21.06.2021 | „Ich habe so viele Jahre für meinen Chef gearbeitet, bin darüber krank geworden und werde jetzt auch noch gekündigt.“ So oder ähnlich ist immer wieder die Situation für Beschäftigte. Die krankheitsbedingte Kündigung ist grundsätzlich möglich, aber nicht immer wirksam.
Krankheitsbedingte Kündigung
Krankheiten führen dazu, dass Beschäftigte nicht arbeiten können. Krankheiten sind vielfältig: vom einfachen grippalen Infekt bis hin zu chronischen Leiden, die zu kurzen, langen oder häufigen Arbeitsunfähigkeitszeiten führen. Auch Unfälle, im privaten Bereich oder während der Arbeitszeit oder auf dem Arbeitsweg, führen zur Arbeitsunfähigkeit.
Stress und Druck bei der Arbeit können krank machen. Alle kennen dies – und meist sind Krankheiten unverschuldet. Statistisch sinkt ab dem 30. Lebensjahr mit zunehmendem Alter die Aktivität des Immunsystems und der Heilungsprozess verlängert sich. Dies kann dazu führen, dass Ältere Gefahr laufen, eine krankheitsbedingte Kündigung zu erhalten.
Entgegen anders lautender Gerüchte kann ein Arbeitgeber den Beschäftigten sowohl während als auch wegen der Krankheit und der daraus resultierenden Fehlzeiten kündigen. Dabei kann eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen, dauernder Arbeits- bzw. Leistungsunfähigkeit, lang anhaltender Erkrankung oder krankheitsbedingter Leistungsminderung ausgesprochen werden.
Erhalten Beschäftigte eine solche Kündigung, ist es immer sinnvoll, gewerkschaftlichen oder anwaltlichen Rechtsrat zu suchen. Es ist dann im Detail zu prüfen, ob eine krankheitsbedingte Kündigung überhaupt wirksam ist, da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die soziale Rechtfertigung stellt, hoch sind. Im Zweifelsfall ist innerhalb von drei Wochen ab Erhalt der Kündigung beim Arbeitsgericht eine Klage einzureichen.
Krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankung
In der Praxis am häufigsten und meist auch für die Beschäftigten am wenigsten verständlich ist die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen. Die Arbeitenden sind grundsätzlich in der Lage, ihre Arbeitsaufgaben zu erledigen, fallen aber wegen Krankheit immer wieder aus.
Die Prüfung, ob eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten sozial gerechtfertigt ist, erfolgt in drei Stufen:
1. Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose
2. Die negative Gesundheitsprognose führt zur Besorgnis künftiger erheblicher betrieblicher/wirtschaftlicher Beeinträchtigungen
3. Interessenabwägung
In der ersten Stufe ist also zu prüfen, ob objektive Tatsachen vorliegen, die den Schluss zulassen, dass aufgrund der Erkrankungen in der Vergangenheit auch zukünftig mit entsprechenden Fehlzeiten zu rechnen ist. Die Arbeitgeber kennen in aller Regel die Krankheitsursache nicht, was auch gut so ist. Meist wird ohne genaue Kenntnis der Krankheitsursache gekündigt. Dabei wird nach der Rechtsprechung regelmäßig die Entwicklung der letzten drei Jahre als Referenzzeitraum für die anzustellende Prognose herangezogen (BAG 25.04.2018, 2 AZR 6/18).
Waren also Beschäftigte beispielsweise in den letzten drei Jahren pro Jahr insgesamt jeweils drei Monate arbeitsunfähig erkrankt, kann daraus erst einmal die Prognose abgeleitet werden, dass sie auch künftig drei Monate pro Jahr arbeitsunfähig sind.
Im Rahmen der Kündigungsschutzklage können die Beschäftigten dann vorbringen, ob und in Bezug auf welche Erkrankung sie in der Zukunft nicht von gleichbleibend hohen Krankheitszeiten ausgehen. Hierzu können sie die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Regelmäßig wird im Gerichtsverfahren eine Diagnoseliste der Krankenkasse vorgelegt.
Eine negative Gesundheitsprognose besteht nicht, wenn die Krankheiten beispielsweise auf Unfällen beruhen und diese ausgeheilt sind. Bricht sich eine Person bei einem Unfall einen Arm, kann selbstverständlich nicht davon ausgegangen werden, dass sich diese im darauffolgenden Jahr noch den anderen Arm bricht. Bei einer Blinddarmentzündung ist der Blinddarm nur einmal operativ zu entfernen.
Anhand der einzelnen Krankheiten wird vom Gericht einerseits geprüft, ob es sich um einen Unfall handelt, ob die Krankheit ausgeheilt ist, ob die Krankheit beispielsweise im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft aufgetreten ist, oder ob andererseits davon ausgegangen werden muss, dass die Krankheit immer wieder auftritt. Letzteres kann der Fall sein, wenn die Fehlzeiten vor allem auf Erkältungs- oder Entzündungskrankheiten oder auf orthopädische Beschwerden des Bewegungsapparates beruhen. Fällt in den zurückliegenden Prognosezeitraum eine Reha, so ist zum einen der Reha-Zeitraum bei der Ermittlung der Krankheitstage nicht mitzurechnen, da die Maßnahme ja gerade der beruflichen Rehabilitation dient. Ist die Reha zudem erfolgreich, kann eine Erkrankung ausgeheilt sein und ist dann auch als solche nicht mehr prognosefähig.
In der zweiten Stufe sind die betrieblichen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen der Arbeitgeberseite zu prüfen. Die Kosten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall können erst dann als Grund für die Kündigung angeführt werden, wenn in allen drei Jahren für mehr als sechs Wochen Entgelt bei Krankheit vom Arbeitgeber gezahlt wurde. Hier rechnet das Gericht im Prozess die einzelnen Krankheitstage zusammen, die eine negative Prognose zulassen. Grundsätzlich gilt diese 6-Wochen-Grenze auch für Ältere, die statistisch einen längeren Heilungsverlauf haben.
In der dritten Stufe ist im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber nicht billigerweise hingenommen werden müssen. Hier kann berücksichtigt werden, dass Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind. Treten beispielsweise häufig Erkältungskrankheiten auf, sind gleichzeitig die Beschäftigten ständig Zugluft oder starken Temperaturschwankungen ausgesetzt und behaupten die Beschäftigten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den klimatischen Bedingungen und den Erkältungskrankheiten, muss der Arbeitgeber beweisen, dass ein solcher ursächlicher Zusammenhang nicht besteht. Zugunsten der Arbeitnehmer ist im Rahmen der Interessenabwägung auch eine längere Betriebszugehörigkeit oder ein höheres Alter und der Umfang der Unterhaltsverpflichtungen sowie eine Schwerbehinderung zu berücksichtigen.
BEM – betriebliches Eingliederungsmanagement
Jede Kündigung muss verhältnismäßig sein. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten und durchzuführen ist, es sei denn, es wäre vollkommen nutzlos (BAG, 20.11.2014, 2 AZR 755/13). Arbeitgeber sind zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verpflichtet, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen.
Arbeitgeber haben den Beschäftigten die Durchführung eines BEM anzubieten. Es ist immer sinnvoll, das Angebot anzunehmen und Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen. Häufig brennen Arbeitgeber darauf, zu erfahren, warum Arbeitnehmer krank sind. Dies sollte dem Arbeitgeber jedoch nicht mitgeteilt werden. Es besteht keine Pflicht, diese sehr persönlichen Informationen dem Arbeitgeber mitzuteilen.
Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es, in Erfahrung zu bringen, ob die Arbeit oder die Arbeitsbedingungen (mit-)ursächlich für die Krankheiten sind. Könnte dies der Fall sein, sollten schlechte Arbeitsbedingungen wie Raumluft, Zwangshaltung, Überkopfarbeit, Lärm und Überstunden unbedingt im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements benannt werden.
Dies ist meist auch möglich, ohne die Diagnosen mitzuteilen. Müssen Beschäftigte beispielsweise ständig Überstunden ableisten, führt dies dazu, dass die Erholungszeit niedriger ist. Weniger Erholungszeit kann wiederum dazu führen, dass eine höhere Anfälligkeit für Krankheiten besteht.
Im Rahmen des BEM kann auch vereinbart werden, dass orthopädische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt oder dass die Beschäftigten auf einen Arbeitsplatz, bei dem die klimatischen Bedingungen besser sind, umgesetzt werden. Nach solchen Maßnahmen sind Arbeitgeber verpflichtet, vor einer Kündigung abzuwarten, ob diese Maßnahmen auch Wirkung zeigen.
Führt der Arbeitgeber kein oder kein ordnungsgemäßes BEM durch, kann die Unverhältnismäßigkeit der krankheitsbedingten Kündigung die Folge sein.
Krankheitsbedingte Kündigung tarifvertraglich unkündbarer Beschäftigter
Selbst tarifvertraglich ordentlich unkündbare Beschäftigte sind vor einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen nicht komplett geschützt. Nach der Rechtsprechung ist eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist, die der längsten Kündigungsfrist ordentlich kündbarer Mitarbeiter entspricht, grundsätzlich zulässig. Da es sich jedoch um eine außerordentliche Kündigung handelt, für die ein wichtiger Grund notwendig ist, haben diese Mitarbeiter*innen dann eine Kündigung zu befürchten, wenn deutlich höhere Krankheitszeiten als sechs Wochen vorliegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 25.04.2018, 2 AZR 6/18) ist eine solche außerordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen wirksam, wenn nach der Prognose damit zu rechnen ist, der Arbeitgeber werde für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage, also vier Monate, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten müssen.