Interview

Was machen eigentlich ehrenamtliche Arbeitsrichter*innen?

23.05.2023 | Insgesamt 111 ehrenamtliche Arbeitsrichter*innen sind derzeit am Arbeitsgericht Berlin unterwegs und bringen ihr Fachwissen ein. Rechtsanwalt Nils Kummert erklärt uns, worin ihre Aufgaben bestehen und wie man selbst zu dem Ehrenamt kommt.

RA Nils Kummert

Nils, erklärst Du kurz, warum es an den Arbeitsgerichten ehrenamtliche Richter*innen gibt?

In der Arbeitsgerichtsbarkeit setzen sich die einzelnen Kammern der Arbeitsgerichte aus Berufsrichter*innen und ehrenamtlichen Richter*innen von der Arbeitnehmer*innen- und der Arbeitgeberseite zusammen. Die ehrenamtlichen Richter*innen erfüllen vor allem zwei Funktionen. Zum einen sollen sie die Berufsrichter*innen dabei unterstützen, möglichst praxisnahe Entscheidungen zu treffen. Ihr Wissen um die Arbeitsabläufe in der Praxis, die besonderen Gegebenheiten in den einzelnen Wirtschaftszweigen und ihr Rechtsverständnis sind für die Rechtsfindung von erheblicher Bedeutung. Zum anderen wird das Vertrauen der Bürger*innen in die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte durch die gleichberechtigte Beteiligung von Personen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkreisen gefestigt. Dass sich die typischen Interessengegensätze im Arbeits- und Wirtschaftsleben auch im Arbeitsgerichtsprozess schon in der Besetzung der Kammern der Arbeitsgerichte wiederspiegeln, soll die Akzeptanz der Entscheidungen zusätzlich fördern.

Was machen die ehrenamtlichen Richter*innen denn genau?

Die Hauptaufgaben der ehrenamtlichen Richter*innen sind die Teilnahme an den Verhandlungen der Kammer beim Arbeitsgericht und der oft damit verbundenen Entscheidungsfindung. Auch an den Vorberatungen der Kammer (unter Führung der jeweiligen Berufsrichter*innen als Kammervorsitzende) müssen die ehrenamtlichen Richter*innen teilnehmen. Sie haben auch ein Akteneinsichtsrecht und können die Gerichtsakte zur Vorbereitung auf den Termin einsehen. Bei der Wahrnehmung der Aufgaben sind sie den Berufsrichter*innen im Wesentlichen gleichgestellt. In den Verhandlungen haben sie ein uneingeschränktes Fragerecht, um den Sachverhalt aufzuklären. Steht der Sachverhalt fest, oder lässt er sich nicht weiter aufklären, trifft die Kammer unter gleichberechtigter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter*innen eine Entscheidung. Dabei haben alle Beteiligten dasselbe Stimmgewicht. Ehrenamtliche Richter*innen werden also keinesfalls nur beratend tätig, sondern sie entscheiden unmittelbar über den Ausgang des Verfahrens mit. Lediglich die Entscheidungsgründe verfassen dann Berufsrichter*innen.

Am Arbeitsgericht Berlin gibt es eine eigene Kammer für die Metall- und Elektrobranche. Was bedeutet das? Und ist das überall so?

Sogenannte „Fachkammern“ können für die Streitigkeiten bestimmter Berufe und Gewerbe und bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern gebildet werden, wenn an den Gerichten ein Bedürfnis hierfür besteht. Das kann dann der Fall sein, wenn eine Branche in der Region besonders stark vertreten ist und daher eine hohe Zahl an Rechtsstreitigkeiten aus diesem Bereich herrührt. Die speziellen Zuständigkeiten der Kammern ermöglichen eine möglichst praxisnahe Lösung der Rechtsstreitigkeiten, da die Richter*innen die branchenspezifischen Besonderheiten kennen. Um dieses Anliegen zu befördern, werden in der Regel ehrenamtliche Richter*innen, die in den jeweiligen Branchen tätig sind, den passenden  Fachkammern zugewiesen. In Berlin gibt es beim hiesigen Arbeitsgericht neben der Kammer für das Metall- und Elektro-Gewerbe auch Fachkammern für Bau, Einzel- und Großhandel sowie das Gaststättengewerbe. Das Arbeitsgericht Berlin hat damit im deutschlandweiten Vergleich relativ viele Fachkammern.

Wie kommen eigentlich die ehrenamtlichen Richter*innen am Arbeitsgericht an ihr Fachwissen? Gibt es einen regelmäßigen Austausch der ehrenamtlichen Richter*innen innerhalb ihrer Gewerkschaft?

Alle gewerkschaftlichen Bildungsträger bieten Seminare an. Ehrenamtliche Richter*innen können auch Ansprüche aus dem Berliner Bildungszeitgesetz für eine Fortbildung nutzen. Seminare zum Arbeitsrecht sind vielfach als geeignete Schulungen anerkannt. Es empfiehlt sich, mit der Geschäftsstelle der IG Metall Kontakt aufzunehmen bzw. mit Sylvia Hellwinkel von der IG Metall Schulungsmöglichkeiten zu besprechen und auch die leider nicht unkomplizierte Frage der Kostentragung zu klären. Wenn ehrenamtliche Richter*innen auch gleichzeitig – was ja häufig der Fall ist – aktive Mitglieder in Betriebsratsgremien sind, empfiehlt sich, die (regelmäßige) Teilnahme an den von der IG Metall organsierten „Potsdamer Tagen des Arbeitsrechts“. Dort werden auf hohem Niveau aktuelle arbeitsrechtliche Fragestellungen diskutiert. Außerdem referieren dort auch viele Berufsrichter*innen aus der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit.  

Wie wird man ehrenamtliche*r Arbeitsrichter*in? Wo kann man sich bewerben?

Die ehrenamtlicher Richter*innen für das Arbeitsgericht Berlin werden von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf Vorschlag der Gewerkschaften (und der Arbeitgeberverbände) ernannt. Die Bewerbung läuft also über die für den Bezirk zuständigen Gewerkschaften. Interessent*innen nehmen idealerweise Kontakt mit den ihnen bekannten Gewerkschaftssekretär*innen der IG Metall auf.

Sind besondere Voraussetzungen nötig, um sich berufen zu lassen?

Du solltest in dem jeweiligen Gerichtsbezirk als Arbeitnehmer*in tätig sein oder dort wohnen. Für die Berufung am Arbeitsgericht musst du das 25. Lebensjahr beendet haben: Möchtest du am Landesarbeitsgericht als ehrenamtliche Richter*in einer Kammer zugewiesen werden, so musst du mindestens 30 Jahre alt sein. Dazu musst du immer das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag besitzen und darfst nicht vorbestraft sein. Juristische Vorkenntnisse und längere Berufserfahrung sind hilfreich, aber nicht notwendig.

Was für einen Aufwand bedeutet das Ehrenamt?

Der zeitliche Aufwand ist überschaubar. Das Ehrenamt gilt für fünf Jahre, im Durchschnitt wird man zu ein- bis zwei Verhandlungstagen im Jahr hinzugezogen. Es besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme an der Sitzung und der Vorberatung. Mit dem Job ist das Ehrenamt gut vereinbar, denn du hast einen Anspruch auf Freistellung für die Tätigkeit als ehrenamtliche Richter*in. Für den Verdienstausfall und die Fahrtkosten gibt es dazu eine Entschädigung in Geld, denn der Arbeitgeber muss lediglich eine unbezahlte Freistellung ermöglichen.

Wem ist die Aufgabe zu empfehlen?

Falls du Interesse an juristischen Fragestellungen hast, du dich gern mit neuen, auch mal komplizierten Rechtsfragen der Arbeitswelt auseinandersetzt, du Spaß an der Diskussion hast und du dich gut in andere hineinversetzen kannst, kann die Tätigkeit als ehrenamtliche*r Arbeitsrichter*in durchaus etwas für dich sein. Es ist eine spannende, anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe, die den eigenen Horizont erweitern kann.

Warum sind (gute) ehrenamtliche Richter*innen für die Gewerkschaften so wichtig?

Das Recht ist eine hochpolitische und lebendige, sich ständig weiter entwickelnde Angelegenheit. Es gibt viele Normen, deren Auslegung Spielräume lässt. Wenn auf der Seite der Rechtsvorschriften ein derartiger Auslegungsspielraum besteht, kann dieser im Sinne der Sache der Beschäftigten oder eben auch im Interesse des jeweiligen Unternehmers genutzt werden. An dieser Stelle beeinflussen ehrenamtliche Richter*innen (wie auch Betriebsräte und Gewerkschaften durch ihr tägliches Tun) den Lauf der Rechtsentwicklung mit. Es ist aus meiner Sicht wichtig, zu verstehen, dass ehrenamtliche Richter*in „im Kleinen“ auch politisch bzw. rechtspolitisch wirken. Das sollte nicht unterschätz werden. Ich war selbst ein paar Jahre ehrenamtlicher Richter und habe es nicht selten erlebt, dass im Zuge der Diskussion in der Kammer die Sichtweisen der Teilnehmenden (auch meine eigene) sich noch einmal stark verändert haben. Viele Berufsrichter*innen legen großen Wert auf diese Diskussion. Im Übrigen gibt es viele Fälle, bei denen in Bezug auf die Beurteilung von Fakten und die Einschätzung der Glaubhaftigkeit des Sachvortrages Sachverstand und Lebenserfahrung und nicht zuletzt Kenntnisse aus der betrieblichen Praxis gefragt sind. Zeugen müssen bezüglich ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit eingeschätzt werden und hier ist Lebenserfahrung gefragt. Das sind alles Aspekte, bei denen ehrenamtliche Richter*innen ihr aus ihrem Engagement im Betrieb erwachsendes Wissen und ihre Erfahrungen einbringen können und sollen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Wer sich für das Ehrenamt als Arbeitsrichter*in interessiert, kann sich gerne bei uns im Rechtsbereich melden.

 

Kontakt:

Nils Kummert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

dka Rechtsanwälte | Fachanwälte
Fachanwälte für Arbeits-/Straf- u. Sozialrecht
Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin

http://www.dka-kanzlei.de
mailto: kummertdon't want spam(at)dka-kanzlei.de 

Von: aw

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