Tagung

Zukunft gestalten mit Tarifverträgen. Fachtagung für Betriebsrät_innen und Vertrauensleute

26.09.2023 | 150 haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschaftsmitglieder diskutierten mit Expert_innen über die Zukunftsfähigkeit von Tarifverträgen. Die Gewerkschafter_innen forderten im Rahmen der Tagung auch einen Brückenstrompreis.

Am 25. September 2023  fand im IG Metall-Haus die jährliche Betriebsrätefachtagung statt. Über 150 Betriebsrät_innen, Vertrauensleute, hauptamtliche Gewerkschafter_innen und Experten, waren zusammengekommen, um Gegenwart und Zukunft von Tarifverträgen zu diskutieren und Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Immer wieder gab es Ausblicke auf die bevorstehende Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie 2024.

„Tarifverträge müssen immer wieder ausgehandelt werden – ob Entgelt, Arbeitszeit oder auch Arbeitsplätze in Berlin. Mit Kolleginnen und Kollegen diskutieren wir, was in Zukunft in kollektiven Tarifverträgen geregelt werden muss. Unser Ziel: Mit unseren Mitgliedern gestalten wir die Arbeitswelt“, sagt Regina Katerndahl, Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Berlin.

Gewerkschafter_innen fordern Brückenstrompreis
Zum Beginn der Veranstaltung forderten die Gewerkschafter_innen vor Ort die Einführung eines Brückenstrompreises, um Standortschließungen zu vermeiden und die ökologisch notwendige Transformation zu erleichtern.
 „Berlin ist boomender Wirtschaftsstandort, aber noch nicht Hauptstadt guter Arbeit“, sagt Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin. „Wir wollen die Tarifpolitik in Berlin vorantreiben und bereiten die kommende Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie 2024 vor. Das geht am besten, wenn wir mit den Betriebsrät_innen und Vertrauensleuten in ständigem Austausch sind. Als IG Metall haben wir den Anspruch zu gestalten – und zwar die Arbeitsbedingungen in den Betrieben und die Industriepolitik. Dazu gehört auch unsere Forderung nach einem Brückenstrompreis, der freilich kein fossiler Freifahrtschein ist, sondern an nachhaltige Investitionen und betriebliche Mitbestimmung gebunden sein muss“, so Otto weiter.

Gerecht oder ungerecht?
Tarifpolitik hat viele Facetten. Unabhängig von der Branche gilt: gute Tarifverträge und gute Entgelte gibt es nur mit vielen Mitgliedern in der IG Metall. „Mal bei einem Warnstreik mit rauszukommen, ist gut, aber nicht ausreichend für die Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen“, stellt Jan Otto, Erster Bevollmächtigter, klar. Die IG Metall Berlin setzt dabei auf Ansprache und Beteiligung aller Beschäftigten; insbesondere die junge stark wachsende Tech Branche mit internationaler Belegschaft gilt es dazu zu gewinnen. Der Vormittag war geprägt von der Diskussion um steigende Lebenshaltungs- und Energiekosten und das zunehmend Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben könnten, Seien daher Festgeldforderungen oder  hohe prozentuale Entgelterhöhung die richtigen Forderungen für zukünftige Tarifrunden?

Sind die Entgelt-Tarifverträge der IG Metall nun gerecht oder nicht? Dafür spreche die Aufhebung der Trennung von Lohn und Gehalt (ERA), der Anforderungsbezug bei der Arbeitsaufgabe zur Eingruppierung und damit ein durchlässigeres Entgeltsystem und die Tatsache, dass es (zumindest formal) kein gender pay gap gebe. Dass Entgelt Tarifverträge auch für Nicht-Mitglieder angewandt würden sei hingegen ungerecht, durch die IG Metall aufgrund der Rechtsprechung nicht zu verhindern.
Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass Tarifverträge auch umgesetzt werden müssen und dass es die Pflicht von Betriebsrät_innen sei, darauf zu achten. Manchen Kolleg_innen empfahl der Betriebsrat,  grundlegende Schulungen (BR1) regelmäßig  wahrzunehmen.

Nicht zuletzt geht es bei Tarifverträgen auch immer um den Organisationsgrad, der sich auf die Umsetzbarkeit auswirkt. Stephan Vetter, Tarifkoordinator der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, stellte die Frage, ob das eigentliche Problem wirklich sei, Inhalte nicht durchsetzen zu können oder nicht viel mehr, dass Tarifverträge oft nicht zur Arbeitsorganisation in den Betrieben passten. Die Eingruppierung müsste dynamisch sein und zu Arbeitsaufgaben passen; dies bedeute praktisch, die Arbeitsaufgaben, die sich ständig verändern, immer wieder hinsichtlich der Eingruppierung zu überprüfen, so sein Plädoyer. Und letztendlich müsse man für künftige Tarifverträge wohl über prozentuale Forderungen mit Sockelbeträgen für untere Entgeltgruppen nachdenken.

IG Metall meets Gemeinwohlökonomie
Herzstück der Tagung waren fünf parallel stattfindende Fachforen. In einem Forum führten Vetter und Otto die Diskussion vom Vormittag weiter und sprachen über mögliche Weiterentwicklung von Tarifverträgen. Zwei weitere Foren widmeten sich dem wegweisenden Tarifabschluss bei ASML und dem Zukunftstarifvertrag bei Procter & Gamble. Ein Forum wendete sich dem Problem mangelnder Ausbildungsplätze, bei gleichzeitig konstatiertem Fachkräftemangel zu.

Erstmalig  gab es ein Forum zur Gemeinwohl-Ökonomie, welches den Blick über den Tellerrand wagte. Dort diskutierte Neno Rieger von Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg mit Regina Katerndahl über Nachhaltigkeit, Arbeit und Lebensweise.
Gemeinwohlökonomie stellte Rieger als alternatives Wirtschaftsmodell vor, das marktförmig sei, aber in welchem wirtschaftliche Tätigkeit nicht als Selbstzweck oder um des Profit willens betrieben werde. Ziel des wirtschaftlichen Handelns ist  - kurz gefasst - das Wohl der Allgemeinheit, ökologisches Wirtschaften und gute Arbeitsbedingungen.

Es ist nicht verwunderlich, dass viele Inhalte auf offene Ohren stießen, sind doch viele Grundannahmen und Ziele nah an gewerkschaftlichen Idealen. Viel Skepsis gab es hingegen bezüglich der Umsetzbarkeit, insbesondere wenn die Gemeinwohlorientierung in großen, transnational agierenden Unternehmen Anwendung finden soll.

Podiumsdiskussion mit internationaler Perspektive
Eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Tarifverträge im internationalen Vergleich“ rundete die Veranstaltung ab. Dr. Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) nahm mit Jan Otto und Neno Rieger eine globale Perspektive auf Arbeit, Produktion und industrielle Beziehungen ein. Regina Katerndahl moderierte das Gespräch.

Thorsten Schulten zeigte, dass es europaweit große Unterschiede in Bezug auf Tarifpolitik gebe. Er verwies unter anderem auf Nordeuropa, wo betriebliche Interessenvertretung stets gewerkschaftsgebunden sei. Hingegen ist die Tarifbindung in den osteuropäischen Ländern, beispielsweise in Polen mit unter 20% äußert gering. Ein staatlicher Mindestlohn – dem die IG Metall lange verhalten gegenüberstand – und Tarifverträge könnten sich gut ergänzen. So soll laut der EU-Richtlinie zum Mindestlohn eine Tarifbindung von 80 Prozent angestrebt werden.  Gemeinwohlökonomie und Tarifbindung können sich gut ergänzen – stellt auch Rieger heraus.

„Diese Fachtagung ist für Berlin der Start in die Tarifrunde 2024. Für die Entwicklung der nächsten Tarifforderungen, für die Mobilisierung und die Durchsetzung ist essentiell, mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen!“ resümiert Regina Katerndahl.

 

 

 

Von: cm

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