Industriepolitisches Papier von IGBCE und IG Metall in Berlin

Wir stehen vor einer Dekade der industriellen Erneuerung in unserer Stadt!

08.02.2023 | Die „Zeitenwende“ betrifft auch die Industrie, die sich schon seit Jahren in einem umfassenden Transformationsprozess befindet. Durch die Krisen hat sich der Druck erhöht, Veränderungen umfangreicher und vor allem schneller anzugehen. Die IGBCE Berlin-Mark Brandenburg und die IG Metall Berlin wollen mit diesem Papier im Vorfeld der Berliner Wahl am 12. Februar 2023 und der darauffolgenden Regierungsbildung deutlich machen, was für eine zukunftsfähige Industrie gebraucht wird, deren Innovationskraft vor allem von motivierten Beschäftigten abhängt.

Rolf Erler, Bezirksleiter der IGBCE Berlin-Mark Brandenurg (rechts) und Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin - Fotos: Susanne Schneider-Kettelför

Pressegespräch am 7. Februar 2023

Voraussetzungen dafür sind mehr tarifgebundene Betriebe und stärkere Mitbestimmung – Kernthemen Guter Arbeit! Wir verstehen uns dabei als zentrale Akteure einer gestalteten Transformation!  Wir gestalten Transformation!

 

Die Berliner Industrie kann mit dem Umfeld einer hervorragenden Forschungs- und Wissenschaftslandschaft in dieser Entwicklung Innovations- und Umsetzungstreiber sein. Zudem ist die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg schon heute DIE Region mit einem hohen Anteil an Erneuerbaren Energien – Tendenz steigend. Nachhaltige grüne Produktion ist in Berlin-Brandenburg möglich.

„Gleichzeitig boomen aber seit Jahren auch die Betriebe der Digitalisierungsbranche und viele StartUps in der Stadt. Studien belegen, dass hier rund 120.000 Arbeitsplätze entstanden sind“, berichtet Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin. „Dies wertet den Wirtschaftsstandort Berlin in hohem Maße auf und stärkt die damit verzahnten Bereiche der direkten industriellen Wertschöpfung.“ Denn Berlin ist mit rund 110.000 Industriearbeitsplätzen ein starker und innovativer Industriestandort, der zahlreiche Arbeitsplätze in den industrienahen Dienstleistungen nach sich zieht. Viele Industrieunternehmen sind tarifgebunden und durch mitbestimmte gute Arbeit gekennzeichnet. Vergleichsweise hohe Einkommen in der Industrie sichern wiederum starke Binnenkaufkraft, die sich stabilisierend auf die Dienstleistungsstruktur der Berliner Stadtgesellschaft auswirkt.

„Berlin bezieht seine wirtschaftliche Stärke ganz entscheidend aus den weiterhin mehr als 100.000 Industriearbeitsplätzen in der Stadt. Die Berliner Politik muss diese Tatsache bei allen Vorhaben für die Entwicklung der Stadt fest im Blick haben und auch die Zusammenarbeit mit unserer Nachbarregion Brandenburg verstärken“, so Rolf Erler, Bezirksleiter IGBCE Berlin-Mark Brandenburg. „Als IGBCE und IG Metall stehen wir dafür ein, die industriepolitische ‚Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg‘ in den Köpfen zu verankern und voranzutreiben.“

Vorschläge und Erwartungen an den nächsten Senat:

  • Transformation gestalten: Es bedarf auch einer großen Kraftanstrengung aller relevanten Akteure Berlins, um diese sozio-ökonomischen Modernisierungsprozesse im Sinne der Beschäftigten tatsächlich zu gestalten.
  • Vorhandene Strukturen stärken – Bewährtes wiederaufleben lassen: Der Steuerungskreis Industriepolitik (SKIP) und auch der Masterplan Industriestadt Berlin (MPI) sind bewährte Instrumente, die auch mit einem maßgeblichen Anteil der Gewerkschaften entwickelt wurden.
  • Fachkräfte in stetiger Aus- und Weiterbildung: Ausbildung und Weiterbildung sind für die Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Berliner Industrie die essentielle Währung. Der zukünftige Senat sollte hier einen Schwerpunkt setzen und gezielt in enger Abstimmung mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und den Sozialpartnern zusätzliche Mittel bereitstellen. Die Ausbildungsquoten sind zu niedrig in Berliner Betrieben. Wir fordern, dass die umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie eingeführt wird und über tarifvertragliche Öffnungsklauseln ein branchenspezifischer Blick auf die Bedürfnisse der Auszubildenden und der Betriebe ermöglicht wird.
  • Krisen und Unterstützung: Die Programme von Bund und Land als Reaktion auf die derzeitigen Krisen sind umfassend. Hierbei sind klare Ansprachestrukturen auf Senatsebene zwingend erforderlich. Die Expertise der Sozialpartner ist hier in allen Bereichen hinzuziehen. Hier sehen wir in der alltäglichen Arbeit noch Verbesserungspotenziale.
  • Branchen in den Fokus nehmen: Wir haben uns im SKIP in der vergangenen Legislatur auf drei zentrale industrielle Branchen bzw. Cluster, die wir in Berlin verstärkt in den Fokus nehmen wollen, geeinigt. Mobilitätstechnik, industrielle Gesundheitswirtschaft und die Energietechnik sind die zentralen Wachstumsmotoren unserer Stadt sowie der gesamten Region. Das Ziel muss weiter das Wachstum der Branchen bleiben.
  • Stärkung betrieblicher Mitbestimmung: Beschäftigte und Gewerkschaften müssen durch den Senat konsequent zu unterstützt werden und – wenn nötig – muss die Strafverfolgung forciert werden. Jedes Senatsmitglied, das einen Betrieb besucht, sollte im Vorfeld immer nach Mitbestimmungs- und Tarifvertragsstrukturen bei den Gewerkschaften fragen – und im Idealfall Betriebsräte bei Besuchen einbinden.
  • Stärkung inländischer und europäischer Produktion: Wir fordern Senat, Sozialpartner und Unternehmen dazu auf, Konzepte und Strukturen für ein konsequentes Re-Shoring (Rückholung) der produzierenden Gesundheitswirtschaft in Deutschland und Europa zu entwickeln. Berlin eignet sich hierfür im Rahmen des gemeinsamen Gesundheitsclusters mit Brandenburg bestens. Eine Bundesratsinitiative der neuen Berliner Landesregierung in diese Richtung kann dabei eine sinnvolle Option sein.
  • Stärkung der industrienahen Digitalwirtschaft: Im Verbund mit den klassischen produzierenden Betrieben entwickelt sich in Berlin ein wachsendes Cluster an Betrieben in der industrienahen Digitalwirtschaft. Wir fordern einen Ansprechpartner auf Senatsebene, der sich gezielt um diese Wachstumsbetriebe der Zukunft kümmert. Sie sind die Transmissionsriemen der Transformation in der Produktion.
  • Gewerbegebiete und Wohnflächen nicht gegeneinander ausspielen: Wir erwarten vom zukünftigen Senat, dass dieses Thema höchste Priorität hat und hier innovative Konzepte erarbeitet werden. Betriebe brauchen Flächen, die Beschäftigten brauchen Wohnungen und erwarten zurecht, dass sie sich in ihrer Freizeit auch wohnortnah erholen können. Wir brauchen Grünflächen in der Stadt, um dem Klimawandel zu begegnen.
  • Industriepolitik für die Klimawende: Nur mit einer nachhaltigen Industrie kann die Klima- und Energiewende gelingen. In Berlin und Brandenburg kann Industrie perspektivisch CO2-neural produzieren und die Potenziale in Wissenschaft, Forschung und Produktion optimal verzahnen und nutzen. Mit Erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff kann die Hauptstadtregion in vielen Bereichen Benchmark für nachhaltige Produktion werden. Dazu muss die Berliner Politik mit Brandenburg eine gemeinsame Standort- und Industriepolitik mit einer länderübergreifenden Entscheidungsstruktur schaffen.
  • Vergabepolitik in den Fokus stellen: Wir fordern den neu zu wählenden Berliner Senat dazu auf, sich intensiv für ein Vergabegesetz auf Bundesebene einzusetzen.
  • Sozialpartnerschaft stärken: In all den hier genannten Bereichen wollen wir die Sozialpartnerschaft stärken und bieten Unternehmens- und Arbeitgeberverbänden sowie der IHK und HWK wie auch branchenspezifischen Lobby-Vertretungen der Berliner Wirtschaft unsere weitere intensive Zusammenarbeit an, um gemeinsam mit dem neuen Berliner Senat die Industrie in der Stadt zu stärken.
  • Hauptstadtregion neu denken: Die Zusammenarbeit mit Brandenburg ist für die industrielle Entwicklung Berlins essentiell. Weder die Themen der Betriebe noch die der Beschäftigten machen an den Landesgrenzen halt. Insbesondere bei den Fragen von Infrastruktur und Verkehrspolitik, aber auch bei Fragen der zielgerichteten Wirtschaftsförderung für die Betriebe sehen wir dabei noch ein großes Entwicklungspotential.

Von: Andrea Weingart

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