17.08.2022 | Die IG Metall plädiert für einen grundlegenden, solidarischen Neuaufbau des Systems der Alterssicherung in Deutschland. Trotz der guten Rentenanpassungen der vergangenen Jahre, den Leistungsverbesserungen seit dem 2014 beschlossenen Rentenpaket und der – trotz COVID-19 – stabilen Finanzlage der Rentenkasse sind die massiven Strukturprobleme nicht zu übersehen. Die Regelaltersgrenze steigt in den nächsten Jahren schrittweise auf 67 Jahren und ohne politisches Handeln wird das Rentenniveau nach 2025 weiter sinken.
Weder die betriebliche Altersversorgung noch die Modelle der Privatvorsorge werden diese Lücken schließen können. Die IG Metall zeigt in ihrem Rentenkonzept, wie die gesetzliche Rente langfristig gestärkt werden kann.
Sinkflug des Rentenniveaus dauerhaft stoppen: Ankopplung der Renten an Löhne und Gehälter
Seit der Jahrtausendwende ist das Rentenniveau um knapp 10 Prozent auf rund 48 Prozent gesunken. Standardrentner erhalten 2022 damit derzeit noch 1.539 Euro. Dieses Niveau darf nicht noch weiter sinken. Die Renten müssen wieder dauerhaft an die Entwicklung der Löhne und Gehälter angekoppelt werden und das Rentenniveau auch wieder auf ein neues Sicherungsniveau angehoben werden.
Private Vorsorge raus aus der Renten-Rechnung: Gesetzliche Rente wieder zum alleinigen Standard machen
Obwohl der Gesetzgeber die private Altersvorsorge zum Standard erhoben hat, kann bzw. will sich das nur ein Teil der Bürger leisten. Das schwächt das gesetzliche System und die soziale Absicherung der Menschen. Künftig muss es wieder alleinige Aufgabe der gesetzlichen Versicherung sein, das gesamte gewünschte Versorgungsniveau zu erzielen. Die IG Metall schlägt vor, die gesetzliche Standardrente auf 1.658 Euro (in heutigen Werten) um rund 8 Prozent anzuheben. Das entspricht der heute unterstellten Gesamtversorgung aus gesetzlicher Rentenversicherung und Riester-Rente.
Renten an Realität des Erwerbslebens anpassen: 43 Entgeltpunkte zum Standard machen
Die derzeit angenommene Standardrente von 1.539 Euro erhalten Rentner in der Realität eher selten. Ein Grund dafür ist, dass die unterstellten 45 Entgeltpunkte (45 Erwerbsjahre mit Durchschnittsverdienst) nicht die typischen Erwerbsbiografien widerspiegeln. Der tatsächliche Durchschnitt liegt selbst bei langjährig Versicherten nur bei etwa 43 Entgeltpunkten, die deshalb den neuen Rechen-Standard bilden sollten.
Geringverdiener und Arme besser absichern: Rentenansprüche aufwerten und Mindestentgeltpunkte wieder einführen
Wer weniger als 75 Prozent des Durchschnitts verdient braucht eine Aufwertung der Rentenansprüche. Dazu muss die 1992 abgeschaffte Rente nach Mindestentgeltpunkten wieder eingeführt werden. Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege dürfen die Rente nicht weiter schmälern. Die Grundsicherung im Alter muss angehoben werden; betriebliche und private Vorsorge darf nicht mehr voll darauf angerechnet werden.
Altersarmut zum gesamtgesellschaftlichen Thema machen: Höhere Steuerzuschüsse für die Rentenversicherung
Die Vermeidung von Altersarmut darf nicht allein den Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Rahmen der Rentenversicherung aufgebürdet werden. Diese soziale Absicherung muss systemgerecht aus Steuermitteln finanziert werden. Dazu sollen freiwerdende Mittel aus der wegfallenden Riesterförderung umgeschichtet und die Steuerpolitik sozial gerechter angepasst werden.
Gesetzliche Rentenversicherung auf mehr und stärkere Beine stellen: Erwerbstätigenversicherung einführen
Rund zwei Drittel der Selbstständigen und Freiberufler fallen durch das Raster der obligatorischen Alterssicherung. Perspektivisch müssen alle Erwerbstätigen, darunter auch zukünftige Beamte und Abgeordnete, in eine solidarische Erwerbstätigenversicherung einzahlen. Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze könnte die gesetzliche Rentenversicherung auch für die Bezieher höherer Einkommen attraktiver machen.
Schluss mit der Beschneidung der gesetzlichen Rente: Abkehr vom Dogma starrer Beitragssätze
Willkürlich festgeschriebene Beitragssatz-Ziele entziehen der gesetzlichen Rentenversicherung notwendige Mittel. Davon profitieren nur Arbeitgeber, weil die Beschäftigten ein sinkendes Rentenniveau alleine schultern müssen. Die eingeführte staatliche Förderung privater Vorsorge verpufft an den Finanzmärkten und in den Gewinnen der Versicherungswirtschaft. Die paritätisch von Arbeitgebern und Beschäftigten finanzierte Rente ist und bleibt die sozial gerechteste Altersversorgung.
Realistische Ausstiegsoptionen anbieten: Flexible Übergänge in den Ruhestand ermöglichen
Die Mehrheit der Beschäftigten sieht sich gezwungen, bereits vor der steigenden Regelaltersgrenze aus dem Berufsleben auszusteigen. Notwendig sind eine realistisch erreichbare Regelaltersgrenze statt Debatten um eine Rente mit 69, 70, 72… Flankierend werden passgenaue Übergangsoptionen gebraucht, die sich an der individuellen Situation und den Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert. Schwerpunkte dazu sind der Ausbau der Altersteilzeit, die Rente mit 63 für alle und abschlagsfreie Erwerbsminderungsrenten.
Arbeitgeber mehr in die Pflicht nehmen: Eine Betriebsrente für alle!
Die betriebliche Altersversorgung muss eine stärkere Rolle erhalten und eine gestärkte gesetzliche Rente ergänzen. Die Stärken der betrieblichen Altersversorgung liegen in den institutionellen Strukturen, der Tradition einer anteiligen bis alleinigen Arbeitgeberfinanzierung und geringeren Kosten für Solidarausgleiche. Die betriebliche Altersversorgung muss deshalb sowohl tarifpolitisch als auch arbeits-, sozial-, steuer- und betriebsverfassungsrechtlich gestärkt werden.