Europa vor der Wahl

Eurobetriebsräte – Mitbestimmung auf alle Länder ausdehnen

22.05.2019 | Berliner Unternehmen sind an vielen europäischen Standorten angesiedelt bzw. eine Dependance eines internationalen Konzerns. Bei Entscheidungen über Grenzen hinweg, müssen – wo es sie gibt – Eurobetriebsräte informiert und gehört werden. Das hat viele Vorteile, wissen die Euro-Betriebsrätin Bettina Haller bei Siemens und Dirk Wüstenberg, Eurobetriebsrat bei Otis.

Die Euro-Betriebsräte und Betriebsrätinnen bei Otis. (c) privat

Großes Gremium - Die Euro-Betriebsräte und Betriebsrätinnen bei Siemens. (c) privat

„Unternehmen können ihr Unternehmen oder Teile der Produktion einfach über europäische Grenzen hinweg verlagern. Für die Mitbestimmung ist aber an der Grenze Schluss“, sagt Bettina Haller, Stellvertretende Vorsitzende der Euro-Betriebsräte bei Siemens. Das ist eine der Schwächen im Regelwerk der Europäischen Union.

Auf der anderen Seite gäbe es die Euro-Betriebsratsrichtlinie (EBR), 1996 in Kraft getreten, ohne die Europäische Union nicht. Sie räumt Euro-Betriebsräten und -rätinnen ein Recht auf Informationen und Anhörung ein. „Wir haben zwar kein Vetorecht, aber wir können Fragen stellen, alternative Ideen präsentieren und Entscheidungen verzögern“, sagt der Berliner Dirk Wüstenberg, einer von zwei deutschen Euro-Betriebsräten bei Otis.

Die EBR gibt für Euro-Betriebsräte weniger her als das deutsche Mitbestimmungsrecht, aber für viele europäischen Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter bedeutet sie einen Qualitätssprung. „Die Kolleginnen und Kollegen aus Ländern mit einer geringeren Mitbestimmungskultur brauchen Zugang zu Wissen, weil sie völlig abhängig sind von ihren Entscheidern“, sagt Bettina Haller. Die Zusammenarbeit der Euro-Betriebsräte verbessert ihre Lage, aber auch die deutschen Arbeitnehmervertreter profitieren vom Austausch. „Das Management versucht uns gegeneinander auszuspielen, indem sie auf vermeintlich bessere Bedingungen in anderen Ländern verweisen. In diesen Fällen greifen wir heute einfach zum Hörer, fragen unsere Kolleginnen und Kollegen und wissen es dann besser“, fügt Dirk Wüstenberg hinzu.

Wie funktioniert die konkrete Arbeit?
Die 25 Eurobetriebsräte von Otis treffen sich einmal pro Jahr in Brüssel. Am ersten Tag tauschen sich die Betriebsrätinnen und Arbeitnehmervertreter – in manchen Ländern gibt es keine Betriebsräte – untereinander aus, am zweiten Tag treffen sie auf das Otis-Management. „Die berichten über das vergangene Jahr, die Entwicklung in den fünf europäischen Werken und was sie für die Zukunft planen“, erzählt Dirk Wüstenberg.

Bei Siemens treffen sich die Euro-Betriebsräte mindestens einmal im Jahr und fallbezogen, wenn tatsächlich Entscheidungen anstehen. Die Unterschiede zu Otis sind typisch, denn die Euro-Betriebsratsrichtlinie macht hier keine Vorgaben. Vielmehr müssen Management und Arbeitnehmervertreter eine Regelung treffen, wie sie zusammenarbeiten.

Die Zusammenarbeit unter Euro-Betriebsrätinnen und -räten ist nicht einfach. Mal abgesehen von der Sprache, in jedem europäischen Land haben sich zwischen Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Unternehmen andere Strukturen herausgebildet. Insofern war es gerade anfangs notwendig, sich intensiv auszutauschen. „Da muss man viel zuhören, aber das ist ja auch gerade das Spannende, weil wir gemeinsam über unseren nationalen Tellerrand blicken“, sagt Bettina Haller. Zudem gibt es sehr viel Einigendes: „Egal welche Strukturen vorherrschen, in allen Ländern bewegen die Menschen ähnliche Fragen und der Wunsch nach sicheren Arbeitsplätzen, einer vernünftigen Bezahlung, von denen Familien auch leben können.“

Mitbestimmung in Europa – sehr viel Luft nach oben
Nach wie vor empfinden viele Beschäftigte Europa mehr als Versprechen als die Lösung für ihre unmittelbaren Probleme. „Europa dient nur den Unternehmen und nicht den Menschen, denken viele. Das muss anders werden, sonst wird es für die EU schwierig“, sagt Bettina Haller. Ihr Traum: Eine europaweite Mitbestimmungskultur als wichtige Ergänzung zur Freizügigkeit für Unternehmensansiedlungen. Dafür lohne es sich zu kämpfen.

Denn zu Europa und europaweiten Regeln gebe es keine Alternative. Siemens ist hier ein gutes Beispiel. Von einem harten Brexit wäre das Unternehmen extrem betroffen. „Wir haben heute Wertschöpfungsketten durch ganz Europa, da kannst Du nichts erreichen, wenn Du nur in Deutschland Lösungen überlegst“, sagt Haller.

Brexit – aus für britische Kolleginnen und Kollegen
Kommt der Brexit, gelten die Regeln der EU für Großbritannien nicht mehr, die britischen Kolleginnen und Kollegen müssen aus den Europabetriebsräten ausscheiden. Eigentlich. „Wir wollen, dass die britischen Eurobetriebsräte in unserem Gremium bleiben, weil der Austausch weitergehen muss. Darüber verhandeln wir derzeit mit dem Management“, sagt Dirk Wüstenberg. Bei Siemens haben sie das schon erreicht.

Austausch und das Miteinander sind in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen – über alle unterschiedlichen Strukturen und Grenzen hinweg. Europa muss weiterentwickelt werden, da sind sich Bettina Haller und Dirk Wüstenberg einig. Deshalb ist es so wichtig, dass – trotz aller Schwächen – sich die Europäische Union Richtung sozialer Union weiterentwickelt. Dafür sind die Wahlen am Sonntag wichtig.

Von: mn

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