und loyale Fachkräfte bei uns im Unternehmen sind der Schlüssel unseres Erfolges und haben uns auch anstrengende Zeiten überleben lassen. Es geht darum, alles zu tun, damit die Menschen auch bei uns bleiben und hier bei uns die Arbeit leisten. Also hat sich die Situation komplett gedreht, wenn ich auf die Zeit vor 10 Jahren oder zuletzt 4 Jahren zurückblicke.

Wichtig ist mir, dass wir Betriebsräte in den Verhandlungen in den Jahren 2015, 2017/18 und 2021 gemeinsam mit der IG Metall die Grundlagen gelegt haben, dass wir Fähigkeiten und Fertigkeiten unseres Betriebes und seiner Menschen bewahrt haben. Wir haben mit unserer Belegschaft die Arbeitgeber an den Verhandlungstisch gezwungen und unter anderem in Eskalation bis hin zur Einigungsstelle erreicht, dass bestimmte werthaltige und wertschöpfende Themen weiterhin in Deutschland verbleiben.

Was erwartet Ihr in den nächsten Monaten und Jahren? Ausblick?

Wir werden weiter einen Boom der großen Gasturbinen und damit auch der Service-Aktivitäten erleben. Wir brauchen diese Gasturbinen, wenn weiter wetterunabhängige Leistung aus dem Netz rausgenommen wird, wir aber andererseits durch die weitere Elektrifizierung bzw. Elektromobilität, KI-und digitale Anwendungen sowie den erstrebenswerten Ausbau von Windstrom und Photovoltaik sehr anspruchsvolle Lastprofile erleben werden. Im Dezember haben wir in den Dunkelflauten in Deutschland erlebt, dass der Strompreis in absurde Höhen getrieben wurde.

Wir erleben heute Extreme, die von den Kunden und der Industrie gezahlt werden müssen. Deswegen muss ich sagen, diese Energiepolitik in dieser Form ist gescheitert.

Wobei unterstützt Euch die IG Metall Berlin?

In der letzten und bis dahin härtesten Auseinandersetzung 2021 wie auch schon in den vielen Jahren zuvor hat uns die IG Metall großartig unterstützt. Die IG Metall hilft mit, im Kontakt zur Politik die Wichtigkeit unserer Anliegen nach Industriekompetenz- und Beschäftigungserhalt darzustellen und diese für unsere Themen wie eine gute Kraftwerksstrategie und Argumente gegen Deindustrialisierung zu sensibilisieren.

Dazu ist es wichtig, und dass erwarten die IG Metaller im Betrieb, sich kritisch mit der Politik und Auswirkungen auf Arbeitsplätze auseinander zu setzen sowie klare Forderungen für die Stärkung der Beschäftigung und guten Bedingungen in den Betrieben zu verfolgen.

Siemens Energy gehört zu den weltweit führenden Unternehmen der Energietechnologie. Das Unternehmen arbeitet gemeinsam mit seinen Kunden und Partnern an den Energiesystemen der Zukunft und unterstützt so den Übergang zu einer nachhaltigeren Welt. Mit seinem Portfolio an Produkten, Lösungen und Services deckt Siemens Energy nahezu die gesamte Energiewertschöpfungskette ab – von der Strom- und Wärmeerzeugung über die Energie-übertragung bis hin zur Speicherung. Zum Portfolio zählen konventionelle und erneuerbare Energietechnik, zum Beispiel Gas- und Dampfturbinen, mit Wasserstoff betriebene Hybridkraftwerke, Generatoren und Transformatoren. Mit der Windkraft-Tochter Siemens Gamesa gehört Siemens Energy zu den Weltmarktführern bei Erneuerbaren Energien. Geschätzt ein Sechstel der weltweiten Stromerzeugung basiert auf Technologien von Siemens Energy. Siemens Energy beschäftigt weltweit rund 99.000 Beschäftigten in mehr als 90 Ländern und erzielte im Geschäftsjahr 2024 einen Umsatz von 34,5 Milliarden Euro.

Der Standort Huttenstraße in Berlin-Moabit fertigt seit 120 Jahren Turbinen und Energieanlagenequipment und seit 1972 große Gasturbinen. Gegenwärtig arbeiten 3.500 Kolleginnen und Kollegen für die große Gasturbine in der Fertigung, im Engineering, in der Forschung und Entwicklung, im Vertrieb, und Projektmanagement, im weltweit tätigen Service, in der Logistik und in den Testcentern nicht nur an der Huttenstraße, sondern auch am Nonnendamm in Spandau, in Brandenburg an den Standorten Ludwigsfelde und Falkensee.

Zu Siemens Energy gehören die Kolleginnen und Kollegen des Schaltwerkes an der Paulsternstraße, die mit der Huttenstraße in der EnergySphere vereint sind. Seit einigen Jahren befindet sich ein Corporate-Center mit dem Sitz von weltweiten Unternehmensfunktionen, Vorstand und Aufsichtsrat an der Huttenstraße in Moabit.

 

Von: Andrea Weingart

Unsere Social Media Kanäle