24.04.2014 | Klaus Heimann sprach für BBaktuell mit Arno Hager darüber, warum Berufsorientierung sexy ist, die Metall- und Elektroindustrie voran marschiert, die veränderte Bewerbersituation andere Personalrekrutierungsstrategien notwendig machen und warum es immer noch genug Konfikte mit den Metall-Arbeitgebern gibt.
Klaus Heimann: Kann Berufsorientierung in Berlin sexy sein?
Arno Hager: Ja, das geht. Wenn beim betrieblichen Erstkontakt in der siebten Klasse beim Schüler der Eindruck hängen bleibt, das ist interessant und das schau ich mir genauer an. Wenn sich nach einer Woche Schnupper-Praktikum das Gefühl verstärkt, das ist einfach total spannend, was da im Betrieb passiert. Und wenn nach drei Wochen Betriebspraktikum der Berufswunsch sich verfestigt hat, o.k. ich bemühe mich um einen Ausbildungsplatz in der M+E-Indus-trie, dann haben wir alles richtig gemacht. Wir müssen uns also genau überlegen, wie wir den Kontakt zum Betrieb und die Praktika gestalten. Davon hängt viel ab.
Zwölf M+E-Betriebe und eine gleiche Zahl von Schulen machen beim Pilotprojekt mit. Wie läuft es?
Das vierstufge Modell der Berufsorientierung läuft so: eintägiger Erstkontakt mit einem Betrieb, einwöchiges Schnupperpraktikum, drei Wochen Betriebspraktika und schließlich der Bewerbertag. Mit den Quantitäten sind wir noch nicht ganz zufrieden, aber da werden wir noch besser. Die beiden Betriebspraktika sind eine Herausforderung für die Betriebe. In Summe sind wir mit dem Engagement von Schulen und Betrieben zufrieden.
Ihr setzt auf Veränderung der Rekrutierungsstrategien bei den Betrieben. Sehen die Betriebe die Notwendigkeit?
Das bisherige Modell, wir nehmen unseren Nachwuchs vom Markt, wir setzen auf die besten Schulabsolventen, das ist einfach dysfunktional. Der gut ausgebildete Abiturient, der als Facharbeiter dann seinen Job macht, den gibt es so oft nicht. Nach der Ausbildung starten diese Jugendlichen ihre Weiterbildungs-Karrieren. Betriebstreue ist da nicht unbedingt angesagt. Auch bei den M+E-Betrieben brechen die Bewerberzahlen ein. Die Herausforderungen stellen sich neu: die Betriebe wollen ihre Treffgenauigkeit bei der Auswahl des Nachwuchses erhöhen und sie wollen eine Rekrutierungs-Pipeline in Schulen verlegen.
Arbeitgeberverbände und IG Metall sollen kreativer werden. Was heißt das?
Die Betriebe müssen mehr soziale Verantwortung übernehmen. Die Zukunftsfrage für eine innovative Industrie heißt: qualifziertes Personal. Da braucht es neue Ideen. Die IG Metall kann viele Initiativen zusammen mit dem Sozialpartner anschieben. Wenn es gelingt die öffentliche Hand mit ins Boot zu holen, dann ist vieles möglich. Natürlich wird es auch in der Zukunft genug Konfikt-punkte mit den Metallarbeitgebern geben, an denen wir uns ausgiebig streiten.
Welche sind das konkret?
Ausbildungsvergütungen die bei 850 Euro beginnen stehen beim Arbeitgeberverband in der Kritik. Wir sagen, hohe Ausbildungsvergütungen sind genau richtig. Warum nutzen die Arbeitgeber das Argument gute Ausbildungsvergütungen für einen attraktive Ausbildungsplatz nicht offensiv um Azubis anzuwerben?
Warum engagiert sich die IG Metall in Berlin für eine bessere Berufsorientierung?
Ganz einfach: Es geht um die Innovationsfähigkeit der Gewerkschaft. Berufsorientierung und Berufsbildung in der gesamten Breite ist für uns ein Kernthema, mit dem wir uns intensiv beschäftigen.
Ihr lehnt Euch bei der Berufsorientierung weit aus dem Fenster?
Die Branche ist durch Tarifverträge, betriebliche und überbetriebliche Interessenvertreter gut reguliert und bietet vernünftige Ausbildungsbedingungen. Wir haben also durchaus etwas zu bieten, wenn wir in den Schulen aufaufen. Die Schüler müssen wir richtig ansprechen. Die Ressourcen dafür haben wir.
Sind die Betriebe nicht überfordert?
Gute Personalarbeit ist immer anstrengend. Wenn ich mir die Zukunft der M+E-Industrie in Berlin vorstelle, dann ist es zukünftig völlig normal in der Schule präsent zu sein. Hier startet das System Personalentwicklung.
Wie reagieren die Betriebsräte?
Da gibt es viel Zustimmung. Sie sehen Berufsorientierung als wichtigen Beitrag zur Stärkung der Ausbildung. Sie sehen natürlich auch die Probleme, die durch die Praktika entstehen. Was Schule leistet oder eben nicht leistet, auch das können sie einschätzen. Sie können beurteilen, ob das Konzept den Härtetest im Betrieb wirklich besteht. Sie hören genau zu, was die Jugendlichen erlebt haben und wie die Chefs in den Betrieben damit umgehen.
Wie viele Jahre braucht der Ansatz?
Schnell wird es nicht gehen. Ich schätze zehn Jahre braucht die Reform, um sich voll zu entfalten. Da gibt es Aufgaben, die keineswegs banal sind: die Betriebe müssen ihr Rekrutierungssystem umstellen, die Schulen sind aufgefordert ihre eigenen Formate wie das duale Lernen, Arbeitslehre und das Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik zu schärfen. Betriebe, Schule müssen richtig viel lernen. Der Senat von Berlin und der Arbeitgeberverband müssen fnanzielle Mittel mobilisieren. Es wird zusätzliches Personal notwendig sein.
Ganz schön komplex, fast unlösbar?
Eine andere Berufsorientierung aufzubauen, wäre dann unlösbar, wenn der Problemdruck nicht da wäre. Dem ist aber nicht so. Die alte Arbeitsteilung funktioniert nicht mehr: Das System Schule liefert nicht mehr den qualifzierten Nachwuchs. Schon jetzt klagen die Betriebe über fehlende Nachfrage an jungen Leuten, die Vorqualifkation lasse zu wünschen übrig und jeder vierte Schulabgänger hat einen Migrationshintergrund in Berlin, der eine besondere Anforderung an das Lernen stellt. Nur klagen allein hilft aber nicht, die Betriebe müssen aktiv die schulischen Rahmenbedingungen von Lernen verändern. Sie müssen sich frühzeitig einmischen.
Arno Hager ist seit 1998 Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Berlin. Der 58-Jährige hat nach einer Facharbeiterausbildung in der Druckindustrie Soziologie studiert. Die IG Metall hat in Berlin über 35.000 Mitglieder. Arno Hagers Arbeitsschwerpunkte sind die Industriepolitik, die Fragen der Aus- und Weiterbildung, Personalentwicklung und die Finanzen der Verwaltungsstelle.
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