Nicht sexy, aber erfolgreich

Leihbeschäftigte im Siemens Schaltwerk – So geht solidarische Betriebsratsarbeit

17.10.2017 | Unangemeldete Proteste gegen Leiharbeit sorgten im Siemens Schaltwerk im September 2017 für Turbulenzen. Wie gute Betriebsratsarbeit für Leihbeschäftigte aussieht, darüber sprechen die ehemaligen Leihbeschäftigten Christoph Kalbofsky und Christopher Pohlmann mit den Betriebsräten Rüdiger Groß und Martin Streitberger.

Christoph Kalbofsky mit dem Auszubildenden Konstantin Kracht.

Christoph Kalbofsky im Gespräch mit den Betriebsräten Rüdiger Groß und Martin Streitberger.

Christopher Pohlmann spricht mit Betriebsrat Rüdiger.

Christoph Pohlmann in seiner Linie.

Ein unbefristeter Arbeitsvertrag ist ein gutes Gefühl und verleiht Sicherheit.

Fotos: Gewerkschaftsreporter.de

Im September gab es Proteste gegen Leiharbeit auf dem Gelände und dadurch mächtig Stunk im Siemens-Schaltwerk. Was ist passiert?

Rüdiger: Ein Betriebsrat hatte unabgestimmt die beiden Kundgebungen organisiert. Beim ersten Mal wies die Betriebsleitung darauf hin, dass dieses Vorgehen das Hausrecht verletze, sprach aber keine Abmahnungen aus. Beim zweiten Mal jedoch blieb das Unternehmen hart. Zwei leihbeschäftigte Kollegen, die das Plakat hochgehalten hatten, sollten ihre Werksausweise abgeben.

Martin: Das konnten zwei Betriebsräte jedoch verhindern, indem sie nochmals für die Kollegen Partei ergriffen. So konnten sie ihre Verträge wenigstens noch erfüllen. Das Problem war, dass der eigentliche Initiator so tat, als wäre er nur zufällig vorbeigekommen. Er hat die Kollegen im Stich gelassen. Und das geht gar nicht.

Wie habt Ihr auf die Vorfälle vom Betriebsrat aus reagiert?

Rüdiger: Wir haben eine außerordentliche Betriebsratssitzung einberufen und den Fall diskutiert. Grundsätzlich sind wir gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Frage ist, wie wir im Sinne unserer Kolleginnen und Kollegen möglichst viel erreichen. Krawall machen hilft da nicht.

Sondern?

Rüdiger: Indem man immer wieder über jeden Einzelfall verhandelt, mit der Geschäftsleitung nach Wegen sucht. Und da sind wir immer wieder erfolgreich. Gerade zum Quartalsende haben wir es erreicht, dass sieben ehemals Leihbeschäftigte unbefristet übernommen wurden. Zum Beispiel Christopher und Christoph.

Christoph, Du bist als Leihbeschäftigter ins Schaltwerk im April 2014 gekommen. Dann hast Du vor zwei Jahren einen befristeten Arbeitsvertrag erhalten. Am 30.9. wäre eigentlich Schluss gewesen. Wie fühlt sich das an?

Christoph: Natürlich gut. Es ist beruhigend, endlich eine gewisse Sicherheit zu haben. Zusammen mit meiner Frau habe ich drei Mädchen zwischen zwei und elf Jahren. Insofern bin ich sehr dankbar, dass die Betriebsräte sich für mich eingesetzt haben. Allerdings wusste ich davon nichts. Davon habe ich erst später erfahren.

Christopher: Bei mir war das ähnlich und auch ich bin sehr froh. Denn ein unbefristeter Arbeitsvertrag verändert sehr viel. Ohne ihn brauchst Du auf der Bank gar nicht um ein Darlehen anzufragen, jetzt können wir als Familie neue Pläne schmieden.

Arbeitest Du mit vielen Leihbeschäftigten zusammen?

Christopher: Das kommt darauf an. Wenn ich aber in meiner Linie herumschaue, dann sind die meisten hier entweder als Leihbeschäftigte eingestiegen oder als Auszubildende.

Gerade wollte die Unternehmensleitung die Jobs von 53 Leihbeschäftigten auslaufen lassen. Wie geht ihr in einem solchen Fall vor?

Martin: Wenn wir von einem solchen Plan erfahren, dann kämpfen wir dafür, dass die Leihbeschäftigten bleiben können. Das hängt aber natürlich sehr von der Wirtschaftslage ab. In dem erwähnten Fall haben wir es geschafft, 37 der 53 Leihbeschäftigtenstellen zu erhalten. Wenn möglich, versuchen wir Leihbeschäftigte zu befristeten Arbeitsverträgen zu verhelfen. Solche Arbeitsverträge zu entfristen, ist natürlich schwer.

Christoph wusste gar nicht, dass Ihr Betriebsräte Euch für Leihbeschäftigte einsetzt. Warum?

Rüdiger: Wir haben definitiv ein Kommunikationsproblem. Das hängt aber auch damit zusammen, dass viele Schritte, die wir machen oder Diskussionen, die wir mit Geschäftsleitung, Linienführern oder Abteilungsleitern führen, unter dem öffentlichen Radar stattfinden. Die Entfristung der sieben Verträge frisst Zeit, weil wir alle möglichen Formalien aushandeln und nachweisen müssen. Das ist häufig kompliziert und vielleicht auch nicht so sexy wie eine publikumswirksame Aktion. Aber so erreichen wir sehr viel mehr.

Kannst Du ein Beispiel machen?

Martin: Seit 2010 gab es sehr viel Unruhe im Schaltwerk. In einem Masterplan sollte die Belegschaft auf 1875 Beschäftigte eingedampft werden. Wir haben zwei Interessenausgleiche ausgehandelt und eine Umstrukturierung erlebt. Aber anstatt 1875 Beschäftigte arbeiten heute rund 3.400 Beschäftigte in unserem Unternehmen. Weil wir zusammen mit den Beschäftigten gut gekämpft haben und mit der IG Metall im Rücken auch stark argumentieren können.

Nicht alle waren vor einem Jahr glücklich, als Ihr ein 21-Schichten-Modell entworfen habt. Davor wollte die Geschäftsleitung allerdings auch drei von vier Bereichen zumachen.

Rüdiger: Ein 21-Schichtenmodell macht niemand glücklich. Es ist Arbeit, die wirklich nicht zum Leben passt. Aber Dank unseres Vorschlages, den wir mit den Beschäftigten und der IG Metall entwickelt haben, konnten wir verhindern, dass 600 Arbeitsplätze im Werk abgebaut wurden und drei der vier Bereiche erhalten blieben. Dank der mehr Schichten konnten wir die Produktivität in der Gießharzfertigung und damit in der gesamten Produktion steigern.

Martin: Wir haben dadurch den Arbeitsstau auflösen und die Arbeitsschritte besser organisieren können. De facto haben die Beschäftigten 3,5 Monate im 21-Schicht-Modell gearbeitet. Seit Juli 2016 arbeiten wir wieder 15 Schichten. Das hat den Beschäftigten vieles abverlangt, aber wir haben Arbeitsplätze gerettet. Das war ein Kraftakt, den viele Beschäftigten nicht mitbekommen haben. Aber so verstehen wir Betriebsratsarbeit – weniger reden, dafür möglichst viel für die Kolleginnen und Kollegen herausholen.

 

Zu den Personen:

Rüdiger Groß (52 Jahre) ist IG Metaller, seit 2001 Betriebsrat im Schaltwerk undstellvertretender Schwerbehindertenvertreter im Werk und sorgt in seiner Freizeit für Sicherheit im Motorsport.

Christoph Kalbofsky (33) ist im April 2014 als Leihbeschäftigter im Schaltwerk eingestiegen und ist seit dem 1.10.2017 unbefristet. Er hat mit seiner Frau drei kleine Mädchen und wohnt in der Siemensstadt.

Christopher Pohlmann (28) ist als Leihbeschäftigter im Mai 2012 und dann wieder 2014 ins Schaltwerk gekommen. Im September 2015 hat er eine befristete Stelle erhalten und ist seit Oktober unbefristet im Schaltwerk

Martin Streitberger (51) ist seit 33 Jahren Schaltwerker, IG Metall-Mitglied und seit 15 Jahren Betriebsrat und leitet den Vertrauenskörper. Er ist verheiratet, fotografiert in seiner Freizeit und hat eine Schwäche für die Eisenbahn.

Von: mn

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