Experten-Interview zum Arbeitsschutz:

Mr. Arbeitsschutz ist aktiver IG Metaller

20.04.2021 | Arbeitsschutzobmann Ümit Tüfekci ist Fernmeldemonteur, Elektroinstallateur und freigestellter Betriebsrat. Seit 2006 arbeitet er im Berliner Schaltwerk und beschäftigt sich dort vor allem mit Arbeitsschutz – und mit der IG Metall: Der geborene Spandauer leitet die Vertrauensleute im Schaltwerk und vertritt die IG Metall ehrenamtlich in der Berufsgenossenschaft.

Arbeitsschutzobmann Ümit Tüfekci: "Wenn wirklich keiner hören will, lasse ich die Arbeit einstellen"

Ümit, warum ist Arbeitsschutz wichtig?
Wir haben alle nur ein einziges Leben. Deswegen müssen wir uns und unsere Gesundheit schützen und dürfen keine unnötigen Risiken eingehen. Den Arbeitshandschuh kann man ersetzen, wenn er kaputt geht, die Hand nicht. Im schlimmsten Fall hinterlasse ich eine Familie, die ohne mich weiterleben muss. Allein deswegen müssen wir alle den Arbeits- und Gesundheitsschutz sehr ernst nehmen.

Sehen das die Arbeitgeber auch so?
Die klugen Arbeitgeber wissen: Guter Arbeitsschutz ist eine Investition in mehr Produktivität. Denn mit besserem Arbeitsschutz steigen die Motivation und das Sicherheitsgefühl und damit die Qualität der Arbeit. Klar ist auch: Wer nicht ausfällt, bleibt produktiv.

Und was ist mit den nicht so schlauen Menschen im Management?
Bei den Führungskräften, die aus Kostengründen auf gesetzliche Standards im Gesundheits- und Arbeitsschutz verzichten, müssen wir uns gerade machen und als Beschäftigte und Betriebsrat gemeinsam auf die gesetzlichen Vorschriften pochen. Beispiel Ergonomie: Wer zu schwer hebt, trägt garantiert Langzeitschäden davon. Das wissen auch bei uns einige Führungskräfte nicht, auch manche Kollegen gehen mir da viel zu sorglos mit um.

Du bist Arbeitsschutzobmann im Betriebsrat. Was sind Deine Aufgaben?
Das sind zahlreiche. Ich nehme die Arbeitsplätze nach den Kriterien des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ab, ich unterstütze bei Gefährdungsanzeigen, mache Unfallanalysen, nehme an den Sitzungen des Arbeitssicherheitsausschuss teil, mache interne Audits oder spreche mit den Betriebsärzten und der Betriebsleitung. Arbeits- und Gesundheitsschutz ist sehr vielfältig, es gehören zum Beispiel auch psychische Probleme dazu.

Zum Beispiel?
In den Nachtschichten sinkt der Melatoninspiegel im Blut, weil die Kolleginnen und Kollegen kein Tageslicht bekommen. Um dauerhafte psychische Probleme zu verhindern, können wir das Licht besser einstellen. Das fördert das Wohlbefinden und damit die Gesundheit.

Ein Klassiker im Arbeits- und Gesundheitsschutz ist die Unfallverhütung. Unfälle können ja viele Ursachen haben. Wie schließt Ihr die aus?
Mit dem STOP-Prinzip. STOP steht für Substitution sowie technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen. Das kennen alle, die sich schon mal mit dem Thema beschäftigt haben. Generell fragen wir uns erst mal, wie wir Gefahrenquellen wie zum Beispiel drehende Messer oder Stromquellen ersetzen können. Und wenn das nicht geht, wie wir potenziell gefährliche Auswirkungen ausschließen können. Es ist ein klares System, nach dem wir derzeit auch die vielen neuen Arbeitsplätze, die aufgrund des Umbaus bei uns auf dem Gelände neu entstehen, einrichten.

Bei Euch dreht sich alles um Strom. Ist Eure Arbeit aus Arbeitsschutzsicht besonders anspruchsvoll oder andersrum: besonders gefährlich für die Kolleginnen und Kollegen?
Auf jeden Fall. Wir haben zum Teil meterdicke Betonwände, um uns zu schützen. Weil es so anspruchsvoll ist, schaue ich mir derzeit gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft die schwierigen Stellen an, um gute Lösungen zu finden. Wir bauen derzeit sehr kräftig um und müssen daher viele Arbeitsplätze und Tätigkeiten neu einrichten. Das geht nur mit externem Sachverstand, und dieser externe  Sachverstand hilft uns auch in der Argumentation mit dem Management, wenn wir uns nicht einig sind.

Wie erlebst Du Deine persönliche Verantwortung, wenn es mal schief geht?
Das ist schwer. Mich schützt das Gesetz, aber die Kopfsache ist eine andere. Ich besuche diejenigen, die einen Unfall hatten, im Krankenhaus. Aber der Kopf lässt sich schwer ausstellen. Ich habe auch schlaflose Nächte oder bin auch mal meiner Frau gegenüber abweisend.

Hattest Du selbst schon einen Unfall?
Ich hatte 2012 einen Unfall und habe ihn mit Glück überlebt. Da ist ein Schalter auf mich draufgefallen, weil es keine Arbeitsanweisung der Führungskraft gab, wie die Arbeitsstelle zu sichern und der Kran zu steuern ist. Auch die technische Einrichtung war nicht auf dem Stand der Technik. Da hatte ich Riesenglück und habe wahrscheinlich alle Schutzengel verbraucht.

Wie bildest Du Dich fort?
Ich lese sehr viel, um immer auf Stand zu sein, und versuche, jeden Monat eine Schulung bei der IG Metall oder der Berufsgenossenschaft zu machen.

Wie geht Ihr mit Corona um?
Mit Corona haben wir täglich zu tun. Sehr geholfen haben uns die Handlungsempfehlungen der IG Metall. Wir arbeiten mit dem Notfallmanagement zusammen und stellen gemeinsam Konzepte auf. Wir haben eine Handlungshilfe Corona herausgegeben, höhere Arbeitsstandards entwickelt, lassen Masken und Handschuhe verteilen. Generell haben wir immer sehr schnell reagiert und liegen bei den Infektionen unter dem Berliner Durchschnitt. Ich überzeuge mich auch persönlich davon, dass die Schutzmaßnahmen auch eingehalten werden. 

Da hört bestimmt auch jeder drauf?
Nicht immer. Ich gehe aber im Arbeits- und Gesundheitsschutz keine Kompromisse ein, weder dem Arbeitgeber noch den Kolleg*innen gegenüber. Jeder Beschäftigte kann sich an die Regeln halten. Es dient ja dem eigenen Schutz. Meistens beschreibe ich, was passiert, wenn sie sich nicht dran halten. Das hilft eigentlich immer. Aber wenn wirklich keiner hören will, lasse ich die Arbeit einstellen.

 

Von: Jörn Breiholz

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