12 Jahre nach der Troika gegen Griechenland

Was hat das Spardiktat der EU für Griechenland gebracht?

06.12.2021 | Die Troika, eine Kooperation von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission verhandelte im Herbst 2009 mit Griechenland über ein Kreditprogramm. Mit den einhergehenden „Reformen“ erzwang die Troika Lohnsenkungen – in Irland, Portugal und auch Griechenland. Wie die Lage heute ist, beleuchtet dieser Artikel.

Kolleg*innen aus einem Stahlwerk (Chalavourgia) traten gegen Einkommenskürzungen in den Streik und forderten Solidarität von den internationalen Gewerkschaften. Alle Fotos (c) Hans Köbrich

Schon 2012 hat sich der Arbeitskreis Internationalismus mit den griechischen Beschäftigten und Gewerkschaften solidarisiert.

Den Hafen von Piräus hat die Regierung an das chinesische Unternehmen Cosco verkauft. Seitdem haben sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert.

In Griechenland wurde nach einer Drohung, die nächste Kreditauszahlung zu sperren, der Mindestlohn um ein Fünftel auf 3,40 Euro pro Stunde gesenkt, obwohl Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und der zuständige Minister dagegen waren. Der DGB Berlin- Brandenburg solidarisierte sich mit den griechischen Arbeitern, gegen die Medienhetze mit einer Postkartenaktion. Auch in der IG Metall beschäftigten wir uns mit dieser Krise.

Der Arbeitskreis Internationalismus lud Gäste aus Griechenland ein, um eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Der Arbeitswissenschaftler Apostolos Kapsalis klärte über die dramatische Situation in seinem Landes auf. Das Interesse war groß, ebenso groß wie die Hetze, die deutsche Boulevardzeitungen über „die faulen Griechen“ veröffentlichten. Mehrere hundert Menschen drängten sich in den großen Saal im 5. Stock.

Beginn von einem jährlichen Besuchsprogramm

Darum haben wir uns entschieden: Wir fahren nach Griechenland, machen uns ein eigenes Bild von der Lage und unterstützen unsere griechischen Kolleg*innen. Mit der Vermittlung von Apostolos, bekamen wir sehr schnell Kontakt, besonders zu Betrieben, in denen Arbeitskämpfe stattfanden.

Im Oktober dieses Jahres trafen wir Apostostos in Athen wieder. Und er berichtete von der schlimmen Lage, in der sich insbesondere die Gewerkschaften befinden. Er selbst ist bei der GSEE angestellt und führt Untersuchungen für den Dachverband der Gewerkschaften im privaten Sektor durch.

Zur aktuellen Situation in Griechenland

In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich die Situation für die Beschäftigten keineswegs verbessert, eher im Gegenteil. Die seit 2019 regierende konservative Partei „Nea Demokratia“ hat das Arbeitsrecht noch mal erheblich verschlechtert, nachdem unter den Spardiktaten der Troika die Gewerkschaftsrechte bereits quasi auf Eis gelegt worden sind. So durften sie keine Tarifverhandlungen mehr führen.

Im November 2019 hatte die neue Regierung ein Multigesetz im Parlament beschlossen mit dem wohl klingenden Titel: „Ich investiere in Griechenland.“ Es handelte sich um ein Gesetzespaket, das nationale und internationale Investoren anlocken sollte. Es ist heute kaum noch möglich Kollektivvereinbarungen abzuschließen. Die Arbeitgeber können nach Belieben mit ihren Beschäftigten Einzelverträge abschließen. Vor einer Verhandlung muss ein aufwändiges Schlichtungsverfahren durchlaufen werden. Das führt zu einer Situation, in der es kaum noch Tarifverträge gibt. Selbst die Nachwirkung für Tarifverträge wurde abgeschafft, so dass die Beschäftigten immer weniger durch geltende Verträge geschützt sind.

Arbeitskämpfe haben in Griechenland eine lange Tradition. Nach dem neuen Gesetz müssen die Teilnehmer*innen einer Urabstimmung elektronisch erfasst werden. Die Gewerkschaften müssen auch ihre Mitglieder elektronisch registrieren lassen und die Mitgliederlisten müssen beim Arbeitsministerium hinterlegt werden. Das sind Verfahren, wie sie sonst in kaum einem anderen Land anzutreffen sind. Welcher Kollege organisiert sich oder stimmt für einen Streik, wenn er dabei elektronisch erfasst wird?

Gegen die erneute Verschlechterung schien angesichts der vielen erfolglosen Kämpfe der letzten zehn Jahre der gewerkschaftliche Widerstand erlahmt zu sein, denn es gab kaum Proteste und nur kleinere Demonstrationen. Das lag auch an einem kleinen Aufschwung, den es 2019 gegeben hatte, vor allem im Tourismussektor. Dann kam im März die Corona-Pandemie. Die neu entstandenen Arbeitsplätze sind heute zu 90 Prozent wieder verschwunden.

Während im Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie die Ausgangsbeschränkungen mit hohen Strafe durchgesetzt wurden, gab es für die Beschäftigten keinerlei Schutzvorkehrungen. Von der Aufsichtsbehörde wurde seit 2020 keine einzige Kontrolle mehr durchgeführt.

Scharfer Kurs gegen demokratische Bewegung und gegen Flüchtlinge

Aber auch gegenüber Protesten zum Beispiel der Student*innen ging die Polizei mit großer Härte vor. So waren die Demonstrationen anlässlich des 17. November, dem Jahrestag der Studentenproteste, die 1973 das Ende der griechischen Militärdiktatur einleiteten, verboten und wurden gewaltsam aufgelöst. Begründet wurde das mit Maßnahmen gegen die Pandemie.

 „Law and order“ ist aber die offizielle Regierungspolitik seit der Wahl. Den Rahmen bilden das Gesetz zur Einschränkung und Kontrolle von Demonstrationen, die Verbote von Versammlungen, die Einführung einer Universitätspolizei, die Aufstockung der Zahl der uniformierten Beamten.

In der Flüchtlingsabwehr schließlich zeigt sich das unmenschliche Ausmaß der Repression. Die Aufrüstung der Polizei und des Militärs machen die größten Posten des Staatshaushaltes aus. Für jegliche Willkür der Polizei wird Straffreiheit garantiert.

Ein Ende der Depression?

Es gab große Proteste mit 20.000 Teilnehmer*innen gegen die staatliche Repression. Die Schraube der Regierung schien überdreht zu sein. Einen großen Erfolg gewerkschaftlicher Kämpfe erzielten vor wenigen Wochen die Hafenarbeiter. Vorausgeschickt werden muss, dass der griechische Staat große Teile des Hafen an das chinesische Unternehmen Cosco verkauft hatte. Erhebliche Verschlechterungen sind seit dem durchgesetzt worden. Das Unternehmen arbeitet in großem Umfang nicht mehr mit qualifizierten Hafenarbeiter*innen, sondern mit Subunternehmen und Leiharbeit, für die die hohen Sicherheitsstandards angeblich nicht gelten. Auf diesem Hintergrund ereignete sich an einem Kran ein tödlicher Arbeitsunfall.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Nicht nur in Piräus auch in vielen anderen Häfen des Landes legten die Beschäftigten die Arbeit nieder. Nach sieben Tagen Streik konnten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes erzielt werden. Weitere Beispiele gewerkschaftlicher Mobilisierung ließen sich anfügen, zum Beispiel der Kampf der Lehrer*innen gegen ein diskriminierendes Bewertungssystem.

Einen großen Erfolg konnten die Auslieferfahrer erkämpfen. Die Branche boomt nicht nur aufgrund der Corona bedingten Einschränkungen. Das Unternehmen efood versuchte einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen durch Schein-Selbstständigkeits-Verträge zu erreichen. Aber die Fahrer*innen hatten sich organisiert und traten in den Streik. Ein Boykottaufruf von 1500 Nutzer*innen der efood-Apps zeigte Wirkung. Letztlich musste das Unternehmen alle Maßnahmen zurücknehmen und verbesserte Arbeitsbedingungen zugestehen.

Es sind diese Erfolge, die uns Hoffnung geben, einer verbreiteten Depression entgegenzuwirken. Die Griechenland Soli Reise 2021 hat unsere Verbindungen mit Kolleg*innen in Griechenland erneuert. Weitere Berichte aus dem Gesundheitswesen und aus der Umweltbewegung folgen.

Ausblick 2022

Für 2022 planen wir über diese Reise auf einer Veranstaltung ausführlicher zu berichten. Es ging bei der Reise auch um Themen wie Billiglohn bei Lieferdiensten, Krankenhausnotstand, Stromnetzprivatisierung, Windkraftprojekte, die Privatisierung von Wasserquellen, Feuerwehrnotstand bei Waldbränden, Repression gegen Gewerkschaften und Hafenstreik der letzten starken Gewerkschaft!

Soweit es pandemiebedingt möglich ist, werden uns hoffentlich wieder Kolleg*innen aus Griechenland um den 1. Mai 2022 besuchen. Wer im Herbst 2022 für circa eine Woche mitreisen möchte, melde sich bitte beim AK Internationalismus ( akint-berlin(at)friends.labournet.de).

Von: Klaus Murawski

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