Fünf Minuten zur Berliner Industrie

Interview mit Neels Wied, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei ASML

20.01.2025 | Der niederländische Konzern ASML entwickelt und produziert in Berlin-Britz komplexe Lithografie-Systeme, die entscheidend sind für die Produktion von Mikrochips. Das Werk ist vollausgelastet und wird gerade weiterausgebaut. Im Interview: Neels Wied, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei ASML.

Neels Wied, stellvertr. Betriebsratsvorsitzender bei ASML, auf der Aktivenkonferenz der IG Metall Berlin im April 2024 - Fotos: Igor Pastierovic

Neels, wie ist die Lage bei Euch im Unternehmen? 

Die Lage im Unternehmen bei uns ist super gut. Die Aufträge sind da. Wir haben im Gegensatz zur deutschen Rezession gerade keine Probleme, sondern eher das Gegenteil. Wir haben immer noch Platzprobleme, weil wir in Berlin in den nächsten Jahren größer werden und mehr Auslastung fahren wollen. Durch den Halbleitermarkt, der noch nicht eingebrochen ist, sieht es für uns in den nächsten Jahren noch gut aus.

Wir haben ein klares Bekenntnis vom Hauptsitz in den Niederlanden, dass es auch weiter Investitionen bei uns geben wird. Und als Betriebsrat sind wir natürlich immer mit dabei und beobachten das.

Würdest Du bitte kurz erläutern, wie ihr wachst?

Also aktuell heißt Wachstum, dass zukünftig einige ältere Gebäude abgerissen werden, um Neubauten mit mehreren Stockwerken zu errichten. Mitten in Berlin, hier in Britz, sind Industrieneubauten ein logistisches Problem. Die Berliner Platzprobleme und Probleme mit der Infrastruktur sind ja bekannt. Aber noch schaffen wir es, alles zu stemmen. Gerade werden auch neben diesem Bürogebäude Neubauten für die Produktion errichtet, um noch mehr Auslastung zu schaffen. Das klare Bekenntnis ist: Wir brauchen mehr Fläche für mehr Auslastung. Und das mitten in Berlin. Zur Ringbahn gehen wir von hieraus 15 Minuten zu Fuß und mit dem Bus sind es nur fünf Minuten.

Wie hängt Ihr mit anderen Unternehmen zusammen?

Natürlich haben wir Lieferketten. Also wir benötigen Rohstoffe und Materialien von anderen Unternehmen. Aber wir sind abgesichert durch langfristige Lieferverträge. Zur Corona-Zeit gab es Probleme, keine Frage. Aktuell haben wir keine Probleme. ASML hat kleinere Endkunden und wir haben Kooperationsforschungsprojekte. Aber der große Endkunde sind wir am Ende meistens selbst. Der Großteil der Bauteile, die in Berlin hergestellt werden, geht in die Niederlande, wo die Maschinen gebaut werden oder zu anderen Chip-Produzenten, für die wir neue Teile liefern, wenn dies durch Verschleiß notwendig wird.

Wie ist die Stimmung in Eurem Unternehmen?

Die Stimmung ist aktuell mal gut, mal schlecht. Ich würde sagen, es ist unterschiedlich, je nachdem, mit wem ich rede. Viele fühlen sich durch den neuen Tarifvertrag und durch die Begebenheiten super gut abgeholt. Aber natürlich gibt es auch manchmal Probleme bei der Einführung des Tarifvertrags. Da gibt es noch Nachwehen, das ist kein Geheimnis.

Was ich erlebe: Die weltwirtschaftliche Lage macht meinen Kolleginnen und Kollegen auch Angst. Viele Kollegen, die hier arbeiten, bekommen auch familiär mit, was ringsherum passiert bei anderen Unternehmen. Diese Angst schwingt bei uns mit. Als Betriebsrat sind wir sehr froh, dass es aktuell bei uns so gut läuft.

Ihr habt seit Juli 2023 einen Haustarifvertrag. Wie habt ihr das geschafft?

Unser Weg zum Haustarifvertrag ist eine längere Geschichte. Verglichen mit anderen Tarifbewegungen ist unser Weg nicht so lang. Vor einigen Jahren hießen wir noch Berliner Glas. ASML hat dann die Firma Berliner Glas aufgekauft. Berliner Glas hatte eigentlich nur einen Hauptkunden: ASML. Und klar, ein mittelständiges Unternehmen kann am Ende nicht mehr so viel investieren. Und im Zusammenhang mit dem Kauf durch ASML, hat sich eine Bewegung entwickelt. Einige Kollegen sind auch im Betriebsrat. Uns war klar: Wir wollen was bewegen. Und es war spannend mitzuerleben, wie es gelingt, bei einem milliardenschweren Weltkonzern einen Haustarifvertrag durch die Tür zu kriegen.

Gestartet sind wir mit der Mitgliedergewinnung. Wir haben jahrelang Ansprache gemacht, beispielsweise die typische Toraktion, die kennt in Berlin inzwischen jede/r. Als wir mehr als 50 Prozent Mitglieder gewonnen hatten, sind wir gemeinsam mit der IG Metall Berlin in die Verhandlungen gestartet. Die Verhandlungen haben nur ein Jahr gedauert. Und die Einführung des Haustarifvertrags danach ging auch relativ schnell.

Wir haben einen Haustarifvertrag, keinen Flächentarifvertrag. Wir haben daher auch ein anderes Entgeltsystem, das aber rein summarisch finanziell über der Fläche liegt. Und aktuell sind wir mit unserem Ergebnis an den Flächentarifvertrag angeschlossen. Also all das, was die Fläche verhandelt hat, kriegen wir auch. Wir haben Bestandteile wie den T-ZUG nicht im Haustarifvertrag. Da gibt es aber Vorschläge und Lösungen, wie wir dies umwandeln können. Das ist gerade das Doing für uns als Gewerkschaft und als Betriebsrat.

Was erwartet Ihr in den nächsten Monaten und Jahren?

Wir erwarten weiteres Wachstum, weil der Halbleitermarkt immer noch boomt. Technik kaufen alle. KI wird ein Riesenthema, das auch Gefahren birgt. Im Halbleitermarkt gibt es schnelle, große Schwankungen. Durch den Single-Source geht es uns aber sehr gut. Aber ja, es könnten auch andere Unternehmen aufholen, beispielsweise in der Entwicklung. ASML investiert viel in die Entwicklung und Forschung. Wir wollen vorne dranbleiben. Im Grunde sieht es für die nächsten zwei Jahre gut aus.

Wobei unterstützt Euch die IG Metall Berlin?

Die IG Metall hat uns natürlich super unterstützt bei der ganzen Mitgliedergewinnung, also bei der Erschließungsfrage: Wie kriegen wir Mitglieder? Wie sprechen wir Leute eigentlich an? Das ist ja der Kern. Wie können wir argumentieren? Was macht eine Gewerkschaft? Da haben wir viel Aufklärungsarbeit geleistet. Vorher lagen wir bei einem Organisationsgrad von Null Prozent. Zu Beginn waren wir nicht gut organisiert.

Für uns ist es sehr wichtig, dass unsere Mitglieder geschult werden. Als Betriebsrat gehen wir sehr bewusst zu IG Metall-Seminaren. Wir haben ja auch einen IG Metall-Tarifvertrag. Die IG Metall versteht am besten, wie die Umsetzung eines Tarifvertrages funktioniert. Gute Bildung bei der IG Metall: Das ist auch einer der Kernelemente der IG Metall bei uns im Betrieb. Auch wir wissen irgendwann nicht weiter. Und wir haben natürlich auch immer Fälle als Betriebsrat, wo wir sagen, jetzt ist es besser, Du gehst mit dem Thema zur IG Metall. Nimm dein Individualrecht wahr. Die Rechtsberatung der IG Metall ist gut, dafür bist du Mitglied. Als Betriebsrat können wir nicht alles machen. Es gibt Grenzen. Und manchmal ist es eben ein Fall für die Tarifpartei.

Habt Ihr Forderungen an die Politik in Berlin und im Bund?

Bezahlbarer Wohnung ist das Thema Nummer eins bei uns. Wenn ich mit den Recruitern bei uns rede, ist es immer das erste Thema. Wir finden durch den IG Metall-Tarifvertrag und durch alles, was wir haben, schnell Fachkräfte. Wir finden auch die richtigen Fachkräfte. Aber die Fachkräfte bleiben nicht, wenn sie keine Wohnung finden oder der Wohnraum zu teuer ist. Wenn ich in Berlin für eine Wohnung 1.000 Euro mehr bezahle, aber auch 1.000 Euro mehr bekomme, dann kann ich im auch in meiner Heimat bleiben oder in meiner Gegend. Das ist ein riesiges strukturelles Problem.

Und auch das Thema  Anträge, Bauanträge: Wie lange es in Deutschland dauert, bis ein Bauantrag genehmigt wird. Da werden wachsende Unternehmen gebremst durch langwierige Bearbeitungszeiten.

Die fehlenden bezahlbaren Wohnungen: Das macht sich ganz stark bemerkbar bei den Auszubildenden. Wir liegen auch in der Ausbildungsvergütung über der Fläche. Aber auch selbst, wenn ein Auszubildender im Monat 1.400 Euro verdient, kostet die Wohnung immer noch 1.000 Euro. Bei uns fahren viele Kolleginnen und Kollegen, auch ich, eine Stunde zur Arbeit, weil wir in Brandenburg wohnen. Es ist nicht finanzierbar, in Berlin zu wohnen. Und für die Kolleginnen und Kollegen, die in Schichten arbeiten, ist das Problem noch größer. Sie müssen oft mit dem Auto fahren und jeder kennt das Auto-Chaos in Berlin-Auto.

ASML:

Der niederländische Konzern ASML hat in den letzten Jahren seinen Standort Berlin-Britz stark vergrößert und baut weiter aus. Rund 1.000 Beschäftigte stellen bei ASML in Berlin in der Produktion komplexe Lithografie Systeme her, die für die Produktion von Mikrochips entscheidend sind. Insgesamt arbeiten mehr als 1.750 Beschäftigte bei ASML in Berlin, da am Standort auch entwickelt und geforscht wird.

ASML ist ein wichtiger Teil der Halbleiterindustrie. Das globale Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden hat knapp 40.000 Beschäftigte und macht über 20 Milliarden Euro Jahresumsatz. Die in Berlin gefertigten Module gehen teilweise von hier zu Chip-Produzenten in der ganzen Welt und werden dort verbaut. Ein großer Teil geht in die Niederlande zum Hauptstandort von ASML. Dort werden die Fertigungsmaschinen gebaut. Das Unternehmen baut kritische Hochpräzisionskomponenten für die Strukturierung von Siliciumwafern, auf denen Computerchips basieren. Damit ist ASML ein Single Source Anbieter und hat eine Monopolstellung. Die Technologie von ASML ist für die weitere Verkleinerung von Mikrochips essentiell. Das Stichwort ist EUV-Lithografie (extreme ultra violet, EUV), womit eine technische Schranke überwunden und der Miniaturisierungstrend weiterverfolgt werden konnte.

Der seit Juli 2023 geltende Haustarifvertrag unterstützt das weitere Wachstum der Berliner Niederlassung von ASML, womit sich die Attraktivität des Standortes weiter erhöht.

Von: Andrea Weingart

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