Berliner Glas am Scheideweg?

Trotz Rekordgewinnen Entgelte unter Branchenniveau und drohende Aufspaltung

22.01.2021 | Gestern erschien in der FAZ ein Artikel, der bei der Belegschaft von Berliner Glas zu Recht für Unruhe sorgte. Demnach könnte eine Aufspaltung des Unternehmens bevorstehen. Das Management lässt die Beschäftigten bisher in Unklarheit. Auch die Tarifsituation kommt in dem Artikel zur Sprache. Trotz Rekordgewinne zahlt das Unternehmen Entgelte, die deutlich unter dem branchenüblichen Niveau liegen.

Laut Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) hat ASML 2020 bei einem Umsatz von 14 Milliarden Euro einen Nettogewinn von 3,6 Milliarden Euro erzielt. Damit sei das Unternehmen das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Niederlande – noch vor den Schwergewichten Unilever oder Shell, so die Zeitung weiter. ASML hatte Berliner Glas erst vor zwei Monaten gekauft.

Tarifsituation bei Berliner Glas
Bei Berliner Glas gilt derzeit der Tarifvertrag für Groß- und Außenhandel. Die Unternehmensleitung tut damit so, als gäbe es mehr Gemeinsamkeiten mit der Metro als mit vergleichbaren Unternehmen wie Carl-Zeiß. Aus ihrer Sicht macht das Sinn: Aufgrund der deutlich niedrigeren Löhne und Gehälter spart Berliner Glas jährlich Beträge in Millionenhöhe – womit wir wieder bei den Rekordgewinnen von ASML wären.

Unternehmen der gleichen Branche wie zum Beispiel Carl-Zeiß unterliegen den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie. Beschäftigte in diesen Unternehmen verdienen nicht nur deutlich mehr bei einer geringeren wöchentlichen Arbeitszeit, sie haben auch noch zusätzlich freie Tage für Schichtarbeitende und vieles mehr.

Tarifverträge haben darüber hinaus eine ordnungspolitische Funktion: Sie stellen sicher, dass gleiche Arbeitsbedingungen innerhalb einer Branche gelten, damit Konkurrenz zwischen den Unternehmen über die besseren Produkte und nicht auf dem Rücken der Beschäftigten über die Höhe der Entgelte ausgetragen wird.

Wer entscheidet, welcher Tarifvertrag gilt?
Es liegt in den Händen der Beschäftigten, welcher Tarifvertrag gilt. Sie stimmen mit den Füßen ab, ob die IG Metall im Betrieb stark genug sein wird, einen passenden Tarifvertrag durchzusetzen. Unter den Gewerkschaften herrscht schon lange Einigkeit, dass nicht ver.di, sondern die IG Metall die tarifzuständige Gewerkschaft ist.

Die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband Großhandel dient im Falle von Berliner Glas einzig dem Lohndumping. Die Beschäftigten werden gemeinsam mit der IG Metall selbst dafür sorgen müssen, dass sich daran etwas ändert.

Tarifverträge fallen umso besser aus, je stärker die IG Metall im Betrieb organisiert ist. Denn auch hier gilt die Grundregel: Gemeinsam erreicht man mehr als alleine. Jede Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag ist ein Tauziehen mit dem Arbeitgeber. Für die Durchsetzung eines guten Tarifvertrages kommt es daher einzig und allein darauf an, ob die Belegschaft gewerkschaftlich organisiert ist.

Aufspaltung von Berliner Glas?
Seit der Übernahme von ASML rätselt die Belegschaft, was mit bestimmten Geschäftsbereichen – wie beispielsweise Medical Applications – passieren wird. Laut des FAZ-Artikels droht Berliner Glas eine Aufspaltung. Der Finanzvorstand Roger Dassen sagte gegenüber der Zeitung, dass „nur ein Drittel“ von Berliner Glas „strategisch relevant“ sei. Was das genau heißt, darüber lässt sich trefflich spekulieren.

In Zeiten der Unsicherheit ist es immer gut, einen starken Partner wie die IG Metall an seiner Seite zu haben. Die IG Metall wird sich in jedem Fall gemeinsam mit den Beschäftigten für Beschäftigungssicherung und für eine sichere Zukunft einsetzen. Aber der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Selbst wenn einzelne Geschäftsbereiche verkauft werden sollten, gelten die Tarifverträge aufgrund von Besitzstandsrechten weiter.

Tarifvertragliche Ansprüche blieben dann auch unter dem Dach eines anderen Unternehmens unberührt. Ein Grund mehr, sich gewerkschaftlich zu organisieren und die eigene Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Die IG Metall Berlin sichert den Beschäftigten für ihren weiteren Weg jegliche Unterstützung zu.

 

 

Von: Ingo Harms, Marius Sänger

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