Menschenkette in Spandau

Tarifrunde: Gute Stimmung mit gehörig Wut im Bauch

03.03.2021 | Am zweiten Tag der Warnstreiks haben Beschäftigte in Spandau bei Sonnenschein mit einer Demonstration und einer Menschenkette die Forderungen der IG Metall untermauert. Die guten Zahlen aus der Wirtschaft zeigen, dass die Arbeitgeber mit ihrem Krisengejammer falschspielen. Das macht die Beschäftigten wütend – und aktiv. Weit mehr als 1.000 Beschäftigte reihten sich ein.

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Fotograf: Christian v. Polentz / transitfoto.de

„Das BMW-Motorradwerk hat im vergangenen Jahr das zweitbeste Ergebnis seit seinem Bestehen eingefahren, weil hier alle Vollgas gegeben haben. Und dann wollen sie uns mit einer Nullrunde abspeisen. Nicht mit uns“, sagte der Betriebsratsvorsitzende Markus Kapitzke. Pünktlich um 8.30 Uhr stellten 400 Beschäftigte des Motorradwerks und bei Logistiker Rhenus ihre Arbeit ein, formierten sich zu einem Demonstrationszug und zogen vom Werkstor zur Nonnendammallee/Ecke Paulsternstraße.

Dort verteilten sich die Kolleginnen und Kollegen über ihren Abschnitt. Doch es waren an vielen Stellen mehr als gebraucht, so dass sie in mehreren Reihen stehen mussten. „Die Leute sind wütend. Mitten in der Pandemie schüttet BMW 1,6 Milliarden Euro an seine Aktionäre aus, aber ihren Beschäftigten sagen sie, es gäbe nix zu verteilen. Das ist ein Skandal“, sagte Ingo Harms von der IG Metall.

Den anderen Abschnitt füllten Beschäftigte von acht weiteren Unternehmen, allen voran aus dem Gasturbinenwerk, von dem knapp 300 Beschäftigte in Bussen nach Spandau gefahren kamen. Aber auch aus der BSH Hausgeräte GmbH, von Osram, Siemens Mobility, Siemens Energy, aus dem Dynamo-, Messgeräte- und dem Schaltwerk strömten Beschäftigte zur Nonnendammallee und bildeten bis zum Rohrdamm eine Menschenkette.

Die Mär von der schlechten wirtschaftlichen Lage

Vielleicht hat Stefan Moschko, Personalleiter bei der Siemens AG und Verhandlungsführer des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Berlin-Brandenburg aus dem Fenster des Siemens-Verwaltungsgebäude in Richtung Rohrdamm geschaut. Die Mär von der schleppenden Entwicklung der Metall- und Elektroindustrie glaubt ihm auf der Straße niemand. Denn in den meisten Betrieben der anwesenden Beschäftigten brummt das Geschäft, auch weil sie in der Produktion und im Homeoffice alles für ihr Unternehmen gegeben haben – trotz Corona, trotz Lockdown, trotz Spagat zwischen Arbeit und Familie.

„Die Tarifrunde hätte ja schon vor einem Jahr stattfinden sollen. Da haben die Unternehmen Rückstellungen für Entgelterhöhungen gebildet. Die haben sie sich letztes Jahr in die eigene Tasche gesteckt. Deshalb gibt es für uns keinen Grund, uns jetzt zurückzuhalten“, sagte Frank Droge, Betriebsratsvorsitzender der BSH Hausgeräte GmbH vor den Beschäftigten.

Die DDR ist Geschichte - aber bei den Arbeitszeiten existiert sie noch

Das sieht auch Bettina Haller so, die Konzernbetriebsratsvorsitzende bei Siemens Mobility: „Unsere Auftragsbücher sind mehr als voll. Deshalb fordern wir Entgelterhöhungen zurecht“, sagte sie. Genauso wenig begründet ist das Festhalten der Unternehmer, im Osten auch mehr als 30 Jahre nach Grenzöffnung noch drei Stunden pro Woche mehr arbeiten zu lassen. Wie unsinnig und ungerecht das Verhalten ist, erklärte Frank Kasischke, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Mobility: „Man muss heutzutage in der Tat schon in die Geschichtsbücher schauen, um die deutsche Teilung und die Wiedervereinigung zu finden. Viele unserer Auszubildenden kennen eine Mauer nur noch als Relikt vergangener Zeiten -
 und das ist doch gut so! Aber diese Mauer ist noch da! Sie hat sich inzwischen gewandelt, aber als Tarifmauer zwischen OST und WEST steht sie noch immer.“

Die Menschen auf der Straße wollen, dass die Arbeitgeber ihre Arbeit endlich wertschätzen. Dazu gehören gleiche Wochenarbeitszeiten in Ost und West, sprich 35 Wochenstunden für alle. Und mehr Entgelt gehört auch dazu. Denn alles wird teurer in Berlin, die Mieten steigen, die Inflation entwertet ihr Geld.

„Wir erwarten, dass die Arbeitgeber endlich ein Angebot vorlegen, das den Namen verdient. Die ersten beiden Tage der Warnstreiks zeigen, dass wir mit unseren Forderungen richtig liegen. Und klar ist, wir werden weiterkämpfen, bis wir einen ordentlichen Tarifabschluss erzielt haben“, sagte Regina Katerndahl, Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Berlin.

Aktuell bereitet die IG Metall Berlin mit Betriebsräten und Beschäftigten weitere Aktionen vor. „Das war heute eine Superveranstaltung. Bei uns haben sich genauso viele Menschen beteiligt wie vor Corona“, sagt Frank Droge. Auch die Kolleginnen und Kollegen von BMW und Rhenus fanden die Aktion genial, obwohl sie gar nicht so weit hätten laufen müssen. Denn eigentlich hätte die Menschenkette spielend vom Rohrdamm bis zum BMW-Werk gereicht.

Von: Michael Netzhammer

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