01.09.2020 | Eine gründlich vorbereitete Betriebsratswahl gleicht eher einem Marathon als einem Sprint. Warum es sich lohnt, betriebliche Stärke zu entwickeln und nichts zu überhasten, erläutert das Organizing-Team der IG Metall Berlin hier.
Auch ohne unmittelbare Drohszenarien wie Verlagerung von Betriebsteilen oder betriebsbedingte Kündigungen wenden sich viele Beschäftigte an die IG Metall, um mehr Mitbestimmung der Beschäftigten in ihrem Unternehmen durchzusetzen. Aus unterschiedlichen Gründen: Sie wollen eine demokratisch gewählte Vertretung, ihre tagtäglichen Arbeitsbedingungen verbessern oder nicht selten auch einen größeren Teil vom betrieblichen Gewinn abhaben.
Bei dieser Art von Betriebsratswahlen setzen wir als IG Metall Berlin auf den Ansatz nachhaltiger Organisierung. Das heißt: Wir bauen zuerst gewerkschaftliche Mitgliedschaftsstrukturen auf, bevor wir an die Einleitung einer Betriebsratswahl denken.
Die fünf wichtigsten Gründe, warum wir das so tun, beschreiben wir hier.
Grund 1: Rückhalt und Akzeptanz aus der Belegschaft
Ab fünf permanent Beschäftigten kann laut Betriebsverfassungsgesetz eine Betriebsratswahl initiiert werden. Und bereits drei Beschäftigte reichen aus, um die Belegschaft zur Wahlversammlung einzuladen. Vom Prozedere her steht einer schnellen Betriebsratswahl also wenig im Weg – nur ist dann noch nichts darüber gesagt, ob ein Betriebsrat überhaupt auf große Sympathien bei den Kolleg*innen stößt.
Damit man in der Wahlversammlung keine böse Überraschung erlebt, gilt es deshalb, sich vorher als Beschäftigte zusammenzuschließen, um große Teile der Belegschaft hinter sich zu haben. Und wie ließe sich der Zusammenhalt der Belegschaft besser verdeutlichen, als sich in der Gewerkschaft zusammenzutun?
Grund 2: Ein Betriebsrat kann der Startschuss für noch größere Veränderungen sein
Bei vielen Belegschaften ist es mit der Wahl des Betriebsrats nicht getan. Sie wollen einen größeren Anteil am Erfolg ihres Unternehmens, mehr Urlaub oder geringere Arbeitszeiten durchsetzen. Das alles sind jedoch Inhalte von Tarifverträgen, und die können ausschließlich Gewerkschaften abschließen. Es kommt also vor, während und auch nach der Betriebsratswahl darauf an, gewerkschaftliche Stärke zu entwickeln – wenn man sich die Option nicht verbauen möchte, als Belegschaft nach erfolgreicher Wahl mit der Gewerkschaft bis zum Tarifvertrag durchzumarschieren.
Grund 3: Sicherheit von Anfang an
Der Prozess einer Betriebsratswahl kann hochgradig unterschiedliche Arbeitgeberreaktionen hervorrufen. Manche Arbeitgeber sind mit Betriebsräten vertraut und sehen betriebliche Mitbestimmung gelassen, wiederum andere reagieren äußerst aggressiv. Das kann im schlimmsten Fall zu angedrohten Kündigungen und Schikanen gegen die Initiator*innen der Wahl führen. Schlägt der Chefetage allerdings der gewerkschaftliche Zusammenhalt aus der Belegschaft entgegen, sehen Arbeitgeber meist von solchen Maßnahmen ab.
Die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft schützt die Organisierenden also in zweifacher Hinsicht: Sie verringert den Spielraum der Schikane einzelner Beschäftigter und sichert alle Aktivist*innen individuell durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz ab.
Grund 4: Ein schwacher Betriebsrat ist schlechter als gar keiner
Eine nachhaltige und planvolle Organisierung verfolgt das Ziel einer Gremiumsmehrheit für diejenigen, die die Positionen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber vertreten wollen und keine Angst davor haben, schwelende Konflikte zwischen Belegschaft und Geschäftsführung selbstbewusst auszutragen. Haben Arbeitgeber einmal akzeptieren müssen, dass in ihrem Unternehmen eine Betriebsratswahl stattfindet, sind sie trotzdem häufig darum bemüht, die Folgen der Wahl zu ihren Gunsten abzumildern.
Hierzu werden arbeitgebernahe Kandidat*innen ins Rennen geschickt, nicht selten unter massivem Kostenaufwand für deren Wahlkampf. Ist die gewerkschaftliche Betriebsrats-Kampagne schwach aufgestellt ist, droht ein Verfehlen der Mehrheit im Gremium. Häufig richten Betriebsräte mit einer Arbeitgeber-Mehrheit dann mehr Schaden an, als hätte man gar nicht erst gewählt.
Kein*e Beschäftigte*r hat ein Interesse an einem schwachen Betriebsrat, der wehrlos jeden Arbeitgebervorschlag unterschreibt. Denn dieser gilt kollektiv für alle Beschäftigten. Besser ist es dann noch, jede*r verhandelt individualvertraglich mit der Personalabteilung für seine*ihre Belange.
Grund 5: Eine starke Organisation im Rücken
Selbst auf ihrem eigenen Spielfeld, dem Betriebsverfassungsgesetz, kommen Betriebsräte gelegentlich an Grenzen. Manche benötigen fachliche Hilfe, andere kommen mit ihren Gegenspielern, den Arbeitgebern, nicht weiter. Die IG Metall unterstützt hier, indem sie Betriebsratskompetenzen bündelt und sie gewerkschaftlich-organisierten Gremien zur Verfügung stellt, wann immer diese sie benötigen.
Auch kann die Gewerkschaft vermittelnd gegenüber dem Arbeitgeber auftreten. Mit ihren 2,3 Millionen Mitgliedern verfügt sie über reichlich politisches Gewicht, Netzwerke und Ressourcen, sodass sie genügend Druck auf mitbestimmungs- und gewerkschaftsfeindliche Arbeitgeber aufbauen kann. Um eine Gewerkschaft in Konflikte zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber einzuschalten, ist es jedoch wichtig, dass die Gewerkschaft eine Legitimation im Betrieb besitzt. Das heißt: Bevor die IG Metall als überbetriebliche Instanz (Geschäftsstelle der IG Metall/Gewerkschaftssekretär*innen) hinzugezogen wird, sollte man die Gewerkschaft in seinem Betrieb stark genug aufgebaut haben.
Wenn Du einen Betriebsrat gründen möchtest und/oder mehr über die Methoden nachhaltiger gewerkschaftlicher Organisierung erfahren möchtest, wende dich an unser Erschließungsteam. Wir unterstützen Dich:
Thomas Weber, Marius Sänger, Sören Lieske.