Interview mit Dr. Gerhard Binkert

Verdachtskündigung und Videobeweis

31.07.2014 | »Verdachtskündigung und Videobeweis« - neuere Tendenzen in der Rechtsprechung - lautet das Thema des Vortrags auf der diesjährigen Betriebsrätefachtagung. Was ist daran für Betriebsrätinnen und Betriebsräte spannend? Ein Interview mit Dr. Gerhard Binkert, Präsident des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg a.D.

Foto: Christian von Polentz/ transitfoto.de

 Dr. Gerhard Binkert: Mit „Verdachtskündigung“ und „Videobeweis“ sind zwei zentrale Punkte aus dem Kündigungsrecht und dem Betriebsverfassungsrecht angesprochen, die in der Praxis von enormer Bedeutung sind. Beides wird in Fachkreisen und auch in den Medien heftig diskutiert. Wichtig ist eine nüchterne Analyse: Wie geht die aktuelle Rechtsprechung mit diesen Problemen um? Wie bewertet die Rechtsprechung einzelne Aspekte und Fallgestaltungen? Wichtig ist dabei: Die Rechtsprechung setzt beidem Grenzen. Aber auf gesetzlicher Ebene passiert gerade nichts, da das geplante Arbeitnehmerdatenschutzgesetz nicht zustande gekommen ist.

Was für eine Auswirkung hätte das Arbeitnehmerdatenschutzgesetz? Wird dieses in naher Zukunft noch zustande kommen oder ist es vom Tisch?

Der Gesetzesvorschlag der damaligen schwarz-gelben Koalition wurde Anfang 2013 nach heftiger Kritik von allen Seiten wieder in die Schublade gelegt. Dort waren detaillierte Regelungen gerade zur Videoüberwachung im Betrieb vorgesehen, unter anderem das völlige Verbot der heimlichen Videoüberwachung. Andererseits wurden dem Arbeitgeber nicht geringe Möglichkeiten der Datenerhebung, insbesondere der offenen  Videoüberwachung, zugestanden. Derzeit stehen Gesetzesprojekte nicht an, der Koalitionsvertrag sieht nur allgemein Hinweise auf Verbesserungen vor.

Dürfen Videoüberwachungen ohne Kenntnis der Betriebsräte vorgenommen werden?

Dr. Gerhard Binkert: Nein, im Grundsatz besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei allen vom Arbeitgeber mittels technischer Geräte durchgeführten Überwachungsmaßnahmen gegenüber Beschäftigten (gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Die spannende Frage ist aber: Wie weit darf der Arbeitgeber gehen - auch bei Beteiligung des Betriebsrats? Wer darf überwacht werden? Einzelne Arbeitnehmer, die gesamte Belegschaft? Wie lange? Also eine Dauerüberwachung von 24 Stunden? Hier setzt die Rechtsprechung an und zieht Grenzen.

Gibt es praktische Beispiele, von denen Sie in Berlin gehört haben? Warum ist das Thema so aktuell?

Dr. Gerhard Binkert: Videoüberwachung ist durch die Vorfälle bei LIDL ins Rampenlicht gerückt. LIDL hatte großflächig heimliche Videoaufnahmen im Betrieb durchgeführt, die auch vor den Sozialräumen nicht halt gemacht haben. Es wurden Bußgelder in Millionenhöhe gegen LIDL verhängt. Seither ist die Videoüberwachung im Gespräch, obwohl es bereits früher Überwachungsmaßnahmen gegeben hat.

Stark diskutiert wurde auch die Videoüberwachung in verschiedenen Briefzentren in Berlin und Umgebung, nachdem dort Diebstähle von Sendungen festgestellt worden waren. 

Auch die Verdachtskündigungen - also Kündigungen bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts auf eine Straftat des Arbeitnehmers -  sind Dauerthema bei den Arbeitsgerichten in Berlin und Brandenburg: Im Einzelhandel, im Kassenbereich und im Lager, aber auch beispielsweise vor einiger Zeit bei der BVG im Bereich Fahrkartenerstattung. Ein Mitarbeiter der BVG wurde verdächtigt, Verwandten unberechtigt Fahrkartenrückerstattungen zugeschoben zu haben.

Und im Bereich des öffentlichen Dienstes wurde ein Beschäftigter, der für die Erteilung von Aufträgen an Firmen zuständig war, verdächtigt, von Firmen, an die Aufträge vergeben wurden, Schmiergelder entgegen genommen zu haben. In beiden Fällen wurde eine Verdachtskündigung ausgesprochen.

Worin liegt eigentlich die Problematik der Verdachtskündigung genau ?

Der Arbeitgeber muss in diesen Fällen nicht die Tatbegehung selbst beweisen, also beispielsweise den Diebstahl. Er muss aber einen auf objektive Tatsachen gestützten dringenden Verdacht einer Straftat des Arbeitnehmers geltend machen und kann dann kündigen. Manche befürchten, dass dadurch auch  ein Unschuldiger getroffen werden könnte. Daher wird auch die Rechtsprechung zum Thema Verdachtskündigung in meinem Vortrag am 25. September eine wichtige Rolle spielen.

 

Von: aw

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