Rechtstipp

Rechtstipp "Der gute Rat" von Rechtsanwalt Nils Kummert

Weiterbildung: Jetzt Tarifvertrag Bildung transparent machen!

29.04.2015 | Ein lautstark erklärtes Ziel der Arbeitgeber ist die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens, die Fort- und Weiterbildung. Aber nur in wenigen Unternehmen gibt es eine Weiterbildungskultur. Welche Chancen bietet der neue Tarifvertrag Bildung? Wie funktioniert Mitbestimmung? Was ist mit der Beteiligungskultur? Rechtsanwalt Nils Kummert – Kanzlei dka Rechtsanwälte erläutert, was möglich ist und beleuchtet den Hintergrund.

Foto: dka Rechtsanwälte | Fachanwälte

Ausgangspunkt: Lebenslanges Lernen und viele Veränderungen

Die Forcierung der „Fort- und Weiterbildung“ der Beschäftigten ist in den Betrieben seit weit über 20 Jahren unter dem Stichwort der „Notwendigkeit des lebenslangen Lernens“ ein immer wieder lautstark erklärtes Ziel der Unternehmen. Stets wird betont, wie wichtig es angesichts der rasanten technologischen und arbeitsorganisatorischen Veränderungen der Arbeitswelt sei, dass die Beschäftigten mit diesen Entwicklungen mithalten können und beständig ihr Wissen an veränderte Umstände anpassen. Das gilt umso mehr, als die digitale Vernetzung von Informations- und Produktionstechnologien in den nächsten Jahren voraussichtlich eine neue Qualität erreichen wird („Industrie 4.0“), damit einhergehend neue Berufsbilder entstehen und vorhandene Berufsbilder ihr Profil stark verändern werden. Auch wird immer wieder – wie auch aktuell – der Fachkräftemangel und die fehlende „Ausbildungsfähigkeit“ junger Menschen beklagt.

Befund: Keine „Weiterbildungskultur“ in den Betrieben und Beschäftigte wollen mehr

Umso mehr erstaunt es, dass nur sehr wenige (und in der Regel nur die größeren) Unternehmen auf Basis substantieller Bedarfsanalysen eine Entwicklungsplanung und auf dieser Grundlage gezielt langfristig angelegte „Fort- und Weiterbildungsprogramme“ durchführen und in die Beschäftigten und deren berufliche Entwicklung systematisch investieren. Dieser Befund hat sich seit Jahren nicht geändert. Umfragen der IG Metall unter ihren Mitgliedern und die Eindrücke der Betriebsräte zeigen: Bildung und Weiterbildung haben einen sehr hohen Stellenwert, die Beschäftigen verbinden mit ihnen zu recht die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit, die Teilhabe an beruflichem und finanziellem Aufstieg und den Schutz vor Arbeitslosigkeit durch die Steigerung ihrer Beschäftigungsfähigkeit. Gerade für junge Arbeitnehmer ist das Thema „berufliche Entwicklung“ ein existenziell wichtiges Thema.

Gründe für das Fehlen von Weiterbildungsprogrammen in den Betrieben

Diese schwache „Fort- und Weiterbildungskultur“ hat Gründe: Typischerweise setzt eine fundierte Bedarfsanalyse und Entwicklungsplanung voraus, dass die Unternehmen eine langfristige Personalplanung betreiben und diese mit anderen Bereichen der Unternehmensplanung eng verzahnen. Hieran fehlt es sehr häufig. Da eine fundierte Feststellung der zukünftigen Bedarfe von vielen Unbekannten geprägt ist, die durchaus hohen Kosten für die Qualifizierung und berufliche Förderung der Beschäftigten langfristig entstehen, Beschäftigte in rechtlich zulässiger Weise nur begrenzt an ein Unternehmen gebunden werden können und die Amortisation dieser Investitionen zudem als nur schwer messbar gilt, wird in Zeiten einer vorrangig an der Steigerung des Unternehmenswertes und der Erzielung hoher Renditen orientierten Unternehmenspolitik („Shareholder-Ansatz“) nur sehr zurückhaltend in die Entwicklung der Beschäftigten investiert. Erst dann, wenn es gar nicht anders geht („Engpass-Politik“), werden im Bereich der An- und Ungelernten und auch im Bereich der Fachkräfte (Techniker und Sachbearbeiter) punktuell Anpassungsqualifizierungen durchgeführt. Zumeist werden hierfür dann – wenn überhaupt – Formen gewählt, die in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht (§ 98 BetrVG: „Bildungsmaßnahmen“) nur schwer zu greifen sind: „learning on the job“, als bloße Einweisungen nach § 81 BetrVG getarnte Kurzschulungen, Qualitätszirkel und moderierte „Lernstatt-Veranstaltungen“. Eine langfristige Förderung der beruflichen Entwicklung dieser Beschäftigtengruppen: Fehlanzeige. Anders sieht es dagegen bei Beschäftigten mit Führungsfunktionen aus: Viele Unternehmen betreiben auf Basis von (auch mitbestimmungspflichtigen) Beurteilungssystemen und Potenzialanalysen vorzugsweise und fast ausschließlich nur eine an der Entwicklung von Führungskompetenzen orientierte Entwicklungsplanung für die Beschäftigten in höheren Einkommensklassen, die zumindest auch Führungsaufgaben ausüben. Diese Beschäftigten werden über Projektarbeit, Übertragung von Zusatzaufgaben („job enrichment“), die Zuweisung von Vertretungsfunktionen und Coaching-Programme gefördert und gleichzeitig an das Unternehmen gebunden. Aus Sicht der Unternehmen „amortisieren“ sich diese Investitionen schneller und berechenbarer als die Fortbildungskosten für Mechatroniker und kaufmännische Sachbearbeiter, die zudem das Unternehmen verlassen könnten, wenn sie nach durchgeführter Qualifizierung keine beruflichen Aufstiegschancen erhalten.

Der mitbestimmungsrechtliche Rahmen – „eigentlich“ starke Mitbestimmung

Die mitbestimmungsrechtliche Handlungs- und Einflusszone für die Betriebsräte ist beachtlich und wurde sogar im Jahre 2001 noch erweitert: Nach § 98 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) steht dem Betriebsrat bei der Durchführung sowohl von betrieblichen Bildungsmaßnahmen (der Arbeitgeber steuert den Inhalt und die Methodik der Maßnahme) wie auch von außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen (der Arbeitgeber entsendet Beschäftigte zu einer Maßnahme, auf deren Inhalt und Methodik er keinen steuernden Einfluss hat) ein echtes paritätisches Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl der Teilnehmer zu. Der Betriebsrat muss eigene Vorstellungen bezüglich der Auswahl der Teilnehmer konkret äußern, um das Mitbestimmungsrecht auszulösen. Bei betrieblichen Bildungsmaßnahmen bestimmt der Betriebsrat zudem beim Inhalt, der Methodik, dem Ort und dem Zeitpunkt der Maßnahme und nicht zuletzt auch bei der Person des Ausbilders mit.

Ohne Zustimmung des Betriebsrats darf der Arbeitgeber die Maßnahme nicht durchführen. Im Konfliktfall entscheidet die Einigungsstelle letztverbindlich. Allerdings kann der Betriebsrat nicht über § 98 BetrVG  die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die Durchführung von Bildungsmaßnahmen erzwingen. Das „Ob“ ist nach dieser Vorschrift jedoch mitbestimmungsfrei. Seit der letzten Novellierung des BetrVG im Jahre 2001 kann jedoch der Betriebsrat gemäß § 97 Abs. 2 BetrVG verlangen, dass Bildungsmaßnahmen durchgeführt und hierfür auch entsprechende Mittel bereit gestellt werden, wenn der Arbeitgeber Tätigkeitsprofile von Beschäftigten verändert und die beruflichen Kenntnisse objektiv für die Erfüllung der Aufgaben nicht (mehr) ausreichen. Dem Betriebsrat steht in diesem Fall ein Initiativrecht zu, das er in einer Einigungsstelle durchsetzen kann. Gemäß § 96 Abs. 1 BetrVG hat zudem auf Verlangen des Betriebsrates der Arbeitgeber die Bildungsbedarfe der Beschäftigten zu ermitteln.

Befund: keine „Beteiligungskultur“

Betriebsräte stehen dennoch in der Praxis trotz der starken Rechte weitestgehend daneben:  Viele Arbeitnehmervertretungen fürchten (nicht unbegründet), dass Bildungsbudgets gestrichen oder empfindlich verringert werden, wenn sie sich in die Frage der Verteilung der Budgets und die Frage, wer an welchen Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen soll, einmischen. Die Arbeitgeber machen nämlich immer wieder sehr deutlich: Weiterbildungskosten sind Investitionskosten und berühren aus ihrer Sicht unmittelbar den Kernbereich der unternehmerischen Freiheit, der vor Betriebsräten abgeschirmt zu bleiben hat. Dazu passt, dass die Mitbestimmung sich auf die Durchführung von Maßnahmen innerhalb des mitbestimmungsfrei vom Arbeitgeber vorgegebenen Budgets beschränkt. Die Betriebsräte empfinden sich als erpressbar und erleben ihre Rechte als schwach.

Die Mitbestimmungspflichtigkeit vieler Bildungsformate ist zudem rechtlich (trotz Existenz gut vertretbarer möglicher offensiver Argumente) höchstrichterlich ungeklärt und der Charakter von als Einweisungen getarnter Kurzschulungen „on the job“ und moderierter Coach-Runden und bestimmter Projektarbeiten als Qualifizierungsmaßnahmen sind nicht immer sofort erkennbar. Im Übrigen: Soweit Angestellte in höheren Positionen gefördert werden, werden diese von Betriebsräten eher nicht als schutzbedürftig angesehen und bei Fragen von Potentialanalysen und fundierter Bedarfsanalyse und Entwicklungsplanung fühlen sich Betriebsräte auch nicht selten überfordert.

Der Tarifvertrag „Bildung“ – Chance für Betriebsräte und Beschäftigte

Deshalb ist der neue TV  Bildung vom 26. März 2015, der den alten Tarifvertrag zur Qualifizierung aus dem Jahre 2006 ablöst, auch so extrem wichtig: Er stärkt die vorhandene gesetzliche Mitbestimmung der Betriebsräte (allerdings ohne sie zu erweitern), gibt ihr einen konkreten institutionellen Rahmen (Ermittlung des Qualifikationsbedarfs durch den Arbeitgeber und Beratung des Bedarfs mit dem Betriebsrat, Ermittlung der persönlichen Weiterbildungswünsche durch den Betriebsrat selbst, obligatorische Aufstellung eines jährlichen Qualifizierungsplans ) und enthält – das ist entscheidend – individuelle Rechte von Beschäftigten, im Rahmen eines mindestens einmal jährlich zu führenden Qualifizierungsgesprächs mit dem Arbeitgeber gemeinsam – oder im Konfliktfall unter bestimmten Voraussetzungen in einem tariflichen Schlichtungsstellenverfahren – einen bestimmten Qualifizierungsbedarf festzustellen und konkrete Bildungsmaßnahmen zu vereinbaren.

Unter bestimmten Bedingungen kann also ggf. auch gegen den Willen des Arbeitgebers über den Tatbestand des § 97 Abs. 2 BetrVG hinaus die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Durchführung von Bildungsmaßnahmen erzwungen werden. Das gilt auch – und das ist der mögliche  Einstieg in eine neue Ära der echten „Weiterbildungskultur“, die nicht nur bloßer Programmsatz ist – für sog. „Entwicklungsqualifizierungen“, um höherwertige Positionen im Betrieb übernehmen zu können, und für die sog. „persönliche berufliche Weiterbildung“, für die es keinen betrieblichen Bedarf gibt. Soweit die Beschäftigten teilweise (Entwicklungsqualifizierung) oder ganz (persönliche berufliche Weiterbildung) derartige Bildungsmaßnahmen selbst finanzieren müssen, sieht der Tarifvertrag vor, dass im Rahmen eines Bildungsvertrages und eines einzurichtenden Bildungskontos ggf. über mehrere Jahre hinweg die Finanzierung dieser Maßnahmen so organisiert werden kann, dass es für die Beschäftigten finanziell zumutbar und die Maßnahme entsprechend praktisch durchführbar ist. Auch Inhalt und Abschluss des Bildungsvertrages können ggf. in einem tariflichen Schlichtungsstellenverfahren erzwungen werden, wenn sich der Arbeitgeber weigert, diesen abzuschließen. Insgesamt: Wenn der Tarifvertrag „Bildung“ von Betriebsräten und Beschäftigten aktiv angenommen und mit Leben erfüllt wird, steht seiner Weiterentwicklung zu einem echten „Innovationsmotor“ und zu einem Instrument, die persönliche Entwicklung und Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten zu fördern und en passent das Fachkräftemangelproblem zu lösen, nichts entgegen.

Und das ist jetzt die Aufgabe der nächsten Monate: Den Inhalt des Tarifvertrages in Betriebsversammlungen transparent zu machen, Musterbeispiele zu bilden und Musterberechnungen für die einzelnen Typen von Bildungsmaßnahmen anzustellen und nicht zuletzt Betriebsräten durchsetzbare Betriebsvereinbarungen zu empfehlen, um u. a. auch aus dem TV FlexÜ unverbrauchte Gelder dem Bildungsbudget zuzuführen. Der Tarifvertrag „Bildung“ – das steht jetzt schon fest – wird unweigerlich dafür sorgen, dass die Betriebsräte sich mit diesem mitbestimmungsrechtlich aus nachvollziehbaren Gründen vernachlässigten Thema neu und anders werden beschäftigten müssen und vor allem auch mit entsprechenden positiven Ergebnissen werden beschäftigen können. Für die Arbeitgeber gilt spiegelbildlich das gleiche. Der berühmte Fuß ist in der Tür.

<link http: www.dka-kanzlei.de _blank external-link-new-window externen link in neuem>Rechtsanwalt Nils Kummert, seit 18 Jahren Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Spezialist im Betriebsverfassungs- und dem übrigen kollektiven Arbeitsrecht, Partner Kanzlei dka Rechtsanwälte | Fachanwälte.

Von: nk

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