Interview mit Wolfgang Walter

"Die Abwehrkämpfe haben mich geprägt"

25.10.2016 | Wolfgang Walter war von 2006 bis heute Betriebsratsvorsitzender im Siemens-Messgerätewerk. Seit kurzem ist er im Ruhestand. Ein Interview über verlorene Kämpfe und Fügungen, über Erreichtes, neue Ziele und den so wichtigen Klebeeffekt.

Wolfgang beim Siemens-Aktionstag

Wolfgang spricht gegen die Verlagerung der Niederspannung bei Siemens.

Walter (rechts) mit seinen beiden Nachfolgern.

Walter spricht ein Grußwort bei der Demo gegen den Sozialabbau 2004 in Berlin

Wolfgang drückt 2006 zusammen mit Oskar Lafontaine seine Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen des traditionsreichen Baumaschinenbetriebs O&K aus, der damals zur FIAT-Tochter CNH gehörte.

Solidarität weltweit - Wolfgang Walter fordert und fördert die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, hier mit einem indischen Kollegen in Berlin.

Du hast in den 70er Jahren Deutsch und Politik auf Lehramt studiert, wolltest Lehrer werden und warst in der GEW organisiert. Der Blaumann bestimmte eher nicht Deinen Lebenslauf und doch bist Du Metaller geworden. Wie ist es dazu gekommen?
Wolfgang Walter: Nach meinem Abschluss und fünf Jahren Hochschultätigkeit in der Lehrerausbildung herrschte Mitte der 80er Jahre in Deutschland eine Lehrerschwemme. Deshalb habe ich eine Umschulung gemacht und fing 1987 im Siemens-Messgerätewerk an. Ich war immer ein politischer Kopf, für die aktive Teilhabe aber bedurfte es eines Anstoßes.

Was war der Anlass?
Etwa Mitte der 90er Jahre beschloss der Siemens-Vorstand, das Werk in drei Sparten aufzuteilen: Eine Sparte sollte nach Frankreich verlagert, eine weitere an einen US-amerikanischen Investor verkauft werden. Damals hatten wir rund 1.300 Beschäftigte. Betriebsrat und IG Metall wollten die Aufspaltung verhindern. Es gab viele Aktionen und Aufrufe. Manche Aufrufe am Schwarzen Brett waren holprig formuliert und nicht korrekt geschrieben. Das fand ich nicht so gut. Also habe ich gesagt: Ich helfe Euch und überarbeite die Texte redaktionell. Seitdem bin ich dabei.

Wie ist der Arbeitskonflikt ausgegangen?
Wir haben die Aufspaltung nicht verhindern können. Es war ja die Zeit nach der Wiedervereinigung. In Berlin waren viele Menschen ohne Arbeit, die Hälfte der Ostbetriebe hatte zugemacht und die Kolleginnen und Kollegen nahmen Arbeit an, egal wie wenig sie dafür bezahlt bekamen. Es war eine schwierige Zeit für die IG Metall. Mich haben diese Abwehrkämpfe und die Schrumpfung der Berliner Industrie geprägt. Denn auch im Siemens-Werk hat das Personalbüro damals nur Personal abgebaut. Am Tiefpunkt im Jahr 2000 arbeiteten noch 460 Beschäftigte im Messgerätewerk.

In diesem Jahr wurdest Du stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, 2006 dann Vorsitzender. Welche Ziele habt ihr damals verfolgt?
Für uns war es wichtig, erst einmal den Standort zu sichern und wieder mehr Beschäftigung aufzubauen. Das haben wir geschafft. Aber wir mussten dem Arbeitgeber gegenüber große Zugeständnisse bei der Bezahlung machen. Wir haben auch Leiharbeit zugestimmt, während Betriebsräte anderer Unternehmen diese komplett abblockten. Unsere Devise aber lautete: Mehr Beschäftigung ist das wichtigste, über die Bedingungen reden wir später.

Wie schätzt Du diese Entscheidung heute ein?
Im Rückblick war das aus meiner Sicht richtig. Heute hat das Werk rund 950 Arbeitsplätze, also doppelt so viele wie 2000. Wichtig war mir, dass Leiharbeit von Siemens genauso bezahlt wird wie die Arbeit der eigenen Beschäftigten. Das war und das ist noch immer unser Ziel. 2009 haben wir eine siemensweite Regelung erreicht, die dann 2012 zum Branchentarifvertrag Leiharbeit geführt hat, so dass sich die Bezüge der Leiharbeiter mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit an das Niveau des Stammpersonals angleichen. Es geht also in die richtige Richtung. Entscheidend ist aber auch der Klebeeffekt. Denn einige hundert Beschäftigte sind über die Leiharbeit zu einem festen Arbeitsvertrag bei Siemens gelangt. Gerade vor dem Hintergrund der großen Arbeitslosigkeit in und um Berlin war das ein großer Erfolg der Siemens-Betriebsräte und der IG Metall.

Siemens hat vor einigen Jahren ehemals gehypte Geschäftsfelder wie das Computergeschäft oder die Kommunikationssparte verkauft, zum Beispiel an Redknee, Atos, Unify oder Nokia. Es sind überwiegend Betriebe, in denen die Beschäftigten wieder um ihre Arbeitsplätze bangen. Wusste Siemens, dass das geschieht?
Ich denke, Siemens hat diese Sparten verkauft wohlwissend, dass die Käufer weiter Stellen abbauen werden. Was jedoch nicht alle gleichermaßen getan haben. Es ist schon witzig, dass der Siemens-Vorstand einmal auf Computer und Kommunikation setzte und all das Alte, das Schrauben, Drehen, Fräsen und Zerspanen, als überholt betrachtete. Bis die Blase platzte. Heute sind bei Siemens die ‚alten‘ Geschäftsfelder wie Bahn, Maschinen, Antriebe, Trafos, Schalter und Turbinen nach wie vor tragende Säulen des Geschäfts.

Ein neuer Hype ist die Digitalisierung. Was erwartest Du von dieser Entwicklung?
Vielleicht bin ich blauäugig, aber ich mache mir da keine Sorgen. Auch der PC wurde uns als die Revolution angekündigt. Ich sehe die Digitalisierung eher als eine kontinuierliche Entwicklung nicht als den Quantensprung. Diese Entwicklung müssen wir als Gewerkschaft aufgreifen, die notwendigen Qualifizierungen einfordern und genau schauen, wie sich diese Entwicklung auf den Arbeitsalltag und die Gesundheit auswirkt.

Was bedeutet das für die IG Metall?
Die Mitglieder werden sich weiter ausdifferenzieren, die Lebenswelten der Mitglieder werden bunter werden und die IG Metall muss diese vielfältiger bedienen. Das kann die IG Metall sehr gut. Was mir jedoch noch fehlt und wo ich Bedarf sehe, sind die globalen Verteilungskämpfe. Hier müssen wir weg von der deutschen Binnensicht. Gerechte und faire Arbeit muss global umgesetzt werden.

Welche Rolle muss die IG Metall übernehmen?
Gewerkschaften müssen sich stärker weltweit vernetzen und austauschen, wie es in dem internationalen Netzwerk „Industrie All“ geschieht. Dieses Netzwerk ist noch ein zartes Pflänzchen. Ich würde mir wünschen, dass die IG Metall zum Beispiel mit den Arbeitgebern Verträge und Standards beschließt, die dann auch für deren Unternehmen im Ausland gelten. In der Globalisierung schreitet die Ungerechtigkeit fort. Mit Hilfe der Gewerkschaften kann es jedoch gelingen, dass Arbeitsrechte und Löhne sich auf das europäische Niveau zubewegen.

Von: mn

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