Rechtstipp

Bundesarbeitsgericht kippt Beweisverwertungsverbote in Betriebsvereinbarungen

28.11.2023 | Fast jede Betriebsvereinbarung zu IT-Fragen enthält ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot. Das Bundesarbeitsgericht hat solche Regelungen jüngst für unwirksam erklärt.

Rechtsanwalt Micha Heilmann

Das Bundesarbeitsgericht hat einem zentralen Baustein vieler Betriebsvereinbarungen zur IT und zur Verhaltens- und Leistungskontrolle den Boden entzogen. Die meisten Betriebsvereinbarungen, die Verhaltens- und Leistungskontrolle bei IT regeln oder ausschließen, enthalten Klauseln, die ein sog. Beweisverwertungsverbot festlegen. Wenn Daten unter Verstoß gegen die Regelungen in der Betriebsvereinbarung vom Arbeitgeber gewonnen werden, dürfen sie nicht zu Lasten der Arbeitnehmer genutzt werden. Solche Regelungen in Betriebsvereinbarungen seien, so nun das Bundesarbeitsgericht (v. 29.6.2023 – 2 AZR 296/22) unwirksam.

Dem lag folgender Fall zugrunde: Ein Arbeitgeber hatte einen Arbeitnehmer fristlos gekündigt. Er warf ihm vor, an einem Arbeitstag zunächst bei Schichtbeginn das Werksgelände betreten zu haben und über den Werksausweis auch die elektronische Arbeitszeiterfassung ausgelöst zu haben. Er habe dann, ohne auszustempeln, das Werksgelände wieder verlassen, sich die Schicht aber bezahlen lassen. Zum Beweis legte der Arbeitgeber Videoaufzeichnungen vom Werkseingang vor. Dort war nach seinen Angaben zu sehen, dass der Arbeitnehmer vor Schichtbeginn das Werk wieder verlassen habe. Die Videoaufzeichnung erfolgte offen. Auf sie wurde am Werkseingang hingewiesen. In einer Betriebsvereinbarung zur elektronischen Anwesenheitserfassung war vereinbart worden, dass „keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt.“

Der Arbeitnehmer klagte gegen die Kündigung und bekam in der ersten beiden Instanzen Recht. Die Daten aus der offenen Videoüberwachung hätten nicht genutzt werden dürfen. Das BAG hob das Urteil auf und hat den Fall an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zur erneuten Entscheidung zurückverweisen.

Den Fall nahm das BAG zum Anlass zu grundsätzlichen Ausführungen zur Frage, ob ein Arbeitgeber Daten, die er unter Verstoß gegen Regelungen in einer Betriebsvereinbarung gewonnen wurden, z.B. für Kündigungen nutzen darf, zu machen. Ja sagt das Bundesarbeitsgericht.  Die EU-Datenschutzgrundverordnung stehe dem nicht entgegen.

Und: Betriebsrat und Arbeitgeber könnten generell keine Beweisverwertungsverbote in Betriebsvereinbarungen vereinbaren.  Dafür fehle ihnen die Regelungskompetenz. Beweisverwertungsverbote könne es zwar geben, aber erst, wenn Gewinnung und Verwertung der Daten z.B. einen Grundrechtsverstoß darstellen. Das in der Praxis nachzuweisen ist schwierig; die Hürde ist hoch. Das Bundesarbeitsgericht hat dabei seine Linie, dass der Arbeitgeber in weitem Umfang Überwachungsdaten zu Lasten der Arbeitnehmer nutzen dürfe, fortgesetzt und ausgebaut. Es fasst dies unter dem Satz, dass „Datenschutz kein Tatenschutz“ sei zusammen. Damit können künftig mehr auch unter Verstoß gegen die Regelungen in einer Betriebsvereinbarung gewonnene Erkenntnisse, die auf ein vorsätzliches Handeln eines Arbeitnehmers schließen lassen, gegen Arbeitnehmer ohne weiteres verwendet werden.
Zudem seien Regelungen in Betriebsvereinbarungen unwirksam, die das Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung erheblich erschweren würden. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung, so das Bundesarbeitsgericht könne, und dürfe nicht ausgeschlossen werden.

Ob und wann der EuGH die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Hinblick auf die EU-Datenschutzgrundverordnung überprüft und zu welchem Ergebnis er kommt, ist offen.

Selbst wenn nicht jedes Detail, nicht jedes erfasste Datum bis ins letzte in einer Betriebsvereinbarung geregelt war, der Betriebsrat konnte mit solchen Beweisverwertungsverboten die faktische Einhaltung der Betriebsvereinbarung zu Gunsten der einzelnen Arbeitnehmer sicherstellen. Denn was nutzen Auswertungen, wenn sie nicht als Beweis vor Gericht dienen? Nachdem das BAG dem nun eine Absage erteilt hat, stellt sich die Frage: Was tun? Nicht notwendig ist es, alle bestehenden Betriebsvereinbarungen im Hinblick auf die Entscheidung des BAG zu kündigen oder schnellstmöglich zu verändern. Die konkreten Festlegungen in den jeweiligen Betriebsvereinbarungen müssen überprüft werden. Betriebsräte sollten künftig (noch) mehr als bisher darauf achten, dass Daten im Zweifel nicht erhoben bzw. nach Ablauf der festgelegten Speicherfristen auch wirklich gelöscht werden. Im Ausgangsfall hat der Arbeitgeber die Videoaufzeichnungen erst über ein Jahr nach der Aufzeichnung ausgewertet.

Nicht entschieden hat das BAG aber über den Verzicht auf einseitige Willenserklärungen, wozu auch Kündigungen gehören. Der Verzicht auf ordentliche Kündigungen ist z.B. für Ältere in vielen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen verankert. Arbeitgeber können also auf den auch auf den Ausspruch von ordentlichen Kündigungen verzichten, z.B. wenn gegen Regelungen zur Datennutzung in Betriebsvereinbarungen verstoßen wird. 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts macht künftige Verhandlungen über die Regelungen zur Einschränkung von Verhaltens- und Leistungskontrolle der einzelnen Arbeitnehmer komplizierter.

Von: Micha Heilmann

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