Gemeinsame Erklärung des DGB und der DGB-Mitgliedsgewerkschaften mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Michael Müller

Unser Berlin bleibt weltoffen und tolerant

27.04.2016 | Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, und der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg mit seinen Mitgliedsgewerkschaften wenden sich gemeinsam entschieden gegen rechtspopulistische und fremdenfeindliche Strömungen in Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft.

Die Berliner DGB-Gewerkschaften und der Regierende Bürgermeister Michael Müller machen sich gemeinsam für Berlin als weiterhin internationale, weltoffene und tolerante Stadt stark

Präambel

Berlin ist die internationale, weltoffene und tolerante Stadt in Deutschland. Dieses positive gesellschaftliche Klima macht die Lebensqualität, den Erfolg und die weitere Anziehungskraft der Stadt aus. Aus diesem Erfolg heraus entstehen Investitionen in unser Gemeinwesen und unsere Infrastruktur, Bildung und Wissenschaft und natürlich Arbeitsplätze.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, und der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg mit seinen Mitgliedsgewerkschaften wenden sich gemeinsam entschieden gegen rechtspopulistische und fremdenfeindliche Strömungen in Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft. Dabei müsste allen klar sein: die AfD und andere rechtspopulistische Kräfte setzen auf eine Spaltung der Gesellschaft, wollen den Sozialstaat abbauen und die Gleichberechtigung der Frauen zurückdrängen.

Wir wissen: die Mehrheit der Deutschen ist tolerant, weltoffen und will zu gelingender Integration beitragen. Unsere solidarische und demokratische Gesellschaft muss sich deutlich den politischen Versuchen entgegenstellen, die unser friedliches Miteinander und die Werte unserer Verfassung angreifen.

Bildung, Ausbildung und Arbeit sind für alle Menschen der Schlüssel für mehr Teilhabe, ein selbstbestimmtes Leben in wirtschaftlicher Unabhängigkeit und für den gemeinsamen Erfolg einer Gesellschaft. Sie sind auch unsere Antwort auf Engstirnigkeit, Fremdenfeindlichkeit und billigen Populismus.

Wir lassen es nicht zu, dass Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Uns sind die Bedürfnisse aller gleich wichtig, ganz gleich, ob aus Syrien geflüchtet, aus Dortmund hergezogen oder hier geboren.

Wir wissen, dass Integration die Herausforderung der kommenden Jahre sein wird, bei der alle ihren Teil beitragen müssen. Wir wollen dazu mit schnellen und flexiblen Lösungen beitragen. Dabei sind wir uns einig, dass Mindestlohn, Arbeitsschutz Tarifvereinbarungen und Mitbestimmung unteilbar sind und auch nicht übergangsweise angetastet werden dürfen.

Die Herausforderungen der Gegenwart machen uns erneut deutlich, wie wichtig ein handlungsfähiger Staat ist, der in der Vergangenheit zu sehr auf Sparkurs und Verschleiß gefahren wurde. Der Paradigmenwechsel der Berliner Politik hin zu einem handlungsfähigen Staat und dem Ausbau der Daseinsvorsorge war notwendig und richtig.

Wir lassen nicht zu, dass unsere Erfolge für mehr Arbeit und bessere staatliche Angebote und Strukturen gefährdet und unser freies, demokratisches und weltoffenes Berlin durch Rechtspopulismus, Ausgrenzung Andersdenkender und -lebender  diskreditiert werden.

Wir rufen gemeinsam dazu auf, für ein tolerantes Berlin und für eine Stadt der guten Arbeit einzutreten, die wir entlang der folgenden gemeinsam erarbeiteten Inhalte weiterentwickeln wollen:

Berlin, Stadt der guten Arbeit

Nach den großen Herausforderungen des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften nach dem Mauerfall und dem Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen, hat sich die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Jahren positiv entwickelt.

Mit dem wirtschaftlichen Erfolg ist der Abbau der extrem hohen Arbeitslosigkeit durch mehr als 300.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren einhergegangen. Mit derzeit um die 10 Prozent Arbeitslosigkeit ist es gelungen, diese auf den niedrigsten Stand seit 1991 zu halbieren. Diesen Weg wollen wir weitergehen und Berlin zu einer Stadt der guten Arbeit machen. Dabei sind Beschäftigungsfähigkeit und Beschäftigungssicherung wichtige Faktoren für eine weitere positive Wirtschaftsentwicklung. Vollbeschäftigung bleibt unser gemeinsames Ziel.

Für uns muss eine Stadt der guten Arbeit Folgendes gewährleisten:

-    Die verbesserte Lage muss sich noch mehr als bisher in mehr guter Arbeit ausdrücken und damit den Berlinerinnen und Berlinern stärkerzugute kommen. Nur durch höhere Löhne kann Armut in einem sich stetig verteuernden Berlin verhindert werden.
-    Berlin ist eine lebendige und vielfältige Metropole. Interkulturalität und Weltoffenheit sind in dieser Stadt Schlüsselfaktoren, nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch für die Zukunftsfähigkeit. Deshalb geht es darum, Berufsausbildung und fachlich anspruchsvolle Arbeitstätigkeiten mehr als bisher interkulturell zu öffnen. Wir müssen Arbeitslose mit und ohne Migrationshintergrund und Flüchtlinge durch gute Arbeit integrieren und werden uns gemeinsam gegenüber Unternehmen dafür einsetzen, dass Ausbildungsangebote ausgeweitet und stärker für schwer vermittelbare Menschen geöffnet werden, um damit auch der demografischen Entwicklung zu begegnen.
-    Dabei bleiben der Mindestlohn und das Vergabegesetz wichtige Eckpfeiler, die es noch besser und effektiver zu kontrollieren sowie weiterzuentwickeln gilt.
-    Wir wollen die begonnene Politik für ein besseres Übergangssystem von der Schule in den Beruf weiterführen. Die Jugendberufsagenturen und Maßnahmen zu einer besseren und früheren Berufsorientierung müssen konsequent ausgebaut und der Zugang für alle gleichberechtigt ermöglicht werden.
-    Die Zahl der Ausbildungsplätze und Praktikumsangebote muss dringend gesteigert werden, gerade mit Blick auf Berufsorientierung für Flüchtlinge. Dafür sollen besonders die tarifgebundenen Unternehmen verstärkt mehrmonatige freiwillige Praktika zur Berufsorientierung anbieten. Das
IG Metall-Konzept für ein Integrationsjahr bietet eine gute inhaltliche Basis für die weitere Diskussion.
-    Die Initiative des Regierenden Bürgermeisters für ein „Duales Abitur“ wird als gute Ergänzung verschiedener Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung unterstützt und sollte schnellstmöglich in einem Pilotprojekt aufgegriffen werden.
-    Arbeit 4.0 fordert uns heraus, die Chancen und Risiken der Digitalisierung aktiv zu gestalten. Es geht dabei um technologische und gleichzeitig um soziale Innovationen. Gerade mit Blick auf Arbeit 4.0 unterstreichen wir: gute Arbeit ist mitbestimmte Arbeit.
-    Gute Ausbildung ist der Schlüssel zu guter Arbeit. Wir wollen gemeinsam erreichen, dass in allen Wirtschaftsbereichen mehr ausgebildet wird, insbesondere dort, wo nach der Ausbildung gute Arbeit zu erwarten ist. Durch gemeinsame Initiativen wollen wir das bewährte System der dualen Berufsausbildung auch im Start-up-Bereich und in der digitalen Wirtschaft (Arbeit 4.0) zur Entfaltung bringen.
-    Es ist gut, dass sich Berlin wieder auf seine industriellen Potenziale besonnen hat. Die neue Berliner Industriepolitik muss entschlossen fortgeführt werden. Dafür soll ein Innovationsnetzwerk zum Thema Industrie 4.0 aufgebaut werden, das auch industrielle Dienstleister mit einbezieht. In Dienstleistungsbranchen wie zum Beispiel im Handel und im Handwerk ist Vergleichbares zu entwickeln.
-    Arbeitsmarktpolitische Projekte zur Aufwertung schlecht bezahlter Jobs sind zu verbreitern, um für gute Arbeit in allen Bereichen zu sorgen.
-    Tourismusgewerbe, Kultur und Dienstleistungen bleiben ein wichtiges Standbein der Berliner Wirtschaft. Auch hier muss das Prinzip der guten Arbeit für alle gelten, weshalb prekärer Arbeit aktiv entgegengewirkt werden muss. So muss verhindert werden, dass eine Verdrängung von qualifizierten Beschäftigten durch den verstärkten Einsatz un- und angelernter Arbeitskräfte erfolgt.

Starker öffentlicher Dienst für die wachsende Stadt
Gerade der öffentliche Dienst hat unter den Sparmaßnahmen in Zeiten knapper Berliner Kassen stark gelitten. Berlin investiert wieder in seine Verwaltung und sein Personal und nutzt die finanziellen Mehreinnahmen aus seinem wirtschaftlichen Erfolg, um die Verwaltung, Daseinsvorsorge und städtische Infrastruktur für die wachsende Stadt fit zu machen. Fachkräfte für den öffentlichen Dienst zu akquirieren, auszubilden und zu binden, ist für Berlin eine der zentralen Aufgaben der nächsten Jahre, um handlungsfähig zu bleiben. Unser gemeinsames Ziel ist es dabei auch, dass der öffentliche Dienst wieder stärker seiner Vorbildfunktion gerecht wird.

Wichtigste Eckpunkte sind auf diesem Weg für uns:

-    Aufgrund des demografischen Wandels im öffentlichen Dienst werden in den kommenden Jahren bis zu ein Drittel der Beschäftigten altersbedingt ausscheiden, in Teilbereichen sogar wesentlich mehr. Hinzu kommt, dass Berlin für den erwarteten Bevölkerungszuwachs der nächsten Jahre zusätzliches Personal im öffentlichen Dienst benötigt. Der notwendige Personalaufbau muss im Verhältnis zu den wachsenden Aufgaben erfolgen.
-    Das setzt eine realistische Personalbedarfsplanung voraus, in die auch Krankenstände und Überstunden in wichtigen Teilbereichen des öffentlichen Dienstes (Polizei, Feuerwehr, Schulen) mit einfließen müssen.
-    Außerdem ist unter anderem ein verstärkter und gemeinsamer Einsatz für Ausbildungsstärkung und Nachwuchswerbung notwendig.
-    Der demografische Wandel im öffentlichen Dienst und die zusätzliche Gewinnung von Personal für die wachsende Stadt müssen zeitgleich bewältigt werden. Dies wird nur gelingen, wenn Berlin ein attraktiver Arbeitgeber ist – durch gute Beschäftigungsbedingungen, Personalentwicklung, sichere und im Normalfall unbefristete Beschäftigung sowie eine Besoldungsperspektive auch für den Beamtenbereich.
-    Der öffentliche Dienst ist für die gesamte Bevölkerung da. Die Vielfalt der Bevölkerung muss sich unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes angemessen widerspiegeln und mit Initiativen wie „Berlin braucht dich!“ weiter dafür gesorgt werden, dass die Ausbildung für Jugendliche mit Migrationshintergrund zunimmt.

Teilhabe durch Integration
Gleichberechtigte Teilhabe an unserer Berliner Gesellschaft kann nur durch eine zügige und umfassende Integration gelingen und ist eine der wichtigsten politischen Aufgaben der nächsten zehn Jahre. Spracherwerb, Bildung, Berufsqualifikation, Ausbildung und Arbeit sind dafür die Grundlagen. Dafür wird es vielfache Maßnahmen und einen langen Atem geben müssen.

Der vorgelegte „Masterplan für Integration und Sicherheit“ ist eine gute Grundlage für eine langfristig angelegte und über Ressortgrenzen abgestimmte Integrationspolitik. Das Vorhaben, den Plan jetzt mit der Stadtgesellschaft zu diskutieren und weiter in seinen Maßnahmen abzustimmen, wird unterstützt. Die Gewerkschaften bringen sich in diese Diskussion ein.

Die Unterzeichnenden werden sich im weiteren Prozess von folgenden Anforderungen leiten lassen:

-    Integration ist für uns eine Gemeinschaftsanstrengung aller Teile der Gesellschaft, auch der Flüchtlinge selbst.
-    Bildung ist die zentrale Voraussetzung zur Vermittlung grundlegender Kompetenzen für gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben in wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Für Flüchtlinge und Asylsuchende gilt, was für alle Menschen gilt: Bildung ist ein Menschenrecht.
-    Der Bildungserfolg von Kitakindern, Schülerinnen und Schülern hängt  maßgeblich von deren sprachlichen Kompetenzen ab. Im Qualitätspaket Kita und Schule wurde daher ein Schwerpunkt im Bereich durchgängige Sprachbildung gesetzt.
-    Wir wollen die Berliner Mischung bewahren und es Flüchtlingen möglichst schnell ermöglichen in Wohnungen zu ziehen. Zentrale neue Wohneinheiten für Flüchtlinge werden gleichmäßig über die Stadt verteilt.
-    Die Öffnung beruflicher Perspektiven für junge Geflüchtete ist die aktuelle und große Herausforderung. Wir vergessen aber auch die nicht, die hier geboren und aufgewachsen sind. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein integrationspolitisches Sowohl-als-auch.
-    Bei allen Maßnahmen stehen für uns der Schutz und Ausbau guter Arbeit und der Kampf gegen Missbrauch oder Aushöhlung tariflicher Vereinbarungen im Vordergrund.
-    Zentrales Ziel ist die Integration in Arbeit und Ausbildung, wobei an gelungenen Beispielen für Integrationsarbeit anzusetzen ist und Fehler der Vergangenheit zu vermeiden sind.
-    Es müssen Warteschleifen vermieden werden. Zunächst erfolgt dabei eine Konzentration auf Spracherwerb und Bildung, wofür auch mit Hilfe des Bundes ausreichende Angebote bereitgestellt werden müssen.
-    Wir wollen Flüchtlinge so betriebsnah wie möglich Erfahrungen sammeln lassen. Das kann besonders gut über Tarif- und Betriebsvereinbarungen erfolgen.
-    Ein Vorbild für gute Integration ist die bereits in vielen Betrieben durch Paten geleistete Arbeit, die wir weiter unterstützen wollen.
-    Nicht alle Flüchtlinge werden unmittelbar in Betrieben Ausbildungsangebote bekommen. Eine gute Ergänzung stellen deshalb ergänzend die integrierte Berufsausbildungsvorbereitung und die weitere Stärkung der beruflichen Schulen (OSZ) dar, deren adäquate Ausstattung generell für gute Berufsvorbereitung für alle wichtig ist.
-    Um mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, muss der Bund im Rahmen der bundesweiten Integration in Arbeit gut betreute Mittel für eine offensivere Arbeitspolitik erheblich ausweiten.
-    Bei der Bewältigung der Herausforderungen der Unterbringung und Integration zu uns geflüchteter Menschen arbeiten staatliche Strukturen in einer Sondersituation. Gewerkschaften sind weiterhin bereit, zu schnellen Lösungen zum Beispiel bei Einstellungen im öffentlichen Dienst zur Stärkung der Verwaltung (Lageso, Bürgerämter etc.) beizutragen. Die Partner sind sich dabei einig, dass für schnelle und flexible Lösungen zur Verbesserung der Personalstruktur keine gesetzlichen Änderungen vonnöten sind.

Wir setzen uns gemeinsam ein – für ein weltoffenes, friedliches und tolerantes Berlin, gegen Rechtspopulismus und Ausgrenzung. Nur so werden wir einen weiteren wirtschaftlichen Erfolg nutzen können für eine solidarische Stadt, mehr gute Arbeit, eine bessere Infrastruktur und Daseinsvorsorge.

Michael Müller (Regierender Bürgermeister von Berlin), Doro Zinke (DGB Bezirk Berlin-Brandenburg), Christian Hoßbach (DGB Bezirk Berlin-Brandenburg), Susanne Stumpenhusen (Ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg),
Klaus Abel (IG Metall Berlin), Rolf Erler (IG BCE Bezirk Berlin-Mark Brandenburg), Rainer Knerler (IG BAU Region Berlin-Brandenburg), Uwe Ledwig (NGG Region Berlin-Brandenburg), Tom Erdmann und Doreen Siebernik (GEW Landesverband Berlin), Meinhard Lanz (EVG-Landesverband Berlin), Kerstin Philipp (GdP Landesbezirk Berlin)

Von: ka

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