35 Stunden reicht - keine Zeit für neue Mauern

Siemens Mobility: „Das kannst Du keinem mehr erklären“

15.10.2018 | Bereits auf der Betriebsversammlung am 12. Oktober 2018 setzten die Beschäftigten ein Zeichen. Drei Tage später haben Betriebsrat und Beschäftigte nachgelegt – mit einer 36-minütigen Sondersprechstunde. In dieser informierte der Betriebsrat über die Folgen von 5 x 36 Minuten Arbeitszeit mehr pro Woche, die Menschen mit Osttarif mehr arbeiten als Beschäftigte mit Westtarif. Im Interview erklärt der Betriebsratsvorsitzende Udo Rauchert bei Siemens Mobility GmbH, was nicht zu erklären ist.

Udo Rauchert, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Mobility GmbH in Berlin-Treptow

Alle Fotos (c) IG Metall Berlin

Ihr habt heute die Beschäftigten zu einer Sondersprechstunde eingeladen. Warum?
Udo Rauchert: 36 Minuten arbeitet jede Kollegin, jeder Kollege pro Tag mehr als Beschäftigte im Westen. Das ist pro Jahr ein ganzer Monat mehr, den wir zusätzlich ohne Lohnausgleich im Osten arbeiten. Mit unserer 36-minütigen Sondersprechstunde habe wir auf diese Ungerechtigkeit hingewiesen.

Was habt ihr konkret gemacht?
Wir hatten den Weg zur Sondersprechstunde mit roten Weckern markiert und zwei Plakate auf die Wiese vor unserem Gebäude gelegt. Darauf stand: „35 reicht – keine Zeit für neue Mauern“. Obwohl wir alles sehr spontan geplant hatten, fanden 80 bis 90 Beschäftigte den Weg zu unserer Sprechstunde. Das Unverständnis über diese anhaltende Ungerechtigkeit ist enorm.

Was hat Bettina Haller, die Gesamtbetriebsratsvorsitzende, zu den Kolleginnen und Kollegen gesagt?
Sie hat erklärt, wo wir in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern stehen. Fakt ist, dass wir bis Ende des Jahres einen Fahrplan fordern, indem wir den Einstieg in die 35-Stundenwoche und das Zieldatum festlegen.

Warum ist das so schwer?
Weil sich die Arbeitgeber nach wie vor querstellen. In dieser Tarifrunde hat die IG Metall mit dem Druck der Kolleginnen und Kollegen aber eine Gesprächsverpflichtung erreicht und damit das Thema 35 Stundenwoche erneut auf die Agenda gesetzt. Das nächste Gespräch ist bereits am kommenden Freitag. Da sitze ich als Mitglieder der IG Metall-Verhandlungskommission mit am Tisch.

Wie argumentieren die Arbeitgeber?
Die reden davon, dass die Arbeitsproduktivität im Osten noch nicht so hoch sei wie im Westen. Die 35-Stundenwoche könnten sich deshalb insbesondere kleine Unternehmen nicht leisten. Wer sich jedoch heute bei uns bewirbt, dem kannst Du 29 Jahre nach dem Mauerfall nicht erklären, dass es in Deutschland immer noch eine Tarifmauer gibt. Damals waren Auszubildende und dual Studierende im Osten noch gar nicht auf der Welt und trotzdem soll für sie im vereinten Deutschland immer noch ein Osttarif gelten. Das ist grotesk.

 

Von: rk

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