Drei Jahrzehnte Berliner Betriebsratserfahrung:

„Danke, Ute“

01.12.2016 | 32 Jahre im Betriebsrat – dass muss ihr erst mal einer nachmachen. Mit Ute Hass geht eine der profiliertesten Berliner IG Metaller/innen in den Ruhestand: Im Interview erzählt die langjährige Daimler-Betriebsratsvorsitzende von spannenden Jahren, harten Auseinandersetzungen – und schönen Erfolgen.

Ute, wie kamst Du zum Daimler und dann in den Betriebsrat?
Reiner Zufall. Weil ich um die Ecke gewohnt habe, habe ich nach dem Abitur bei Daimler gejobbt und dann dort Industriekaufmann gelernt. Von Beginn an war ich Vertrauensfrau, 1984 habe ich für den Betriebsrat kandidiert und bin erstaunlicherweise auch gleich gewählt worden. Seit 1990 war ich freigestellt, 91 Stellvertreterin und seit 2002 Vorsitzende als Frau unter Männern: Daimler war und ist eine Männerdomäne.

Wie hat sich Daimler in Berlin in Deiner Berufszeit entwickelt?

Zu Mauerzeiten waren wir eine verlängerte Werkbank. Man wollte nicht das Risiko eingehen, dass aus Berlin nichts rauskommt und die Produktion stockt. Nach dem Fall der Mauer hat sich der Standort erheblich verändert. Jetzt haben wir schöne und innovative Produkte wie die Camtronic, die spart Sprit. Das haben wir als Betriebsrat mit der Geschäftsleitung im Rahmen von Standortvereinbarungen  vereinbart, in denen wir für alle Werke Zielbilder definiert haben. Das ist eine Investition von insgesamt 500 Million Euro in unseren Standort. Im Gegenzug gehen Produkte, die nicht mehr lukrativ sind, aus der Produktion raus. Wir sichern uns also mit den Investitionen in diese Hightech-Produkte unsere Beschäftigung hier in Berlin für die kommenden Jahre. Wir haben heute mit 2500 Kollegen in etwa die gleiche Beschäftigung wie zu der Zeit, als ich angefangen habe.

Für die sich aber die Arbeitswelt aber stark verändert hat, oder?
Ja, leider. Der Stress nimmt stetig zu, die Arbeitserdichtung ist extrem: Früher hatte die Fertigung zwei Schichten. Die Zeiten sind längst vorbei, seit 20 Jahren schon. Heute produzieren wir rund um die Uhr mit drei Schichten Schicht plus Wochenende. Da fällt vieles hinten runter, für die Instandhaltung der Maschinen ist zwischen den Schichten schlicht keine Zeit mehr da. Und klar: Die Kolleginnen und Kollegen sind nach einer Woche Nachtschicht platt. Aber trotzdem ist die Bereitschaft da, auch Mehrarbeit zu leisten, obwohl wir diese nicht auszahlen, sondern in Freizeit umwandeln.  

Stimmt das heute noch: Einmal Daimler, immer Daimler?
Ja, die Arbeitsplätze bei uns sind sehr sicher. Die meisten können sich nicht vorstellen, in einem anderen Unternehmen zu arbeiten. Wer heute bei uns anfängt, der bleibt eher. Es gibt höchstens mal Kolleginnen und Kollegen, die mal ins Ausland gehen. Mittlerweile sind wir ja weltweit aufgestellt und kein kleiner schnuckeliger Betrieb mehr.

Wie hat sich das Betriebsklima verändert?
Der Kauf von Chrysler hat Daimler sehr verändert, er hat den Konzern amerikanisiert. Die Führungskräfte duzen sich heute und die Vorstandssitzungen sind auf Englisch. Wir haben als Betriebsrat durchgesetzt, dass sie für uns übersetzen müssen. Aber wir haben auch sehr intensive Englisch-Fortbildungen machen müssen, ansonsten wären wir hoffnungslos überfordert.
 
Als wenn das nicht schon fordernd genug wäre: Du hast auch noch andere Funktionen wahrgenommen…
Ja, das ganze Programm: bei der IG Metall in der Delegiertenversammlung, im Beirat, in den Tarifverhandlungen und im Präsidium, am Arbeitsgericht als Arbeitsrichterin, und im Gesamtbetriebsrat in mehreren Kommissionen. Da habe ich für viele Jahre den Arbeitskreis Frauenpolitik auf gebaut und geleitet und viel zur Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf initiiert. Und ich war im Wirtschaftsausschuss. Dafür musste ich viel in Stuttgart sein, 60 bis 70 Tage im Jahr war ich unterwegs.  Die Kollegen haben  35 Stunden-Verträge, das reicht für mich für drei Tage. Als Gesamtbetriebsrat und für die IG Metall bin ich ständig unterwegs.

Ohne diese vielen Funktionen wäre Dein Leben anders verlaufen.
Klar, mein Leben wäre viel entspannter gewesen, wenn ich nicht so viele Jahre Betriebsrat gewesen wäre. Ich hätte meine Hobbys mehr ausleben können. Aber das kommt jetzt: Mit dem Wohnmobil reisen, richtig lange, in den Norden und Süden Europas. Zusammen mit meinem Mann, der ja schon seit sieben Jahren zuhause ist. Da habe ich eine Menge Phantasie im Kopf. Ich möchte nach Griechenland und Sizilien. Und ich will in Spanien überwintern.

Was lernt man als Betriebsrat, was muss man können?
Die wesentliche Aufgabe ist zu koordinieren, Themen vorzubereiten und Gremien zusammenzuhalten und zu entwickeln. Dafür braucht man Erfahrung. Man muss manchmal auch erstmal durchatmen können und dann reagieren. Man muss auch mit Menschen zusammenarbeiten können, die man sich nicht selbst ausgesucht hat. Früher waren wir als Betriebsrat für die Kantine und das Toilettenpapier zuständig. Heute geht es mehr um den Standort und die Standortsicherung. Es geht nicht um das Kleinklein, sondern um das große Ganze. Da lastet auch schon mal die Verantwortung auf den Schultern. Man versucht zuhause zu entspannen, aber das gelingt nicht immer. Je länger man dabei ist, desto leichter wird es, weil sich der Blick auf die Dinge ändert.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verändert?

Das ist schwieriger geworden. Die gucken heute im Vorstand erst mal, ob sie ihre Sachen ohne uns durchzuziehen können. Früher haben sich Vorstand und Betriebsrat beim Bier zusammengesetzt und sich dran gehalten. Das ist heute komplett anders. Aber Daimler-Belegschaften sind handlungsfähig. Wenn es eng wird, dann reagiert die Belegschaft, dann gehen wir auf die Straße.  

Was wünschst Du Dir für die IG Metall?

Mit Blick auf die IG Metall hoffe ich, dass wieder mehr Dinge in Bewegung geraten. Die Arbeitszeitdebatte, die wir im kommenden Jahr führen wollen, ist mehr als nötig. Wir brauchen neue zeitgemäße Arbeitszeitmodelle. Das geht jeden an, aber da tut sich die IG Metall immer noch schwer.  
Wir müssen außerdem stärker auf neue Zielgruppen gucken, auf Frauen und Migranten. Solange sich diese Gruppen nicht in den Gremien und Betriebsräten finden, kümmern wir uns weniger um deren Themen und haben hier auch weniger Mitglieder.

Was waren die herausragenden Ereignisse?
Das war vor allem 1984 die Auseinandersetzung um die 35 Stunden-Woche. Da waren wir sieben Wochen ausgesperrt, haben keinen Lohn bekommen  und hatten sehr plastisch vor Augen, wie es ist, wenn man nicht mehr die Miete zahlen kann.  Wir haben dann für die betroffenen Kollegen Spendenaktionen gemacht. Das war eine tolle Erfahrung, da musste man niemandem erklären, wie Solidarität geht. 1996 der Kampf um die Lohnfortzahlung im  Krankheitsfall war auch sehr prägend. Und 2004 die Zukunftssicherung bei Daimler. Da war ich Betriebsratsvorsitzende und da haben wir Tag und Nacht zusammengesessen. Das war auch sehr positiv. Wir konnten verhindern, dass die C-Klasse ins Ausland verlagert wird und Sindelfingen und  Bremen gegeneinander ausgespielt werden. Wir haben uns gesagt: Wir bringen unsere eigenen Themen ein und  haben  ein Paket geschnürt. Schlussendlich haben wir gewonnen und die Zukunftssicherung bis 2020 für alle Werke durchgesetzt. Das geht nicht in jedem Betrieb.     

Und Deine persönlichen Höhepunkte?

Das ist die Betriebsratstätigkeit an sich, das ist für mich das Interessanteste. Man kann so viel machen und gestalten: mobiles Arbeiten oder Frauengruppen organisieren. Definitiv werde ich meinen Frauenarbeitskreis im Gesamtbetriebsrat vermissen. Ich war über viele Jahre die einzige Frau im Gesamtbetriebsrat. 1998 haben wir dann mit einem kleine Kreis von Frauen verschiedener Standorte unseren Arbeitskreis gegründet und über die Jahre sehr viel erreichen können: Betriebskindergärten, Zielkorridore für die Frauenförderung. Der Anteil von Frauen ist seitdem kontinuierlich gestiegen. Heute arbeiten fünfzehn Prozent Frauen bei Daimler und wir haben 570  Krippenplätze in allen Werken. Das ist ein sehr schöner Erfolg.

Von: jb

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