Siemens-Dynamowerk

Vorausschauende Industriepolitik - nicht nur in Corona-Zeiten

03.04.2020 | Unternehmen müssen ihre Betriebskosten im Blick haben, dürfen sich aber nicht auf diese beschränken. Wie wichtig eine eigene Fertigungstiefe in Corona-Zeiten ist, zeigt sich im Berliner Siemens-Dynamowerk. Die Beschäftigten produzieren zum Teil fehlende Teile einfach selbst.

Hätte sich das Siemens-Management durchgesetzt, würde in den Hallen des Dynamowerks in der Siemensstadt bereits gähnende Leere herrschen. Dort aber läuft die Produktion zum Teil auf Hochtouren. Denn der betriebswirtschaftliche Wind hat sich gedreht. Die zwischen Geschäftsführung und Betriebsräten vereinbarten Maßnahmen aus dem Jahr 2018 greifen und Werkleitung, Beschäftigte und die etablierten Prozesse sind auf einem guten Weg, die Trendwende dauerhaft zu bestätigen.

„Der Vorteil des Dynamowerks ist, dass wir nach wie vor eine gute Fertigungstiefe haben und deshalb viele für die Produktion unverzichtbare Bauteile und Module selbst produzieren können“, sagt Predrag Savic, Betriebsratsvorsitzender im Dynamowerk. Das macht das Werk weniger abhängig von globalen und selbst europäischen Lieferketten. Um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen, überwachen viele europäische Länder ihre Grenzen deutlich stärker. Deshalb stecken Bauteile und Komponenten an Grenzen fest oder werden aufgehalten. „Hätten wir unsere Wickelei oder Dreherei nicht mehr, stünde die Produktion bereits“, fügt Predrag Savic hinzu.

Die Coronakrise zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn Unternehmen einzig und allein auf Kostenvorteile im globalisierten Markt setzen und deutsche Regierungen sie gewähren lassen. „Neben der Frage so geschaffener Abhängigkeiten werden dabei oft anschließende Schnittstellenkosten und -probleme nicht mitkalkuliert und damit kurzfristig gehandelt. Richtig ist natürlich, dass nicht jedes Unternehmen jede Schraube selbst produzieren sollte, aber technologische Kern- und Facharbeiterkompetenzen sollten wir immer auch hier erhalten“ sagt Birgit Dietze, Erste Bevollmächtigte der Berliner IG Metall.

Schließlich haben sich - neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie - auch die politischen Vorzeichen geändert. Regierungen wie die Trump-Administration setzen auf Handelsbarrieren oder schrecken auch vor Handelskriegen nicht zurück, wenn es ihnen in den innenpolitischen Kram passt. Auch von daher ist es zunehmend sinnvoll, strategisch wichtige Produkte, Arbeitsmethoden und digitale Werkzeuge selbst entwickeln und produzieren zu können, will eine Region wie Europa sich nicht abhängig von Dritten machen.

„Die IG Metall setzt daher auf eine in die Zukunft gerichtete Industriepolitik und mit dem Berliner Senat, mit Hochschulen und Unternehmen“, sagt Birgit Dietze, die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin. Inzwischen schürt die Coronakrise eine Diskussion, die auch die Nachteile der Globalisierung in den Blick nimmt. „Unternehmen werden sich fragen, muss ich wirklich alles dort produzieren, wo es am billigsten ist“, sagte Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft der Zeit. Und Ralph Brinkhaus, Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zielt in eine ähnliche Richtung: “Wir müssen schauen, dass wir nicht von einer Region in dieser Welt abhängig sind”, sagte er gegenüber Reuters-TV.

Das sind aus wirtschaftsnahen Mündern neue Töne. Und sie untermauern die Forderungen der IG Metall, die für eine Fertigung auch in Deutschland plädiert, weil nur so auch das Fertigungs-Knowhow und Arbeitsplätze langfristig erhalten bleiben. Das ist in vielen Fällen auch ökonomisch die beste Alternative wie das Beispiel des Dynamowerks zeigt: „Weil wir im Dynamowerk nicht nur forschen und entwickeln, sondern auch die entwickelten Produkte fertigen können, sind unsere Abstimmungswege extrem kurz“, sagt Predrag Savic. Vor allem müssen diese nicht per Videokonferenz oder Chat stattfinden, sondern geschehen Auge in Auge. Dieser schnelle Kontakt spart jede Menge Abstimmungsschleifen und damit Kosten ein.

Der Austausch zwischen Fertigung und der F&E-Abteilung im Dynamowerk ist deshalb ein Pfund, mit dem Siemens gerade wuchern kann. Wenn der Siemenscampus in Spandau steht, wird die Fertigung noch wertvoller werden, weil sie den Kreis zwischen unternehmenseigener Forschung & Entwicklung, Start-ups, Hochschulen und Forschungseinrichtungen schließt.

Von: Michael Netzhammer

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