Was kommt nach dem Virus?

„Roboter und KI sind immun gegen Corona“

17.04.2020 | Der Shutdown wirkt. Nun suchen alle die richtige Exit-Strategie, während hunderttausende Beschäftigte kurzarbeiten oder im Homeoffice sitzen. Was aber sind die Folgen? Drohen Insolvenzen, wie verändert sich die Arbeitskultur und was heißt das für Mitbestimmung und Gewerkschaftsarbeit? Darüber diskutieren Birgit Dietze, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin und Thomas Wagner, Wirtschaftsberater, der IG Metall und Betriebsräte berät.

Birgit, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin (c) Christian von Polentz / transitfoto.de

Thomas Wagner, Wirtschaftsberater der IG Metall Berlin (c) privat

Die Ausbreitung der Corona-Epidemie hat sich verlangsamt, die Bürgerinnen und Bürger halten sich an die Ausgangsbeschränkungen, und die Politik diskutiert Lockerungen. Haben wir das Gröbste überstanden?

Thomas Wagner: Nein. Das dicke Ende kommt noch. Denn die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger – auf unser europäisches Miteinander, auf den globalen Handel, die Entwicklung unserer Unternehmen und damit eng verbunden auf Beschäftigung.

Birgit Dietze: Es besteht die Gefahr von Liquiditätskrisen und wirtschaftlichen Schieflagen. Kurzarbeit senkt zwar die Lohnkosten, aber Strom und Miete fallen trotzdem an, auch wenn die Einnahmen ausbleiben. Die Frage ist, wie lange die Betriebe das durchhalten können. Deshalb sind nicht rückzahlbare Soforthilfen neben den Krediten so wichtig. Kredite der KfW-Bank helfen jetzt sehr, aber sie müssen natürlich zurückgezahlt  werden – Zinsen inklusive.

Thomas Wagner: Die KfW-Kredite wirken wie eine Bugwelle. Zwei Jahre fällt keine Tilgung an, dann aber müssen die Unternehmen sie bedienen. In der Finanzkrise 2007/2009 kämpften Unternehmen nicht auf dem Weg in die Krise ums Überleben, sondern auf dem Weg hinaus. Denn Unternehmen droht bei sehr hohen Kreditaufnahmen eine bilanzielle Überschuldung und damit die Insolvenz. Große Unternehmen müssen den Bankrott weniger fürchten, weil der Staat sie im Zweifel rettet. Was aber ist mit dem Mittelstand, zum Beispiel bei den Autozulieferern, die schon aufgrund der Elektromobilität und der Transformation in der Bredouille sind?

Was machen Betriebsräte in so einem Fall?

Birgit Dietze: Sie können über die Wirtschaftsausschüsse die Zahlen des Unternehmens prüfen. Wie verhalten sich Umsatz und Kosten? Gibt es Anzeichen für Liquiditätsprobleme, droht eine Insolvenz? Die IG Metall bietet hierfür Seminare und Schulungen an. Nach § 92a Betriebsverfassungsgesetz kann der Betriebsrat Konzepte zur Beschäftigungssicherung von Arbeitnehmerseite vorlegen. Betriebliche Kampagnen können entsprechenden Druck erzeugen und wir können politische Unterstützung organisieren. Klar ist dabei jedoch, dass die Lage durch Corona angespannter und komplexer geworden ist.  

Es sollte soweit erst gar nicht kommen. Müssen wir deshalb schnell den Stillstand überwinden?

Birgit Dietze: Wir sind in Berlin froh über jedes Unternehmen, das noch produziert oder wirtschaftlich den Wiederanlauf planen kann. Voraussetzung ist, dass die Gesundheit der Beschäftigten im Vordergrund steht und Fertigungs- und Betriebsabläufe so gesteuert werden, dass sie nicht in Gefahr geraten. Hier sind Betriebsräte und IG Metall gleichermaßen gefragt. Zusammen wollen wir Ablaufpläne entwickeln, wie die Beschäftigten sicher zur Arbeit kommen, sicher in der Fertigung produzieren, für Hygiene gesorgt ist, die Menschen Masken bekommen und Abstand wahren können.

Thomas Wagner: Die Frage ist, wenn wir die Produktion wieder aufnehmen, in welchem Rahmen können wir das überhaupt. Die Pandemie legt die Schwächen globaler Lieferketten schonungslos offen. Wenn Opel oder Daimler nicht produzieren können, weil sie die billigen Schrauben oder andere Komponenten aus Vietnam oder Südafrika nicht bekommen, dann ist klar, wie gefährlich Globalisierung einer hoch entwickelten Gesellschaft werden kann.

Birgit Dietze: Unternehmen werden überlegen müssen, wo „Ein-Lieferanten-Strategien“ und just in time-Prozesse aufrecht erhalten bleiben und wo zur Risikominimierung Änderungen richtig sind. Zudem zeigt sich im Moment der Wert einer eigenen Fertigungstiefe, wie zum Beispiel im Siemens Dynamowerk. Sie schafft Unabhängigkeit und hält technologisches Kernwissen und -können in Berlin. Das sind industriepolitisch wichtige Pfeiler und zwar insbesondere mit dem Blick auf die ja weiterhin anstehenden Fragen der Antriebs- und Energiewende. Eine Abhängigkeit von „Billigprodukten“ aus dem Ausland sollten wir nicht in Bereichen zulassen, die zur Daseinsvorsorge gehören. Das Beispiel hier derzeit fehlender FFP2-Masken führt uns dies vor Augen.

Wenn sich der Staat einerseits verschuldet, andererseits in den Unternehmen die Wirtschaftlichkeit sinkt, wer bezahlt die Zeche?

Birgit Dietze: Die Antwort darauf ist für unser Zusammenleben extrem wichtig. Viele Betriebe haben bereits vor Corona Optimierungs- und Sparprogramme aufgelegt, um im besten Fall mehr in die Zukunft investieren zu können. Klar ist, wenn Unternehmen mehr Kredite zurückzahlen müssen und in die Zukunft investieren wollen, werden sie den Rotstift weiter ansetzen – auch bei ihren Beschäftigten.

Wir retten die Unternehmen mit staatlichen Mitteln und am Ende landen Beschäftigte auf der Straße? Wie können wir das verhindern?

Thomas Wagner: Diese Gefahr droht. Wir sollten aber auch die Vorteile sehen. In den USA sind allein in den letzten vier Wochen 20 Millionen Menschen arbeitslos geworden. Dank des Kurzarbeitergeldes gibt es bei uns kaum Entlassungen und wenn die Wirtschaft wie vorhergesagt im Herbst wieder anzieht, können Unternehmen, wie schon in der Finanzkrise 2007/2009, durchstarten. Aber natürlich steht die Verteilungsfrage auf der Agenda.

Birgit Dietze: Das sehe ich auch so. Die schnellen öffentlichen Programme und unser Sozialstaatssystem helfen, Arbeitsplätze zu erhalten. Wichtig ist über den Tag hinaus, dass auch die richtigen Akzente beim Wiederauffüllen der Löcher im Staatshaushalt gesetzt werden. Es kann nicht sein, dass angehäufte Schulden dann allein über die Einkommens- und vielleicht Mehrwertsteuer hereinholt werden, das Heranziehen von Vermögens- oder Erbschaftssteuer aber keine Rolle spielt. Da brauchen wir eine Feinsteuerung und eine gesellschaftliche Diskussion, sonst geht die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auf. Was wir nach vorne gerichtet nicht aus dem Blick verlieren dürfen: Wenn der Staat Finanzen zur Verfügung stellt, warum knüpft er diese nicht auch an ökologische oder innovative Bedingungen? Darüber könnten mehr Mittel in zukunftsträchtige und klimapolitische Bereiche fließen, um damit in Märkte der Zukunft zu investieren.

Die Corona-Pandemie hat Homeoffice befeuert. Was bedeutet das für die Beschäftigten?

Thomas Wagner: Da gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Flapsig gesagt, Roboter und Künstliche Intelligenz sind immun gegen das Corona-Virus. Die Pandemie könnte die bereits stattfindende Automatisierung vorantreiben. Auch vor dem Hintergrund, dass Unternehmen ihre Lieferketten neu organisieren, essenziell wichtige Komponenten wieder eher in Europa oder Deutschland produzieren wollen. Das kann mehr oder weniger Arbeit für die Beschäftigten bedeuten.

Viele Beschäftigten sind im Homeoffice. Wohin geht hier die Reise?

Thomas Wagner: Früher haben sich viele Unternehmen gegen Homeoffice gewehrt, in der Krise erleben sie, dass Homeoffice in Deutschland funktioniert. Und damit rücken auch die Vorteile für sie in den Vordergrund: Setzen sie strategisch auf Homeoffice, benötigen sie langfristig weniger Büroräume, weniger Parkplätze, Firmenwagen und auf die Kantine können sie vielleicht auch verzichten. Sie sparen also jede Menge Kosten ein, die sie auf die Beschäftigten auslagern.

Birgit Dietze: Für beide Seiten, Beschäftigte wie Unternehmen, ist Homeoffice in dieser Breite relativ neu. Es hat Vor- und Nachteile. Beschäftigte sparen lange Arbeitswege und können oftmals deutlich ungestörter arbeiten. Auf der anderen Seite stellen sich Fragen der Kosten der Einrichtung häuslicher Arbeitsplätze, Fragen bei Arbeitsschutz und Haftung, zum Beispiel bei Unfällen. Maßgeblich ist ein faires Austarieren. Die Unternehmenskultur ist hier sehr wichtig: die einen setzen auf Vertrauen, andere auf extreme Überwachung, da müssen wir sehr genau Acht geben.

Thomas Wagner: Zudem ist die Gefahr groß, dass Unternehmen Homeoffice nutzen, um die Leistung der Beschäftigten zu verdichten. Die Frage ist für uns, wie verhindern wir, dass Kolleginnen und Kollegen unter Druck auch abends und am Wochenende arbeiten oder sich gar ins Burnout schießen.

Welche Lösungen gibt es?

Birgit Dietze: Volkswagen schaltet zum Beispiel für die Tarifbeschäftigten die Server ab 18.15 Uhr ab, so dass sie hier auch willentlich ausgebremst werden. Daimler löscht die Mails, wenn ein Kollege oder eine Kollegin im Urlaub weilt, so dass sie nicht am ersten Arbeitstag mehrere hundert Mails lesen müssen oder im Urlaub gar vor dem Rechner sitzen. Das sind zwei schützende Lösungen, aber natürlich gibt es mehr.

Was sind die Gefahren für die Betriebsratsarbeit und ein gutes Miteinander?

Thomas Wagner: Im Unternehmen müssen Beschäftigte stempeln und darüber können Betriebsräte kontrollieren, ob Bestimmungen eingehalten werden. Im Homeoffice fällt diese Kontrolle weg. Das führt zwangsläufig dazu, dass einige Unternehmen ihre Arbeitsprozesse künftig so organisieren werden, um diesen Kontrollverlust auszunutzen.

Birgit Dietze: Je flexibeler gearbeitet wird, umso entzerrter gestaltet sich der Zusammenhalt der Belegschaft und das stellt Unternehmen, Betriebsrat und Gewerkschaft gleichermaßen vor neue Herausforderungen.

Welche Antworten gibt es darauf?

Birgit Dietze: Betriebsräte und IG Metall müssen ihre jeweiligen Stärken einbringen. Wir können Diskussionen führen und mit Hilfe von Seminaren und Online-Seminaren über Neuerungen und mögliche Lösungen informieren. Gleichzeitig werden wir immer mehr Menschen darüber informieren müssen, warum Gewerkschaften wichtig sind, welche Vorteile Solidarität mit sich bringen. Was früher alle wussten, wissen viele junge Menschen heute nicht.

Thomas Wagner: Das Schlimmste wäre, sich diesen Herausforderungen zu verschließen. Stattdessen sollten wir sie studieren, das Gespräch suchen, um dann gute Strukturen auch einfordern zu können. Da sehe ich die IG Metall sehr gut aufgestellt, weil sie die Dinge benennt. Der Vorsitzende Jörg Hofmann hat gesagt, der Wandel lasse sich nicht aufhalten, aber gestalten könne man ihn sehr wohl. Klar ist aus meiner Sicht: Unsere Stärke ist unsere Innovationsfähigkeit, auf dieser basiert auch unser Wohlstand. Innovation wollen wir aber zusammen mit den Beschäftigten erreichen.

Kommen wir zum Anfang zurück. Wie wird Deutschland durch die Krise kommen?

Thomas Wagner: Das hängt auch von den Entwicklungen in der Europäischen Union ab. 40 Prozent unserer Exporte gehen in unsere Nachbarländer. Weil es den Euro gibt und keine Devisenschwankungen, bleiben die Preise stabil und wir konkurrenzfähig. Zudem zahlen wir keine Zölle. Wir profitieren sehr von der EU.

In der Krise stellt der deutsche Staat 800 Milliarden Euro für die Rettung im eigenen Land zur Verfügung, aber Italien und Spanien hilft Deutschland vor allem in Form von Lippenbekenntnissen. Wenn aber Italien, Spanien und Frankreich in die Knie gehen, wenn in Europa alle ihre Grenzen hochziehen, dann ist unser Wohlstand und unser Wirtschaftsmodell in Gefahr. Dann geht es finanziell ans Eingemachte. Auch hier ist die Lösung eher gelebte Solidarität, statt auf Altbekanntem zu beharren.

Birgit Dietze: Aktuell ist wichtig, dass Arbeitslosigkeit verhindert wird. Das hält Einkommen und Nachfrage aufrecht und sorgt dafür, dass gut ausgebildete Fachkräfte an Bord bleiben. Industriell ist es entscheidend, weiter in Richtung Nachhaltigkeit umzusteuern und dort zu investieren. Die Förderung integrierter Netzwerke zwischen Industrie, Forschung und Wissenschaft kann hier ein Schlüssel sein, flankiert von Investitionen in das Bildungswesen. Gesellschaftlich muss es um eine Gesamtausgewogenheit gehen und betrieblich gelingen Krisenbewältigung und Innovationsaufbruch am besten gemeinsam. Voraussetzung dafür sind faire Arbeits- und Einkommensbedingungen und Mitbestimmung. Denn so spart man Konfliktkosten, die in betrieblich innovative Prozesse fließen könnten. Die IG Metall steht für vorwärtsgewandte und sozial faire Maßnahmen bereit.

 

Von: Michael Netzhammer

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