Rechtstipp

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Arbeitgeber sind verpflichtet, die Arbeitszeit zu erfassen – aber viele Fragen sind noch offen

27.10.2022 | Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) sind Arbeitgeber schon heute verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Schon seit einigen Jahren steht fest, dass sich aus dem Europarecht eine solche Pflicht ergibt, der Gesetzgeber hatte bisher aber trotz vieler Ankündigungen noch kein Gesetz dazu erlassen.

RA Benedikt Rüdesheim, dka Fachanwälte

Das Bundesarbeitsgericht leitet diese Pflicht nun aus einem bereits vorhandenen Gesetzeswerk, dem Arbeitsschutzgesetz, ab. Die Grundsatzfrage ist nun also geklärt – wie das praktisch umgesetzt wird, ist in vielen Fällen aber noch offen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Hintergrund der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) war ein betriebsverfassungsrechtlicher Fall, in welchem der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber die Einrichtung eines bisher nicht vorhandenen elektronischen Zeiterfassungssystems erzwingen wollte. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte ein solches Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 bejaht. Dies war seit einer BAG-Entscheidung aus dem Jahr 1989 umstritten – Das Bundesarbeitsgericht hatte damals eine Beschränkung des Mitbestimmungsrechts auf ein Abwehrrecht des Betriebsrats gegen Überwachungseinrichtungen des Arbeitgebers angenommen.

In neueren Entscheidungen argumentierten die Gerichte mit Hinblick auf Zeiterfassungssysteme bereits, dass deren Einführung durchaus im Interesse der Beschäftigten, insbesondere deren Arbeits- und Gesundheitsschutz liege könne.

Nun allerdings entschied das Bundesarbeitsgericht, dass ein solches Initiativrecht nicht bestehe. Nach § 87 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche Regelung nicht besteht. Eine solche sieht das BAG in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Unter Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019 (Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18) ergebe sich daraus eine gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. Für den Betriebsrat gebe es also nichts mehr dabei mitzubestimmen, „ob“ ein solches System eingeführt wird.

Was ändert sich nun?

Bisher gibt es eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nur, wenn die tägliche Arbeitszeit über 8 Stunden hinausgeht (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Dies wird sich nun unmittelbar ändern. Während viele Kommentator*innen des EuGH-Urteils aus dem Jahr 2019 noch annahmen, eine Aufzeichnungspflicht könne es erst geben, wenn der Bundesgesetzgeber dazu ein Gesetz erlassen habe, ergibt sich diese Pflicht nun direkt aus dem Arbeitsschutzgesetz.

Auch wenn die Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts bisher noch nicht vorliegen, dürfte davon ausgegangen werden, dass diese Pflicht alle Betriebe, unabhängig von ihrer Größe und dem bisherigen Arbeitszeitmodell gelten wird. Zukünftig können die Arbeitsschutzbehörden die Einführung überprüfen, Nachbesserungen verlangen und ggfs. auch Bußgelder verhängen, falls Arbeitgeber der Pflicht nicht nachkommen.

Was bedeutet das für die Mitbestimmung der Betriebsräte?

Auch wenn das Bundesarbeitsgericht ein Initiativrecht der Betriebsräte, mit dem sie auch gegen den Willen des Arbeitgebers, die Einführung eines Zeiterfassungssystems verlangen können, abgelehnt hat, bleibt noch ausreichend Raum für Gestaltung durch betriebliche Interessenvertretungen.

Die Ausgestaltung eines elektronischen Systems sowie die Pflicht zur Betätigung eines Zeiterfassungssystems sind – unverändert – Gegenstand des zwingenden Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 BetrVG (Nr. 1 und Nr. 6). Da das BAG die Pflicht zur Zeiterfassung explizit aus einer arbeitsschutzrechtlichen Vorschrift ableitet, kommt der Mitbestimmung der Betriebsräte beim Arbeits- und Gesundheitsschutz nun noch eine stärkere Rolle zu. Hier geht es vor allem um die Frage, mit welchem System der Gefahr der Verletzung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften am besten vorgebeugt werden kann.

Was ist noch unklar?

Da die Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts noch nicht veröffentlicht sind, bleiben im Detail noch einige Fragen offen. Auch mit einer weiteren Ausgestaltung durch den Bundesgesetzgeber ist zu rechnen – schon vor der Entscheidung hatten die Parteien der Ampelkoalition ein solches Handeln in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt.

Solche Detailregelungen könnten zum Beispiel für die Konstellation des mobilen Arbeitens Klarheit schaffen. Denn auch wenn die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unabhängig vom Arbeitsort gilt, stellt sich hier durchaus die Frage der Verlässlichkeit und Überprüfbarkeit von Aufzeichnungen.

RA Benedikt Rüdesheim, dka Fachanwälte

Von: RA Benedikt Rüdesheim

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