Dem Metaller Gottfried Dolinski zum 70igsten

Von wilden Streiks und neuen Wegen

17.07.2020 | Betriebsratsvorsitzender, Aufsichtsrat, stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Mitglied in Delegiertenversammlung, Ortsvorstand und Beirat, Leiter der Berliner Stadtteilgruppe. Es gibt wohl keine Position, die Gottfried Dolinski in der IG Metall nicht innegehabt hätte. Dabei hat die Geschichte zwischen dem jungen Arbeiter und der Gewerkschaft nur schwer Fahrt aufgenommen. Nun gratulierte ihm die Geschäftsstelle zum 70igsten Geburtstag.

Feier zu Ehren von Gottfried Dolinski im Vordergrund mit der Zweiten Bevollmächtigten der IG Metall, Regina Katerndahl sowie Mitgliedern und Besuchern der Geschäftsstelle.

Gottfried Dolinski unter Warnstreikenden.

Gottfried Dolinski spricht 2002 auf einem Warnstreik.

An seinen ersten Streik erinnert sich Gottfried Dolinski genau. Damals arbeitete er bei Orenstein & Koppel in Berlin und montierte Bagger. Es waren die 1968er, die Jahre der Studentenbewegung. „Am Standort Hattingen unseres Unternehmens hatten die Arbeiter gerüchteweise durch einen wilden Streik gerüchteweise 30 Pfennig (15 Eurocent) mehr Stundenlohn erstritten“, erinnert sich der 70-Jährige. Der Geschäftsführer des Unternehmens in Berlin aber weigerte sich, schließlich sehe er ja keinen demonstrierenden Beschäftigten vor dem Tor. „Dem haben wir dann abgeholfen, sind nach der Mittagspause einfach nicht an den Arbeitsplatz zurückgekehrt und haben 15 Pfennig mehr Stundenlohn ausgehandelt. Das war bei einem Stundenlohn von knapp über sieben DM viel Geld“, sagt er heute. Die Pointe: In Hattingen hatte es gar keinen wilden Streik gegeben – in Berlin durch sein Zutun schon.

In Sachsen geboren, im niedersächsischen Diepholz aufgewachsen und zum Schlosser geworden, zog es Gottfried Dolinski mit 18 Jahren nach Berlin. „Bundeswehr, soziale Kontrolle und die Studentenbewegung waren gute Gründe, den Standort zu wechseln“, sagt der Metaller. Aus seinen Sympathien für die APO, die Außerparlamentarische Opposition, macht der damals 18-Jährige keinen Hehl und stellte verwundert fest, dass die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb den Studentenprotesten skeptisch gegenüberstehen. „Mich haben sie dagegen akzeptiert, weil ich im Gegensatz zu vielen Protestierenden in der Produktion gearbeitet habe.“

Nach „Gastspielen“ bei Siemens und Pierburg landete Gottfried Dolinski 1972 schließlich bei Osram und hatte die politische Kraft längst erkannt, die in einer guten Gewerkschaftsarbeit liegt. Doch aufgrund seiner Verbindung zu APO und SEW, den Westberliner Einheitssozialisten, lehnten ihn viele Gewerkschafter*innen ab. Er engagierte sich trotzdem als Metaller und Vertrauensmann und wurde 1984 erstmals als Betriebsrat gewählt. Zehn Jahre später wählten ihn die Osram-Beschäftigten zu ihrem Betriebsratsvorsitzenden. Er blieb es 18 Jahre lang. Darüber hinaus wurde er stelllvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Euro-Betriebsrat und saß im Aufsichtsrat bei Osram. In seiner Zeit hat er einen Streik und mehrere Warnstreiks organisiert. „Das waren immer Höhepunkte unserer Gewerkschaftsarbeit, weil die Aktionen uns zusammengeschweißten, wir auch nicht organisierte Kolleg*innen für uns gewonnen haben.“ Doch gerade zum Ende seiner Amtszeit bei Osram wurde die wirtschaftliche Lage bei Osram immer dramatischer, in der eine Verhandlung um Sozialplan und Interessenausgleich die nächste ablöste.

Ausbildung von 200 Facharbeiter*innen – bei vollem Lohnausgleich
Im Rahmen einer dieser Verhandlungen erreichte er, dass rund 200 ungelernte Kolleginnen und Kollegen eine Ausbildung zum Facharbeiter, zur Facharbeiterin machen konnten. „Fast alle von ihnen haben diese Ausbildung abgeschlossen, obwohl viele seit vielen Jahren keine Schulbank mehr gedrückt haben. Und sie haben ihr volles Gehalt bekommen“, erzählt er. Weiterbildung wird – da ist sich Gottfried Dolinski sicher – auch jetzt wieder ein wichtiges Instrument in der Transformation. Die stellt die Gewerkschaft vor große Herausforderungen „Die Welt hat sich verändert. Die Gewerkschaften müssen es ebenfalls tun“, sagt er.

Die Welt hat sich verändert, die Gewerkschaften müssen es ebenfalls
Die Frage ist, in welche Richtung. „Zwar gehen die Meinungen hier auseinander, aber ich denke schon, dass die IG Metall Start-ups und ihre Beschäftigten – so wie sie es ja gerade tut – mehr in den Blick nehmen muss.“ Allein in Berlin arbeiten inzwischen rund 78.000 Beschäftigte in einem Start-up-Unternehmen. Viele arbeiten ohne Tarif und merken erst langsam, wie wichtig eine starke Interessenvertretung ist. Auch Angestellte und Hochqualifizierte müssen als Mitglieder mehr geworben werden, auch wenn das so manchem Metaller in der Produktion gegen den Strich gehe.

Doch Alternativen zur Veränderung sieht er keine. „Wir müssen uns angesichts des Klimawandels und der Transformation auch fragen, ob wir uns weiterhin so stark auf die Autoindustrie konzentrieren sollten wie bisher“, sagt er. Sie war lange der deutsche Wirtschafts- und Wachstumsmotor. Aber ist er es auch noch in zehn oder zwanzig Jahren? Neue politische Entwicklungen und Bewegungen wie Fridays for Future fordern mehr Engagement für Klimawandel und Umweltschutz und eine umweltfreundliche Mobilität.

„Darüber müssen wir innerhalb der Gewerkschaft stärker diskutieren, so wie wir es früher in den Berliner Stadtteilgruppen gemacht haben“, sagt er. Damals kamen 80 – 120 Betriebsrätinnen, Vertrauensleute und Gewerkschaftssekretäre zu den Treffen, diskutierten und tauschten sich aus. Auch hier hat sich der 70-Jährige engagiert.

„Gottfried war für uns immer einer, auf den wir uns verlassen konnten, der Lösungen gesucht und gefunden hat“, sagte Regina Katerndahl auf der kleinen Feier am 12. Juli in der Berliner Geschäftsstelle. Seine vielfältigen Erfahrungen vermittelt er nach wie vor als Referent in Seminaren der IG Metall Bildungsstätte in Pichelssee. Gleichzeitig ist er einer, der auch nach 55 Jahren IG Metall-Mitgliedschaft den Diskurs sucht.

Mitglied ist er als 15-Jähriger geworden. Nicht unbedingt aus eigenen Stücken, wie er sich erinnert. „Uns neuen Auszubildenden hat der Betriebsratsvorsitzende der Schöttler Maschinenfabrik eingeladen, sprach über Gewerkschaften und ihre Bedeutung und teilte einen Zettel aus, den man unterschreiben müsse“, erinnert sich Gottfried Dolinski. Verstanden hat er die Ausführungen des BRV damals nicht, unterschrieben hat er das Papier sehr wohl. Seit damals ist er Mitglied. Für die IG Metall war das ein Gewinn.

 

Von: Michael Netzhammer

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