Interview - Regierung hebelt Arbeitnehmerrechte aus

12-Stunden-Tag in Österreich bald die Regel?

12.07.2018 | Am 30. Juni 2018 haben über 100.000 Menschen in Wien gegen den 12-Stunden-Tag demonstriert. Die rechtskonservativ-populistische Regierung Österreichs setzt mit ihrem Arbeitszeitgesetz die Hürden für die 60-Stundenwoche nach unten. Was ist da los? Patrick Slacik, Landessekretär der Produktionsgewerkschaft PRO-GE (der IG Metall vergleichbar) in Niederösterreich gibt Antworten.

Über 100.000 Menschen demonstrieren am 30.6.2018 in Wien gegen das Arbeitszeitgesetz. (Alle Fotos (c) PRO-GE)

Patrick Slacik ist Landessekretär der Produktionsgewerkschaft PRO-GE in Niederösterreich.

12 Stunden pro Tag, 60 Stunden pro Woche. Was hat es mit dem Arbeitszeitgesetz auf sich?
Die Möglichkeit, bis zu 12 Stunden täglich zu arbeiten, gab es bisher schon. Diese Option galt jedoch nur in Ausnahmefällen. Der Arbeitgeber musste nachweisen, dass er ohne den 12-Stunden-Takt wirtschaftlichen Schaden erleiden würde. Und die Betriebsratsgremien mussten zustimmen. Diese konnten entsprechend gute Bedingungen für die Beschäftigten aushandeln. In Betrieben ohne Betriebsrat musste ein Arbeitsmediziner sein OK dafür geben. Das fällt nun alles weg. Mit dem neuen Arbeitszeitgesetz haben Unternehmen freie Bahn und können Zwölfstundentage und 60 Stundenwochen einfach ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anordnen.

Mit was begründet die Regierung ihr Gesetz?
Die derzeitige Regelung schade der Wirtschaft und sei zu kompliziert. Das ist natürlich Blödsinn. Auf die Anforderungen der Wirtschaft haben wir flexibel reagiert. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem ein Unternehmen einen Auftrag ablehnen musste, weil die Arbeitnehmer sich quergestellt hätten.

Um was geht es dann?
Es geht darum, Arbeitnehmerrechte zurückzufahren, Betriebsratsgremien und Gewerkschaften zu schwächen. Wir haben in Österreich eine Sozialpartnerschaft zwischen ÖGB/Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer. Betraf ein Gesetzentwurf Rechte von Arbeitnehmern, hatten bisherige Regierungen im Vorfeld mit beiden Seiten gesprochen. Diese Regierung hat mit uns Arbeitnehmervertretungen keine einzige Minute gesprochen.

Was ermöglicht das Gesetz den Arbeitgebern?
Mit dem neuen Gesetz kann der Arbeitgeber direkt zu den Beschäftigten gehen und anordnen, dass diese nun zwölf Stunden arbeiten müssen. Betriebsräte und Gewerkschaften kriegen das im Zweifel gar nicht mehr mit, weil erstere nicht mehr gefragt werden müssen.

Nach den Protesten hat die Regierung nachgebessert und eine Freiwilligkeit formuliert, allerdings nur für die 11. und 12. Stunde. Wie schätzt Du diesen Schritt ein?
Damit hat sie auf den Druck reagiert. Es ändert aber wenig an der Zielrichtung der Maßnahmen, mit denen der Druck auf die Beschäftigten wächst. Was bedeutet es für die Karriere, wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin ablehnt? Die Arbeitnehmer haben auch das Recht, die 9. und 10. Stunden abzulehnen. Dafür müssen sie aber ernsthafte Gründe nachweisen. Dazu gehören Pflege von Angehörigen oder Kindererziehung. Am Ende dreht sich die gesamte Beweislast vom Arbeitgeber hin zum Arbeitnehmer. Ihre Lage verschlechtert sich dramatisch, gerade auch für alle mit Kindern.

Was bedeutet das für Überstunden und Gleitzeiten?
Darüber tobt ein Streit – auch unter Juristen. Wenn die Gleitzeit nun von zehn Stunden auf zwölf Stunden erhöht werden kann, dann muss jetzt neu justiert werden, was davon Überstunden sind und was nicht. Für Gleitzeit und Überstunden haben Betriebsräte und Unternehmen Betriebsvereinbarungen getroffen. Die müssen neu ausgehandelt werden. Wir sind derzeit viel unterwegs, weil viele Beschäftigte nicht wissen, was das Arbeitszeitgesetz für sie bedeutet. Und wir organisieren den Widerstand, weil das am 1. September 2018 in Kraft tretende Arbeitszeitgesetz nur ein erster Schritt für diese Regierung ist.

Welche Schritte sind noch geplant?
Die neoliberale Regierung beschneidet Arbeitnehmer- und Mitbestimmungsrechte wo sie kann. Bei der Altersteilzeit legt sie Hand an ein Vorruhestandsmodell für Schwerarbeiter. Sie will die Jugendvertrauensräte – sie sind was in Deutschland die Jugend- und Ausbildungsvertretungen repräsentieren – abschaffen. Sie will die Selbstverwaltung bei der Sozialversicherung und in den Krankenkassen zugunsten der Arbeitgeber verändern und die Unfallversicherungsanstalt auflösen. Bisher übernehmen diese die Kosten für Unfälle bei der Arbeit und in der Freizeit. Die Beiträge werden bis dato komplett vom Arbeitgeber bezahlt. Außerdem soll weniger kontrolliert werden, ob Unternehmen Sozialdumping betreiben.

Was ist mit Widerstand?
Die Demonstration Ende Juni war ein erster Schritt. Nun finden flächendeckend Betriebsversammlungen statt. Viele geplante Maßnahmen werden auch unter dem Radar der Bevölkerung initiiert. Dafür halten die Rechtskonservativen die Flüchtlingsdebatte ständig am Kochen, weil man hinter ihr alles verstecken kann, was Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wehtut.

 

 

Von: mn

Unsere Social Media Kanäle