09.06.2022 | Bei BIOTRONIK in Berlin hat das Team IG Metall bei den Betriebsratswahlen eine klare Mehrheit erreicht. Ein großer Erfolg, denn die IG Metall-Betriebsrätinnen und -räte kämpfen seit vielen Jahren gegen die Verlagerung von Teilen der Produktion. Rund 2.500 Beschäftigte arbeiten am Berliner Standort. Über ein Drittel der Belegschaft entwickelt und produziert Produkte für die medizinische Versorgung von Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ein Interview mit dem Betriebsratsvorsitzenden Konstantin Levit und Christine Hövermann, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei BIOTRONIK.
Herzlichen Glückwunsch zu Eurem guten Ergebnis. Wie startet Ihr als Betriebsratsteam?
Christine: 15 von 19 Sitzen für unsere Liste war mehr als deutlich. Nichtsdestotrotz müssen wir in den kommenden vier Jahren als ein Betriebsrat agieren. Die Zeiten und damit auch die Themen werden nicht einfacher. Die klare Mehrheit für uns Metallerinnen und Metaller gibt uns natürlich guten Rückenwind für die kommenden Themen.
Konstantin: 15 von 19 Sitzen heißt auch ganz klar, es ist ein IG Metall-Betriebsrat. Diese Mehrheitsverhältnisse geben auch Schwerpunkte bei künftigen Verhandlungen vor: tarifkonform im Sinne der geltenden IG Metall-Tarifverträge wie auch dem gewerkschaftlich solidarischen Gedanken folgend.
Welches Thema steht jetzt direkt auf Eurer Tagesordnung?
Konstantin: Welches nicht? Zwei der großen Themen die bei uns Top Priorität haben: Konzernbetriebsrat und Transformation.
Das Thema „Konzernbetriebsrat“ war schon einmal 2018/2019 an der Tagesordnung, als BIOTRONIK aus der BIO-DE die BCS ausgegründet hat, eine separate Servicegesellschaft. Damals hieß es, „wir seien kein Konzern“, „es gäbe keine gemeinsame Konzernleitung“ usw. Seitdem sind fast vier Jahre vergangen und einiges hat sich geändert. Immer häufiger spricht auch die Geschäftsleitung von einem Konzern, versucht betriebsübergreifend Themen zu besprechen und zu verhandeln, also mit einem “quasi KBR”. Wir werden sehen, was die Prüfung der Unterlagen ergibt. Die Stimmung der Geschäftsleitung bei meinen Gastauftritten in den angeblich „fremden“ Firmen wie VascoMed in Binzen und CORTRONIK in Rostock, sowie das Interesse, von diesen Auftritten im Vorfeld zu wissen, spricht dafür, dass diese Unternehmen der BIOTRONIK doch nicht ganz „fremd“ bzw. fern sind.
Christine: Das zweite große Thema ist die Transformation. Dabei geht es beispielsweise um die Automatisierung einer Vielzahl einzelner Produktionsprozesse. Für uns als Interessenvertreterinnen und –vertreter liegt das Hauptaugenmerk darauf, die Beschäftigung zu sichern und die Kolleginnen und Kollegen für die neuen Aufgaben zu qualifizieren. Aber aktuell haben wir eher das umgekehrte Problem, dass wir nicht genug Kolleginnen und Kollegen haben und mit Forderungen des Arbeitgebers nach vorübergehender Ausweitung der Arbeitszeit umgehen müssen.
Konstantin: Der Arbeitgeber hält aber weiterhin daran fest, nur über prekäre Beschäftigungsverhältnisse Personal aufzubauen. Sinnbildlich sehe ich uns wie Figuren aus „Ritter der Kokosnuss“. Ich habe mich nur noch nicht entschieden als welche: ob wir auf Stöcken reiten und Hufengeräusche produzieren, oder doch eher wie der schwarze Ritter mit abgehackten Armen dastehen, behaupten es wäre nur ein Kratzer und versuchen, weiterzukämpfen. Den Kampf um Arbeitskräfte können wir so nicht gewinnen, denn viele um uns herum stellen Beschäftigte in der Fertigung fest ein: Tesla, B. Braun, um nur zwei zu nennen. B. Braun produziert ebenfalls Medizintechnik und ist unser direkter Nachbar im Sieversufer.
Wie weit haben sich die Pandemie und gestörte Lieferketten auf das Thema Verlagerung nach Asien ausgewirkt?
Christine: Das Management hat in den letzten Jahren die Verlagerung der Produktion nach Asien stark vorangetrieben. Aktuelle Pläne verzögern sich zwar, aber nicht pandemiebedingt. Ein besonders komplexes Produkt wurde vorrübergehend wieder zurück transferiert, aber es wird unverändert an den Verlagerungsplänen festgehalten. Es gibt bisher keine pandemiebedingten Verzögerungen oder gar ein Umdenken.
Konstantin: Wobei ein Umdenken nicht verkehrt wäre. Dass die Verlagerung von gerade komplexen Produkten nicht so verläuft wie gewünscht, hätte man bereits aus der Verlagerung bei der VascoMed lernen können. Wir verlagern nach Singapur und holen dann komplexe Produkte, um die Qualität sicherzustellen, wieder zurück nach Berlin. VascoMed verlagerte letztes Jahr nach Mexico (INTEGER) und kämpft dort mit den gleichen Problemen. Sind wir vielleicht doch kein Konzern, wenn wir so wenig voneinander lernen?
Welche Themen stehen für Euch als Betriebsratsteam in den nächsten vier Jahren auf der Agenda?
Christine: Ganz oben bleibt weiterhin Standort- und Beschäftigungssicherung. Auch in dem wir die Schwächen in den Verlagerungsplänen aufgreifen und mit der Geschäftsführung und betriebsöffentlich diskutieren. Und wir müssen die neue Regelung zum mobilen Arbeiten in den Alltag überführen und - u. A. über die psychische Gefährdungsbeurteilung - Überlastungssituationen nachgehen. Dann brauchen wir neue Regelungen bezüglich Zielvereinbarungen. Hier wollen wir ein gerechteres System, von dem alle profitieren und dass trotzdem Anreize bietet, Projekte voranzubringen. Wir wollen in dieser Legislatur auch unseren derzeitigen Altersteilzeitmodellen auf den Zahn fühlen und weitere Möglichkeiten eruieren, frühere Renteneintritte ohne massive Verluste zu realisieren.
Werfen wir einen Blick auf die kommende Tarifrunde MuE: Welche Erwartungen haben Eure Kolleginnen und Kollegen an die Forderung?
Christine: Definitiv tabellenwirksame Entgelterhöhung: über die steigenden Lebenshaltungskosten brauchen wir ja nicht zu sprechen. Aber auch Nachjustierungen beim T-ZUG wünschen sich viele, insbesondere auch eine tariflich verankerte, dauerhafte Möglichkeit der Umwandlung Geld in Tage für besonders belastete Kolleginnen und Kollegen, die Angehörige pflegen.
Konstantin: Ich war am 2. Juni in der Tarifkommission in Schönefeld. Es gibt manche Begriffe, die ich, ich will nicht sagen „nicht verstehe“, aber zumindest in der Bildung der tariflichen Forderung nicht verdauen kann. Dazu gehört Zielinflationsrate der EZB, durchschnittliche Inflation oder Kerninflation, alle sind irgendwie an der Realität vorbei. Der eine mehr, das andere weniger. Und das dritte… eine um Energiepreise bereinigte Inflation. Brauchen wir keinen Sprit, heizen wir nicht, verbrauchen wir keinen Strom? Da kannst du noch so viel bereinigen, aber diese Ausgaben bleiben dennoch. Wenn auch nicht direkt, so über die Erzeugerpreise. Wir zahlen im Geschäft die Preise die, reell und nicht nur im Rahmen der Zielinflationsrate der EZB, steigen. Und die „durchschnittliche“ Inflation? Was ist das? Bedeutet das, dass die Inflation nicht bereits im Januar so hoch war? Und wenn schon? Sie ist jetzt so und hat die Preise entsprechend beeinflusst. Wir verhandeln auch nicht rückwirkend zum Januar, sondern für die Zukunft. Die letzte tabellenwirksame Erhöhung war im April 18. Zählen wir mal: April 19, 20, 21, 22 und Ende der Friedenspflicht ist erst im Oktober 22, Das sind viereinhalb Jahre ohne tabellenwirksame Entgelterhöhung. Die jährlichen Einmalzahlungen von 20 und 21 sind zwar wiederkehrend und gut, aber es sind eben nur Einmalzahlungen. Ob man nun viel oder wenig fordern soll, ist schwer zu sagen. Aber jedes Ergebnis, das unterhalb der tatsächlichen Inflation herauskommt, bedeutet Minderung der Kaufkraft und insofern auch eine Gehaltskürzung.
Herzlichen Dank!