14.11.2023 | Bei einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung im Berliner IG Metall-Haus trafen Perspektiven aus Gewerkschaften, Politik und Wissenschaft aufeinander, Umweltschutz und die Interessen von Beschäftigten standen dabei im Zentrum.
„Braucht es eine Zusammenarbeit zwischen Grünen und Gewerkschaften? Und die klare Botschaft von heute ist: Ja, es braucht sie, damit wir den Umbau der Industrie voranbringen können, dabei aber auch unsere Mitglieder mitnehmen“, sagt Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin und einer der Organisatoren der Tagung.
Über 150 Gäste sowie etwa 30 Referent_innen waren am vergangenen Samstag zu einer Tagung von Hans-Böckler-Stiftung (HBS), IG Metall und anderen Gewerkschaften gekommen. „Wir haben mit vielen Gewerkschafterinnen kurzfristig ein tolles Programm auf die Beine gestellt“, freut sich Jan Otto. Vertreten waren EVG, IGBCE, IG Metall, ver.di und DGB sowie Grüne aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, Bundestag und Parteispitze. Hinzukamen zahlreiche Wissenschaftler_innen, wie beispielsweise der Soziologe Prof. Klaus Dörre oder die Juristin Prof. Johanna Wenckebach. Verhandelt wurden nicht nur klassisch gewerkschaftliche Themen wie Fachkräftemangel, Tarifbindung und Wirtschaftspolitik insgesamt, sondern deren Verhältnis zum dringend nötigen Kampf gegen Klimawandel.
Unter dem Titel „Arbeit.Betrieb.Klima – Grüne Perspektiven auf Wirtschaft und Transformation“ ging es auch um das nicht immer spannungsfreie Verhältnis von Grünen und Gewerkschaften. Bettina Jarasch, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, erinnerte in ihrer Begrüßung daran, dass man IGBCE und Grüne bei Demonstrationen vor ein paar Jahren noch fast polizeilich trennen musste. Davon war am Wochenende nichts zu spüren und man suchte nach Wegen, wie sich Gewerkschaften und Politik unterstützen können, um gemeinsam die sozial-ökologische Transformation zu gestalten.
„Der Umbau der Art und Weise wie wir leben und arbeiten wird immer drängender. Gleichzeitig wird immer offensichtlicher, dass dieser Umbau, diese Transformation, nur gelingen kann, wenn er sozial, demokratisch und nachhaltig gestaltet wird. Es ist daher notwendiger als zuvor, dass die konstruktiven Kräfte in dieser Gesellschaft, wie Gewerkschaften, demokratische Parteien, Wohlfahrtsverbände, alles dafür tun gemeinsam eine grünere, eine gerechtere und eine lebenswertere Zukunft zu schaffen“, sagte Claudia Bogedan, die Geschäftsführerin der HBS.
Die Notwendigkeiten zur Eindämmung des Klimawandels betreffen auch die Arbeitswelt, nicht zuletzt vermittelt durch Wirtschafts- und Industriepolitik und führen zu mitunter tiefgreifenden Veränderungen für die Beschäftigten – und schlagen sich auch politisch nieder, wie Klaus Dörre betont.
Soziale und ökologische Nachhaltigkeit sei eine politische Schlüsselfrage. Dies ändere aber nichts an dem Umstand, dass viele Arbeiter_innen in den Grünen den Hauptfeind ausmachten. Auch weil Transformation in Automobilindustrie oft mit Deindustrialisierung assoziiert werde. Eines der Kernprobleme sei, dass Beschäftigte von Richtungsentscheidungen der Unternehmen ausgeschlossen seien. Es komme zu einer „Trennung von Produktion und Gewissen“ (Günther Anders). Das „was, wie und wozu der Produktion“ müsste Gegenstand demokratischer Aushandlung werden, so der Soziologe, denn individueller Verzicht werde weder ökologische Krisen noch andere Herausforderungen lösen.
Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Intituts der HBS sagt: „Gelingen kann eine ökologische Transformation nur, wenn sie soziale Ungleichheit nicht verschärft, sondern als Problem adressiert. Menschen müssen gerade in Veränderungsprozessen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen aktiv mitgestalten. Dafür braucht es ein funktionierendes Tarifvertragssystem und Interessenvertretung durch Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen. Dies zu gewährleisten, ist neben den Gewerkschaften auch Aufgabe der Parteien, die eine faire Gestaltung des ökologischen Umbaus als ihr Vorhaben deklarieren.“
Bettina Jarasch, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus setzt sich für grüne Industriepolitik ein: „Klimaschutz ist kein Kulturkampf. Klimaschutz ist unsere größte Chance, Beschäftigung hier in der Region zu halten und neue Jobs zu schaffen. Wir wollen eine aktive Wirtschafts- und Industriepolitik: Wir wollen die Energie- und Mobilitätswende entschlossen nutzen, um hier für klimaneutrale, nachhaltige und unabhängige Produktion in den Zukunftsbranchen zu sorgen. Und das schaffen wir nur gemeinsam mit starken Gewerkschaften und Belegschaften, mit ihren Ideen, ihrem Engagement und ihrer Bereitschaft, die nötigen Veränderungen anzugehen.“
Schon im eröffnenden Podiumsgespräch waren sich alle Beteiligten einig, dass soziale und ökologische Herausforderungen zusammen gedacht müssen und Widersprüche in der Transformation nicht einseitig aufgelöst werden können. „Industriearbeit und Klimaschutz sind kein Widerspruch“, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall. Aber die Transformation und damit verbundene Anforderungen müssten „Branche für Branche“ angegangen und die notwendigen Schritte auf die jeweilige Region beziehungsweise den konkreten Betrieb runtergebrochen werden. Christoph Schmitz, aus dem Verdi-Bundesvorstand, pflichtete bei, betonte aber auch, dass die Schwierigkeit darin liege, nicht nur Ziele zu formulieren, sondern Wege aufzuzeigen. Die Wege müssten diskutiert werden, in und mit Gewerkschaften, in Politik und Gesellschaft. Betriebliche Mitbestimmung und eine Kultur der Teilhabe seien zudem ein Bollwerk gegen das Erstarken rechter Kräfte, wie an dem Tag mehrfach betont wird. Schmitz plädierte dafür, das Streikrecht ausweiten, um die Herausforderungen von Branchen mit gesellschaftlichen Problemlagen verknüpft seien und diese nur gemeinsam angegangen werden könnten.
Sowohl die Transformation als auch der Kampf gegen Rechts könne nur zusammen mit Gewerkschaften gelingen, ist sich die Bundestagsabgeordnete der Grünen Beate Müller-Gemmeke sicher. Die „neue soziale Frage“, verlange es, Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit zusammenzudenken. Es herrscht weitgehend Konsens darüber, dass das Heizungsgesetz nur als Negativbeispiel dienen kann. Den Kompromiss zum Industriestrompreis nennt Jürgen Kerner eine „Mogelpackung hoch zehn“. Überhaupt bleibe die Bundesregierung in vielen Fragen hinter dem Koalitionsvertrag zurück, sagt Claudia Bogedan. Auf die Frage, wie gutes Leben und gute Arbeit in Zukunft aussehen soll, müssten auch aus der Politik Antworten kommen.
Der Publizist Albrecht von Lucke findet bei der Abschlussveranstaltung deutliche Worte. Die Ampel sei eigentlich keine Koalition mehr und man sehe sich gesellschaftliche mit einem „reaktionären Backlash“ konfrontiert. Dennoch müssten in dieser schwierigen Situation Gewerkschaften und Grüne gemeinsam die Umverteilungsdebatte angehen.
„Der glaubwürdige Austausch zwischen IG Metall und Grünen muss verstetigt werden“, sagt Jürgen Kerner. Die Tagung habe gezeigt, „dass es viele Gemeinsamkeiten, aber auch viel Gesprächsbedarf gibt“. Jan Otto resümiert: „Austausch ist keine Einbahnstraße, das haben am Samstag viele führende Politiker der Grünen verstanden. Die Chancen die aus diesem Dialog entstehen, sind riesig, da viele Kolleginnen und Kollegen zwar den Klimawandel verhindern wollen, aber auch zurecht eine sichere Beschäftigung und vor allem genug Geld für ein gutes Leben haben wollen. Ich bin mir sicher, wir können hier Brücken bauen, Vorurteile abbauen aber auch unseren Einfluss geltend machen, wenn es darum geht, Themen wie Wohnen, Verfügbarkeit von Zeit und Entlastungen im Portemonnaie zu erreichen. Es gibt noch viel zu tun. Zukunft selber machen heißt die Devise!“