Beispiele aus Berliner Betrieben

Betriebsräte und IG Metall managen die Krise

05.05.2020 | Kurzarbeit, Gesundheitsschutz oder Kinderbetreuung sind alles Themen, die sich extrem auf das Leben von Beschäftigten auswirken. Umso wichtiger, dass sie in ihrem Sinne ausgestaltet werden. IG Metall-Betriebsrätinnen und -Betriebsräte haben in den vergangenen Wochen viel Gutes erreicht – wie einige Beispiele aus vielen zeigen.

Leere Hallen bei APCB - die Kolleginnen und Kollegen sind in Kurzarbeit (alle Fotos ohne Copyrighthinweis: Christian von Polentz / transitfoto.de

Nur die Wartungsteams nutzen die Gunst der Stunde und überarbeiten den Maschinenpark.

Dirk Wüstenberg, Betriebsratsvorsitzender (BRV) bei Otis (c) privat

APCB-Betriebsrat Peter Krämer (links) und der stellvertretende BRV Söner Sinac.

Kai Schmidt von Behren, BRV bei Biotronik. Foto: privat.

Der MAN-BRV René Marx (links) und sein Stellvertreter Silvio Weigelt. (privat)

Social Distancing und Homeoffice im Schaltwerk, jetzt Siemens Energy.

Weil die Plätze in der Siemens Energy-Kantine ausgedünnt wurden, hat die Werksleitung kurzerhand Sitzungsräume als Kantine umfunktioniert.

In der Produktion tragen die Beschäftigten bei Siemens Masken, ...

..., wenn es dann notwendig ist.

Lars Papenbrock, Betriebsratsvorsitzender bei Gillette.

„In der Corona-Krise sind wir Betriebsräte bei Otis zu richtigen Krisenmanagern geworden. Vom Trennen der Schichten in der Produktion bis zum richtigen Umgang mit „Risikopatienten“, um insgesamt das Infektionsrisiko bei uns zu minimieren und nun steht bei uns eine Vereinbarung zur Kurzarbeit an“, sagt Dirk Wüstenberg, Betriebsratsvorsitzender bei Otis.

Wie Dirk Wüstenberg und sein Betriebsratsteam hat die Corona-Pandemie viele Berliner Betriebsrätinnen und Betriebsräte in den Ausnahmemodus katapultiert. Denn plötzlich schlossen Behörden Kitas und Schulen, erließ die Politik neue Bestimmungen, gesetzliche Regelungen und verkündete finanzielle Schutzschilde mit jeder Menge rechtlicher Spitzfindigkeiten und Kleingedrucktem, das Betriebsräte erst einmal durchdringen und verstehen mussten. Entsprechend viele Fragezeichen gab es.  Wie können die Beschäftigten ihre Kinder betreuen ohne Geld zu verlieren? Welche Schutzmaßnahmen sind in der Produktion notwendig und wie organisiert man Distanzmaßnahmen? Und wie regeln wir Kurzarbeit in unserem Betrieb?

Auf all diese Fragen haben die meisten Berliner Betriebsräte in der Metall- und Elektroindustrie Antworten gefunden. Oft im Zusammenspiel mit der IG Metall, die mit Hilfe von Online-Seminaren und Beratungen rechtliche Fragen klären half und tarifäre Lösungen verhandelte.

„Durch ihr beherztes und umsichtiges Handeln haben Betriebsrätinnen und Betriebsräte die soziale Lage der Beschäftigten deutlich verbessert und damit viel zum sozialen Frieden in Berlin beigetragen“, bedankt sich Birgit Dietze, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin.

Dabei haben sie vielfältige Lösungen gefunden – manchmal im guten Zusammenspiel mit den Arbeitgebern, manchmal mussten sie dafür streiten und auch unverschämte Forderungen abwehren. Inzwischen haben viele Betriebsräte Pandemie-Vereinbarungen abgeschlossen. Sie regeln im Kern Fragen zu Homeoffice, Kurzarbeit und dem Schutz der Gesundheit.

Kurzarbeitergeld

In der riesigen Halle des Ford-Zulieferers APCB in Zehlendorf herrscht gähnende Leere. Zwei Techniker warten Maschinen und Werkzeuge, die übrigen Beschäftigten der Produktion sind in Kurzarbeit. Kurzgearbeitet wird auch bei Biotronik (ab Mai) BMW, BSH, Daimler und vielen weiteren Berliner Unternehmen.

In diesen Unternehmen erhalten Beschäftigte Kurzarbeitergeld. Das ist ohne Frage eine soziale Errungenschaft, allerdings bedeuten sie auch einen herben Einkommensverlust für Beschäftigte, denn die gesetzlichen Sätze machten bisher 60 Prozent des Nettogehalts bzw. 67 Prozent bei Eltern aus und liegen im Vergleich zu anderen Ländern deutlich niedriger. Das reicht vielen nicht zum Leben aus. Schichtarbeitende, wie bei APCB, trifft es noch härter, schließlich brechen mit der Arbeit auch die Schichtzulagen weg.

„Das hätte für uns herbe Verluste bedeutet“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende (BRV) Soner Sinac. „Die IG Metall hat daher für uns die tarifliche Ankündigungsfrist verhandelt und wir haben eine Aufzahlung über 85 Prozent sowie eine Ausgleichzahlung für Schichtarbeiter erreicht“, fügt Soner Sinac hinzu.

Ein Hebel für gute Lösungen bildete hier die tarifliche Ankündigungsfrist von 14 Tagen. Für ein gemeinsames schnelles betriebliches Handeln und bei guter sozialer Absicherung der Belegschaften verhandelte die IG Metall vielfach die Verkürzung von Ankündigungsfristen. So konnten Unternehmen Kurzarbeitergeld schneller beantragen und die bewilligten Gelder schneller fließen. Im Gegenzug vereinbarten IG Metall oder Betriebsrat mit dem Unternehmen Aufzahlungen zum Kurzarbeitergeld, je nach Betrieb auf 70 bis 100 Prozent des Nettoentgelts. „Bei Biotronik haben wir eine Aufzahlung zwischen 70 und 80 Prozent erreicht, für die niedrigeren Entgeltklassen mehr, für die höheren weniger“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Kai Schmidt von Behren.

Am 22. April hat die Bundesregierung zwar auf die Forderungen der Gewerkschaften reagiert und das Kurzarbeitergeld erhöht, die Vergabe jedoch auch an Bedingungen geknüpft. Die Betriebsrätinnen und Betriebsräte müssen die Neuerungen nun prüfen und gegebenenfalls mit den Arbeitgebern erneut nachverhandeln.

Gesundheitsschutz – wenn die Produktion weiterläuft

Viele Berliner Unternehmen produzieren jedoch noch. Bei ihnen stehen dann Maßnahmen zum Gesundheitsschutz im Vordergrund.

Bei Siemens Energy haben Gesamtbetriebsrat (GBR) und der Siemens-Vorstand Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Beschäftigten ausgesprochen. Das Unternehmen hat entsprechend alle zur Risikogruppe gehörenden Beschäftigten freigestellt. „Bei uns waren das immerhin 90 Kolleginnen und Kollegen“, sagt Martin Streitberger, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Siemens Energy, sprich der ehemaligen Hochspannung des Schaltwerkes. Die Regelung sieht vor, dass der Arbeitgeber die ersten Tage voll bezahlt, in einem zweiten Schritt eine 50:50-Regelung eintritt, in dem Beschäftigte ihre Überstunden einbringen und abbauen. „Ins Minus läuft bei uns aber niemand. Das hat unser GBR sehr gut verhandelt“, fügt Martin Streitberger hinzu.

In der Produktion tragen alle Masken, von denen es auch genügend gibt. Arbeitsbereiche werden mit Plexiglasscheiben getrennt. Die Kantine ist mit markierten Plätzen versehen, um sichere Abstände zu gewährleisten. „Weil dadurch der Platz weniger wurde und nicht mehr ausreichte, haben wir mit der Standortleitung kurzerhand einen Besprechungssaal zur Erweiterung in eine Kantine umfunktioniert“, sagt Streitberger.

Gerade anfangs der Krise waren die Tage im Betriebsrat hektisch. „Da ist eine Masse an Sachen auf uns eingeprasselt, da haben wir einen Extrakreis für Risikogruppen eingerichtet, haben Telefonkonferenzen abgehalten und diskutiert, was wir tun können und müssen.“ Nun haben sich viele Fragen geklärt. Trotzdem kommen Betriebsrat und Werkleitung alle zwei Tage virtuell zusammen. „Wir arbeiten sehr zielorientiert und kooperativ zusammen und damit erreichen wir sehr viel für die Beschäftigten“, erklärt Streitberger. Gleichzeitig hat er schon die Rückkehr zur Normalität im Blick. Die aber müsse überlegt stattfinden, damit die Kolleginnen und Kollegen nicht zu Versuchsobjekten einer „Öffnungsdiskussionsorgie“ würden.

Betreuung von Kindern

Gerade anfangs standen berufstätige Eltern vor der Herausforderung, wie sie Arbeit und die Betreuung ihrer Kinder unter einen Hut bringen sollten. Manche konnten das in ihrem Unternehmen nur über Urlaub lösen. Andere wie bei Gillette hatten es da besser. „Bei Gillette konnten Beschäftigte auch mal bezahlt freinehmen, bis sie eine gute Lösung gefunden hatten“, sagt BRV Lars Papenbrock.

Für berufstätige Eltern ist die Kinderbetreuung nach wie vor eine große Frage. Entsprechend sind Betriebsräte gefordert. Im Siemens-Gasturbinenwerk haben Werkleitung und Betriebsrat eine schöne Lösung gefunden. Sie haben die Schichten so organisiert, dass berufstätige Eltern ihre Kinder betreuen und arbeiten konnten, um sich ihr Entgelt zu sichern.

In der Krise zeigt sich der Wert der Mitbestimmung. Für gute Lösungen braucht es gut informierte und starke Betriebsrätinnen und Vertrauensleute, genauso eine starke IG Metall. „Wir können Know-how vermitteln, wirtschaftliche und juristische Expertise durch externe Berater und Juristinnen bereitstellen, passgenaue Tariflösungen verhandeln und strategisch beraten“, sagt Birgit Dietze. Darüber können Betriebsräte auf Augenhöhe verhandeln. Dieses Pingpong zwischen beiden ist im Sinne der Beschäftigten. Die guten Beispiele der vergangenen Wochen zeigen dies.

 

Von: Michael Netzhammer

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