Gedenkveranstaltung

90 Jahre Sturm auf die Gewerkschaftshäuser

03.05.2023 | Vor genau 90 Jahren, am 2. Mai 1933, wurde das Berliner IG Metall Haus von SA-Truppen angegriffen und besetzt. Eine vielseitige Veranstaltung erinnerte daran und schlug Brücken ins Heute.

Hausführung mit Peter Senft (Foto: Christian von Polentz)

Chaja Boebel (Foto: Christian von Polentz)

Regina Katerndahl (Foto: Christian von Polentz)

Diskussionsrunde (Foto: Christian von Polentz)

Dr. Stefan Heinz (Foto: Christian von Polentz)

Isabel Neuenfeldt (Foto: Christian von Polentz)

Am Dienstagabend fand im IG Metall Haus eine Gedenkveranstaltung anlässlich des faschistischen Sturms auf die Gewerkschaftshäuser 1933 statt.  Vor Beginn der  Veranstaltung führten  Peter Senft und Achim Leidig durch unser historisches IG Metall Haus. teilzunehmen.
Das Haus wurde 1930, nach nur 18 Monaten Bauzeit, fertiggestellt und diente von da an dem Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV), der Vorläuferorganisation der IG Metall als Hauptsitz. Die  Architektur zeige  das  demokratische Selbstverständnis der Gewerkschaften, beispielsweise im Alwin Brandes Saal, welcher von Anfang an als Versammlungsraum für Entscheidungen konzipiert war.

Im Alwin-Brandes-Saal eröffnete der Vorsitzende Jörg Hofmann die Abendveranstaltung. Er sprach von gesellschaftlicher Verrohung und bezog sich dabei auf die Leipziger Autoritarismusstudien. Gegen Hass und Spaltung helfe nur mehr Demokratie. Sich selbst als politisches Subjekt zu erfahren sei gewerkschaftliche Basisarbeit und fördere demokratische Strukturen.  

Geschwächte Demokratie

Der Politikwissenschaftler und Historiker Dr. Stefan Heinz ging in seinem Vortrag auf die historischen Randbedingungen des 2. Mai 1933 ein. Vor der Diktatur habe der langsame und schrittweise Verfall der Demokratie gestanden, denn schon ab 1930 regierten „Notverordnungskabinette“ autoritär. Auch die Gewerkschaften waren 1933 bereits geschwächt: Die Weltwirtschaftskrise hatte ihnen schwer zugesetzt und hohe Arbeitslosigkeit führte unter anderem zu Mitgliederverlusten. Aber nicht nur auf Grund personeller Schwäche gab es keinen Generalstreik gegen den NS. Die dominierende Haltung war einer Neutralität verpflichtet und man betonte eher eine „unpolitische Vertretung sozialer Interessen“. Am „schwarzen Dienstag“, denn vor 90 Jahren war der 2. Mai ebenfalls ein Dienstag, wurden hunderte Gewerkschafter festgenommen und einige sogar direkt ermordet. Nach der Zerschlagung der freien Gewerkschaften verfolgte die nationalsozialistische Deutsche Arbeitsfront (DAF) das primäre Ziel der Produktivitätssteigerung. Sie führte keine Arbeits- oder Klassenkämpfe, sondern betrieb Systemintegration „mit Peitsche und Zuckerbrot“, so Heinz. In seinem Vortrag hob der Historiker, die Rolle des gewerkschaftlichen Widerstandes hervor. Wenn wir über gewerkschaftlichen Widerstand sprechen, gehe es nicht um Heldenverehrung, sondern um Mitmachen, wird Heinz später in der Diskussion sagen.

Zeugnisse des Terrors

In einer szenischen Lesung wurden die Ereignisse vom Mai 1933 und dessen Vorgeschichte vergegenwärtigt. Anhand historischer Texte wurden die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven  von Personen vorgelesen , welche heute die Funktion innehaben, die  die damaligen Autor*innen  der Texte hatten. So trug Julian Wenz, Betriebsrat von Siemens Energy das Protokoll der Stürmung des Gesamtbetriebsrats bei Siemens vom 27.3.1933 vor. Das Dokument ist nicht nur Zeugnis von Gewalt, sondern zeigt , dass  Nazis in der Belegschaft die Entfernung der gewählten Betriebsräte aktiv unterstützen.   Regina Katerndahl, Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Berlin, las  nen Brief des ADGB Vorstands an Hindenburg vor, der aufzeigt,  dass bereits in den Wochen und Monaten vor dem 2. Mai 1933 viele Gewerkschaftsgebäude gestürmt, besetzt oder beschlagnahmt wurden.

Gewerkschaftliche Identitätsbildung

Chaja Boebel vom IG Metall Bildungszentrum Pichelsee führte durch den Abend und moderierte eine abschließende Diskussionsrunde. Stefan Heinz, Brigitte Runge (Zweite Bevollmächtigte IG Metall Salzgitter-Peine), Michael Barthel (Verein zur Bewahrung der Demokratie e.V.) und Jakob Heidenreich (Jugendsekretär IG Metall Berlin) griffen Themen des Abends wieder auf bezogen sie auf die aktuelle politische Situation. Die Geschichte des 2. Mai zeige, dass „wir als Gewerkschaft ein ganz grundsätzliches Problem mit Nazis“ haben, machte Heidenreich deutlich. Demokratie müsse man immer wieder neu vermitteln, betonte Runge. Dies geschehe aber nicht nur durch Bildungsarbeit, sondern in der alltäglichen  Betriebsarbeit vor Ort.. Barthel gab Einblicke in die Praxis der rechten „Gewerkschaft“ Zentrum Automobil. Statt Kulturkämpfe im Betrieb zu führen, sei es besser, immer wieder auf Interessengegensätze zwischen Unternehmen und abhängig Beschäftigten – zwischen Kapital und Arbeit –  hinzuweisen. Heinz, der in der Diskussion eine Außenperspektive einnimmt, lädt dazu ein, Gewerkschaftsgeschichte als Sozialgeschichte, als Geschichte von unten, zu begreifen. Dieser Blick zeige, dass vieles erkämpft werden musste und sozialer Fortschritt noch nie vom Himmel gefallen sei. Gewerkschaftliche Identitätssbildung entstehe in der Organisierung und Interessenvertretung. Das sei nach wie vor wichtig, denn vor allem in Krisenzeiten gebe es Gegendiskurse und Gegenbewegungen. Da müsse man intervenieren und zwar kontinuierlich und geschichtsbewusst. Die meisten hätten sich auch nicht vorstellen können, dass 1933 die stärksten Gewerkschaften der Welt zerschlagen werden können und das auch noch so schnell.
„Als Gewerkschaft tragen wir nicht nur Geschichte mit uns, sondern auch eine große gesellschaftliche Verantwortung – jetzt und für die Zukunft. Das hat uns diese großartige Veranstaltung eindrucksvoll gezeigt“, freut sich Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin.

Eingerahmt wurde die Veranstaltung mit musikalischen Beiträgen von Isabel Neuenfeldt. Mit ihrem Akkordeon wählt sie einen sehr emotionalen Zugang zur Erinnerungsarbeit. Als finales Stück spielte sie „Dance Me to the End of Love“ von Leonard Cohen, das von den Schrecken des Holocaust inspiriert ist. Das Publikum war sichtlich berührt.

 

Von: cm

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