Kein stumpfes Sparen, stattdessen:

Know-how sichern, GE-Standort Berlin entwickeln

26.10.2017 | Exzellenz in Energieerzeugung, Effizienz in Energienetzen, mehr als tausend hoch qualifizierte Beschäftigte und eine lange Industriegeschichte: Berlins General Electric-Betriebe (GE) sind Weltspitze in der Metall- und Elektroindustrie. Doch statt Innovation und neuer Märkte haben Personalabbau und verworrene Managementstrukturen die Entwicklung der hochprofitablen Arbeitsplätze in den vergangenen Jahren gebremst. Jetzt kommt der neue Vorstandschef John Flannery mit einer einfachen Vision für den Gesamtkonzern: sparen. Was heißt das für GE in Berlin?

Sechzehn Jahre lang stand ein Mann an der Spitze von GE: Jeffrey Immelt. Der konnte sich zu Beginn seiner Amtszeit rühmen, Chef des teuersten Unternehmens der Welt zu sein. Nach seinem Abgang vor wenigen Monaten sieht die Welt heute weniger rosig aus. Auch wenn weltweit noch 300.000 Beschäftigte für GE arbeiten und der Konzern mit seinen Bereichen Energie, Gesundheit, Finanzierung und Transport zu den größten Mischkonzernen der Welt zählt: Seit Jahresanfang hat das Unternehmen laut Handelsblatt 50 Milliarden Dollar und damit ein Viertel seines Börsenwertes verloren.
Ein mieser Abgang des Vorgängers also – und ein grausiger Start für seinen Nachfolger John Flannery. Der gilt als harter Hund im Unternehmen. Flannery machte auf seinem vorherigen Posten als Chef des GE Gesundheitsbereichs von sich reden, als er 2014 begann, 80 Prozent des Managements aufgrund der schwachen Zahlen zu feuern. 2016 hatte GE Healthcare dann schon 700 Millionen Dollar mehr Umsatz – und zehn Prozent mehr Gewinn. Damit hatte sich Flannery für den Chefposten qualifiziert.

„Gegen radikales Sparen werden wir uns wehren“
Aufgrund der aktuell miesen Zahlen wird Flannery nun auch als GE-Chef handeln müssen. Gleich drei hochrangige Manager hat er jüngst gekündigt – und verkündet, bis Ende 2018 über das bereits verkündete Sparziel von zwei Milliarden US-Dollar hinausgehen zu wollen.
Kein gutes Zeichen für die GE-Kollegen, auch für die Berliner GE-Belegschaften nicht. Dabei versammelt GE Berlin an seinen drei Standorten mit etwa 1.150 Beschäftigten gut ein Jahrhundert Berliner Industriegeschichte und damit jede Menge Hochqualifizierte und Spezial-Know-how.
Doch vor den Kahlschlägen eines John Flannery könnte auch Berlin nicht verschont bleiben. „Wenn es darum geht, den Energiebereich als wichtigsten Geschäftsbereich von GE zu sichern und weiter zu entwickeln, wäre John Flannery gut beraten, auf den Standort Berlin und die gute Sozialpartnerschaft zwischen IG Metall, Betriebsräten und GE zu setzen. Dabei wollen wir ihn gern unterstützen“, sagt Andreas Buchwald, der zuständige Gewerkschaftssekretär der IG Metall Berlin. „Gegen radikales Sparen werden wir uns wehren.“

Pankow: Beschäftigte gehen
GE hat an allen drei Berliner Standorten in den vergangenen Jahren Personal abgebaut, etwa am Standort Pankow, wo die Restrukturierung Anfang 2016 bereits eine hohe Anzahl von Arbeitsplätzen gekostet hat. Denn viele Beschäftigte wollten trotz eines Arbeitsplatzes und der Zusicherung der Einkommenshöhe lieber gehen. „Diese Kolleginnen und Kollegen hätten lieber die Abfindung genommen, als bei GE zu bleiben, weil sie denken, die Zukunft bei GE ist zu unsicher“, sagt Toralf Brandt, der dortige Betriebsratsvorsitzende. „Die Kollegen wollten Sicherheit für ihren Arbeitsplatz, aber die wollte ihnen der Konzern nicht geben.“ Die Folge: Schon jetzt sind mehr Beschäftigte gegangen, als es der im Interessensausgleich vereinbarte Personalstamm vorgesehen hat.
Zumindest aber konnte die Belegschaft in Pankow die mit der Restrukturierung geplanten Kündigungen mit Altersteilzeit auffangen. In Mannheim und Bexbach hat das Management die Fabriken hingegen radikal geschlossen – trotz der durch die Betriebsräte aufgezeigten Alternativen. Aber auch in Pankow geht der Abbau weiter: 2018 soll ein Drittel der Mitarbeiter in die neue weltweit operierende GE-Firma Fieldcore überführt werden. In den USA sind die Belegschaften bereits überführt. Viele sind allerdings nicht mitgegangen, da der Übergang mit Lohndumping einherging. So geht das Vertrauen in das Management weiter verloren.
Hinzu kommt: Seit Abschluss des Interessenausgleiches und Sozialplanes aus dem Februar 2017 liegt kein funktionierendes Konzept für den Service an Dampfkraftwerken vor und der im aktuellen Interessenausgleich zugesicherte Personalstamm ist noch nicht wieder aufgefüllt. Kundenprojekte werden daher wegen fehlender Kapazitäten und schlechter Prozesse nur ungenügend abgewickelt. Nur das hohe Engagement und Know-How der Mitarbeiter sichert die Qualität der Produkte. Denn die Prozesse, Organisation und Mitarbeiterplanung entsprechen nicht den Notwendigkeiten des Geschäftes. Ergo: Aus Restrukturierung resultierte keine Beschäftigungs- oder Standortsicherung.

Marienfelde: Management soll Hausaufgaben machen
Im größten Berliner GE-Werk in Marienfelde arbeiten etwa 700 Beschäftigte. Das Werk hat eine hohe Kontinuität der Beschäftigten. Im Schnitt arbeiten die Beschäftigten hier schon sechzehn Jahre lang, trotz mehrfachem Eigentümerwechsel von AEG zu Daimler zu Alstom zu Converteam zu GE. Doch seit GE 2011 das Werk übernommen hat, geht es nach anfänglicher positiver Entwicklung mit Personalaufbau und Übernahme von Leiharbeitnehmern Schlag auf Schlag. Das erfolgreiche Mittelspannungsgeschäft verlagerte das Management nach Frankreich, das wichtige Anlagen- und Systemgeschäft rasierte es. Dadurch verlor das Unternehmen wichtiges, über viele Jahre aufgebautes Know-how.
Ständige Änderungen in der Organisationsstruktur und in den Prozessen, die damit einhergehende Bürokratisierung der Arbeitsabläufe und eine übertriebene Controllingstruktur haben die Power Conversion GmbH träge und ineffizient gemacht.
2015 baute das Management zunächst zehn Prozent der Arbeitsplätze ab – um dann 2017 gleich 139 Kollegen und damit jeden Fünften nach Hause zu schicken. Begründung diesmal: Solar- und Windumrichter wolle man nun in Indien und China fertigen, Engineering, Entwicklung und Service gleich mitkürzen.
Die aktuelle Situation hat sich insbesondere für die Fertigung dadurch zugespitzt, dass bereits eingeplante Aufträge für Solarumrichter vom Kunden nicht abgerufen und gekündigt wurden. „Trotz all dieser aus unserer Sicht wenig durchdachten Konzepte haben wir uns als Betriebsrat immer konstruktiv verhalten und auch gute Lösungen ohne betriebsbedingte Kündigungen für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen finden können“, sagt Martin Ruess, Betriebsratsvorsitzender in Marienfelde. „Nun ist das Management endlich gefordert, seine Hausaufgaben zu machen.“

Neukölln: Strategische Ausrichtung nicht erkennbar
Und auch die Netzexperten der ehemaligen GE Grid in Neukölln sind verunsichert und fühlen sich nicht mitgenommen. „Die weitreichenden Strukturveränderungen wirken sich negativ auf Auftragseingang und Geschäftsentwicklung aus. Zahlreiche Leistungsträger haben deshalb selber gekündigt und dem Unternehmen den Rücken gekehrt. Auch deswegen haben wir bei uns viel Know-How verloren.“, sagt Gunnar Röhr, der Betriebsratsvorsitzende. Der nächste Aderlass ist bereits verkündet:  Die Zweigniederlassungen in Bremen, Leipzig, Lehrte, Mannheim werden zum Ende des Jahres geschlossen, beim Umzug des Grid-Standortes droht weiterer Arbeitsplatzverlust. Strategie? Fehlanzeige: „Eine strategische Ausrichtung des Konzerns für die weitere Entwicklung der ehemaligen Alstom-Bereiche ist nicht erkennbar“, sagt Gunnar Röhr.


IG Metall: GE sollte Zukunftsperspektive bieten
Die Betriebsräte aller drei GE-Standorte fordern daher ein Ende des Ausblutens von Know-How und Beschäftigung. „Die Energiesparte ist mit fast 100.000 Beschäftigten weltweit die wichtigste Geschäftseinheit von GE und eine zukunftsträchtige Einkommensquelle, weil der Energiebedarf weltweit weiter steigen wird“, sagt Andreas Buchwald von der IG Metall Berlin. „Wenn GE ein weiteres Ausbluten seines Know-hows verhindern will, sollte die Unternehmensspitze der Belegschaft signalisieren, dass GE ihnen eine Zukunftsperspektive bieten will.“
Die Berliner Betriebsräte fordern daher eine Beschäftigungssicherung, den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und die Zusage für eine Standortsicherung der deutschen Standorte. „Wir sollten jetzt den Neustart an der Unternehmensspitze dafür nutzen, eine Zukunftsstrategie zur Sicherung und Entwicklung der Standorte zu erstellen“, sagen Toralf Brandt und Martin Ruess unisono.

Von: ab

Unsere Social Media Kanäle