04.02.2021 | Das Wetter ist garstig an diesem Donnerstagmorgen in der Huttenstraße. 300 Beschäftigte verlassen trotzdem ihr Werk und kommen raus. Sie sind fassungslos über die Pläne des Vorstands, weite Teile der Fertigung verlagern und damit dem Gasturbinenwerk sein Herz entreißen zu wollen. Die Botschaft von Betriebsrat, Beschäftigten und IG Metall ist deutlich: So einfach wird das nicht.
Es ist eine erste Reaktion, weitere werden folgen. Darin sind sich Betriebsrat, Beschäftigte und IG Metall Berlin einig an diesem Donnerstagmorgen. Rund 300 Beschäftigte haben sich vor der Huttenstraße aufgestellt. Sie haben Plakate und jede Menge Wut mitgebracht. Wut über die Pläne des Vorstands, der die gesamte Verbrennungssystemtechnik mit Ausnahme des Testing von Berlin ins autoritär regierte Ungarn verlagern will. Der Betriebsratsvorsitzende Günter Augustat fasst die Wut in Worte: „Mit diesen Plänen beraubt man uns der Möglichkeit, am perfekten Wirkungsgrad unserer Turbinen zu arbeiten, weiter die Leistung zu steigern, die Emissionen zu verringern und damit entscheidend zur Dekarbonisierung der Welt beizutragen.“ Denn mit jedem zusätzlichen Wirkungsgrad sparen Betreiber Millionen Euro und CO2 zugleich.
In der Huttenstraße haben sie das Know-how dazu – in der Fertigung, im Engineering, im Vertrieb und beim Service. „Wir haben hier am Standort hochspezialisierte Wert- und Fertigungsströme, wir beschäftigen uns mit dem i-Tüpfelchen im Gasturbinengeschäft. Das will man uns jetzt nehmen. Das geht gar nicht“, kritisiert Günter Augustat. Das Argument, die Aufträge gingen im Gasturbinengeschäft zurück, lässt er nicht gelten. Denn das Geld verdient Siemens Energy vor allem im Service-Geschäft, und hier liegt eine Kernkompetenz der Beschäftigten in der Huttenstraße. Wo aber Beschäftigte nicht mehr fertigen, wo das Engineering zurückgefahren wird, da verschwinden Innovationen und damit auch die Kompetenz im Service-Geschäft. Das Ende wäre vorprogrammiert. Deshalb muss die Fertigung in Berlin bleiben.
Entscheidender Kampf um die Zukunft des Werks und die Arbeitsplätze
„Mein Gefühl sagt mir, dass wir nun den entscheidenden Kampf um unsere Arbeitsplätze führen müssen“, sagt Günter Augustat. Einen Kampf, bei dem die IG Metall Berlin an der Seite von Betriebsräten und Beschäftigten steht, sagt Regina Katerndahl, Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Berlin und zuständig für die Berliner Siemens-Standorte. „Die Beschäftigten des Gasturbinenwerks haben das Wissen, die Kompetenz und die Erfahrung, um innovative Technologien auch in Zukunft zu entwickeln.“
Deshalb gehe es jetzt darum, diese Pläne des Vorstands zu revidieren. Dass sie Entscheidungen des Vorstands verhindern können, haben Betriebsrat, Beschäftigte und IG Metall in den Auseinandersetzungen 2013, 2015, 2017/18 bewiesen. „Wir haben die Konzepte, die wir mit den Beschäftigten weiterentwickeln, wir haben die Kraft der IG Metall und wir brauchen für unsere gemeinsamen Ziele die Unterstützung von allen“, sagt Regina Katerndahl an diesem Morgen.
Am Ende spricht Thomas Prantz, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende im Gasturbinenwerk. Er erinnert an den Besuch von Joe Kaeser einige Monate zuvor. „Da hat er sich für unseren Einsatz in der Krise bedankt und unser Engagement“, sagt er und verweist auf ein Plakat mit der Unterschrift des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG. Auf ihm hat Kaeser als Dank unterschrieben. „Auf so ein Danke schön können wir sehr wohl verzichten, wenn es bedeutet, dass man uns wenige Monate später die Fertigung dichtmachen will“, fügt er hinzu und erntet Applaus. Sein Vorschlag an den Vorstand der Siemens Energy AG: „Statt die vielen Millionen in die Verlagerung zu stecken, könnte es der Vorstand hier in Innovationen und moderne Maschinen investieren.“